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"Zeit"-Interview mit Ex-"Bild"-Chef
Julian Reichelt und das Dilemma des Medienjournalismus

Bei seiner Rückkehr in die Öffentlichkeit bedient sich der geschasste Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt der Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie. Warum wir uns als Medienredaktion schwer tun, damit umzugehen, erklärt Brigitte Baetz.

Von Brigitte Baetz | 09.12.2021
Eine Doppelseite der "Zeit" mit dem Interview mit Julian Reichelt
"'Bild' war Julian Reichelt" - erklärt Julian Reichelt in der "Zeit" (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
Meine Güte, ist das schwer. Wir haben lange heute überlegt in der Medienredaktion des Deutschlandfunks: Wie umgehen mit dem großen Interview, das Ex -„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt der Wochenzeitung „Die Zeit“ gegeben hat? Einem Gespräch, das durchaus kritisch geführt wurde, in dem Reichelt allerdings sein ganz persönliches Narrativ verbreiten konnte: nämlich, dass er als quasi Unbequemer von Teilen dieser Gesellschaft, er nennt unter anderem die „Berliner Blase“, kaltgestellt werden sollte.
Wie überhaupt umgehen mit dem Willen des Medienprofis Reichelt, sich wieder in die Umlaufbahn der deutschen Publizistik zu katapultieren? Sein Claim "I´ll be back", mit dem er inzwischen sein Twitterprofil bereichert hat, dem berühmten Satz des „Terminators“ aka Schwarzenegger aus dem gleichnamigen Science- Fiction-Film, „Ich werde zurückkommen“, gilt vielen eher als Drohung denn als Verheißung. Zu sehr hat der Populist Reichelt als Chefredakteur dazu beigetragen, unsere ohnehin schon aufgeheizte öffentliche Diskussionskultur weiter zu befeuern.

Springer: "Privates und Berufliches nicht klar getrennt"

Nur einmal kurz rekapituliert: Reichelt musste bei „Bild“ seinen Hut nehmen, weil er sich gegenüber abhängig beschäftigten Frauen nicht so verhalten hat, wie man das als Vorgesetzter tun sollte. Oder wie es die Springer-Pressestelle damals formulierte:
„Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat.“
Julian Reichelt, Chefredakteur von "Bild", steht im Studio des neuen TV-Senders des Axel-Springer-Verlags, der erstmals am 22. August auf Sendung gegangen ist.
Julian Reichelt, als Chefredakteur von "Bild" hat er "Bild" auch zu einer TV-Marke gemacht (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
Auch deutlich wurde aus den Recherchen zur Causa Reichelt der letzten Wochen, dass einige der betroffenen Frauen Angst vor der Person Julian Reichelt haben.

Es bleibt ein ungutes Gefühl

Obwohl strafrechtlich nichts gegen den ehemaligen „Bild“-Chefredakteur vorliegt und immer die Unschuldsvermutung zu gelten hat, so bleibt doch ein ungutes Gefühl: Denn Reichelt kann sich dem großen Publikum von Deutschlands angesehenster Wochenzeitung als Mann präsentieren, dem Unrecht widerfahren sei.
Den Frauen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm standen, steht dieser Weg eines gut vernetzten Medienmenschen, für sich selbst und seine Position zu werben, nicht offen.

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Zu beobachten ist zudem, dass Reichelt peu à peu seine Karriere in der Öffentlichkeit wieder zu starten versucht und sich dafür der Aufmerksamkeitsmechanismen bedient, die wir nun mal haben. Eben auch der Aufregung, die sofort auf Twitter losging, wegen des Interviews mit der „Zeit“.

Gar nicht berichten?

Deshalb wollten wir eigentlich heute gar nichts berichten. Aber können wir das, gerade als Medienmagazin? Ein Dilemma, das sich uns immer wieder stellt: Wir wollen und müssen Medienhypes hinterfragen, wollen aber nicht gerade deshalb diese Hypes weitertransportieren.
Denn auch negative Erwähnungen sind nun mal Erwähnungen, das Gold der Aufmerksamkeitsökonomie. Vermutlich kommen wir einfach aus dieser Spirale nie ganz raus, aber immerhin wollten wir es heute einmal erklären.