"Also ich habe jetzt hier ein aufgebundenes Rohr und dann habe ich diese Schabezunge und mein Messer und fang an, die Bahn zu schaben. Ich lasse immer in der Mitte ein bisschen was stehen, das ist gut für den Klang."
Juliana Koch sitzt am elterlichen Wohnzimmertisch und schnitzt aus Schilfrohr ein Mundstück für ihr Instrument. Für ein Oboenrohr können mehrere Stunden Arbeit draufgehen und wenn es zwei Wochen lang gut funktioniert, dann ist das ganz schön lang. Trotzdem ist das Selberbauen Ehrensache für Oboisten, Rohre bestellen kommt nicht infrage.
"Ich hab das auch mal gemacht, aber es muss schon genau so sein, wie ich das haben will. Über die Jahre findet man irgendwie das Holz und die Form und die Dicke und die Art des Schabens und so weiter. Und dass ich einfach so spielen kann, wie ich mich frei fühle. Allerdings muss ich oft sagen, wenn ich manchmal die von meinem Kollegen nehme, denke ich, oh, du hast so tolle Rohre! Aber im Endeffekt im Konzert möchte ich doch immer auf meinem eigenen Material spielen.
Ist aber auch wirklich nicht toll, ist kein tolles Holz. Das sieht schlecht aus und fühlt sich nicht gut an. Es kräht wirklich nicht."
Rohr muss beim Anblasen krähen
Eines der ersten Anzeichen eines guten Rohres ist, wenn es beim Anblasen kräht. Juliana Koch kann nachjustieren, in dem sie die Spitze des Doppelrohrblatts bearbeitet.
"Meine Guillotine. Also die Guillotine braucht man, um die Spitze abzuschneiden. Aber die ist ganz klein, die passt in jede Tasche. Nein das wird wirklich nichts. Grauslich. Das wird kein gutes Rohr."
Juliana Koch bricht das Rohr entzwei. Sie ist anspruchsvoll, weil sie sich im Gegensatz zu anderen Oboisten mit nur wenigen Rohren ausstattet. Drei Mundstücke steckt sie in ihre kleine Rohrschachtel, wenn sie auf die Bühne geht. Auf einem davon spielt sie aktiv, die anderen zwei dienen als Ersatz, falls beim Konzert etwas schiefgeht. Bisher ist die Oboistin von größeren Zwischenfällen verschont geblieben – ganz im Gegensatz zu ihrem Kollegen im London Symphony Orchestra.
"Der ist mit dem Rohr an den Kragen gekommen und es ist einmal in der Mitte durchgerissen. Mitten im Solo und die Kamera war auf ihn gerichtet. Und er hat einfach mit der zweiten Oboe sofort die Oboe getauscht und auf ihrem Instrument und mit ihrem Rohr weitergespielt. Im Solo. Und sie hat dann seine Rohrschachtel genommen und darauf gezeigt, welches möchtest du und hat die Rohre gewechselt und ihm dann alles zurückgereicht."
Äußere Umstände wirken auf Mundstück ein
Wer in solchen Situationen nicht cool bleiben kann, wird wahrscheinlich kein Profi-Oboist. Auch Juliana Koch erzählt gelassen von ihrer Beziehung zu den komplizierten Mundstücken. Unter Druck baue sie sogar besonders gut, so ihre Hypothese.
"Weil ich dann wirklich ganz konzentriert drauf bin. Das letzte Mal, wo es wirklich knapp war, das war vor Weihnachten im Dezember. Und ich hatte wirklich am Morgen überhaupt kein Rohr mehr. Und dann habe ich die Mittagspause ausfallen lassen, hab mir ein neues Rohr aufgebunden und geschabt und dann nach der Mittagspause Brahms‘ Violinkonzert drauf gespielt und alle drei Konzerte dann in London und Paris und da war ich dann doch ganz stolz, dass meine Theorie funktioniert.
Man hat niemals das perfekte Rohr und einfach mit dem Faktum lebt und nicht versucht zu sagen: Also ich kann jetzt nur ein gutes Konzert spielen, wenn ich das allerallerbeste Rohr der Welt habe. Weil das passiert sowieso nie, dass wirklich alle Umstände genau richtig sind, also, dass jetzt die Luftfeuchtigkeit so ist und die Höhenmeter so und so sind.
Vor allem auf Konzertreisen spürt Juliana Koch, wie äußere Parameter auf ihr Mundstück einwirken.
"Was hart ist, ist Skandinavien im Winter, wenn die Luftfeuchtigkeit unter 20 Prozent ist, das ist schon wirklich schlimm für alle Rohrblattspieler. Dann alles was hoch gelegen ist. Wir waren jetzt in Südamerika in Bogotá, das ist fast auf 3.000 Meter Höhe. Wir waren alle so ein bisschen asthmatisch und kurzatmig, nicht so ganz auf der Höhe. Und dann haben wir Mahlers Fünfte gespielt. Aber die Rohre, die schwingen irgendwie gar nicht mehr, es ist einfach alles richtig harte Arbeit."
Extreme Temperaturen und Orte beeinflussen nicht nur das Mundstück aus Schilfrohr, sondern auch die Oboe, deren Körper meist aus Grenadillholz gebaut ist. Juliana Koch trägt ihre Oboe und die Rohre daher in einem speziellen Köfferchen ins Flugzeug.
"Ich habe so ein Case, das ist besonders dicht, was Luftfeuchtigkeit und Druck angeht. Ich habe so einen Luftfeuchtigkeitsmesser da drin und selbst nach einem elf Stunden Flug sind da noch 60 Prozent Luftfeuchtigkeit drin und das ist so das, was das Instrument braucht ungefähr. Dadurch haben meine Rohre und das Instrument nicht so einen extremen Schock andauernd. Ich glaube, das tut beiden sehr gut.
Juliana Koch leidet mit ihrem Instrument mit
In heiklen Situationen könnte sonst das Holz der Oboe reißen, zum Beispiel zwischen den Tonlöchern. Dann ist das Instrument nicht mehr dicht und vor allem die tiefen Töne sprechen schlechter an. Einmal ist Juliana Koch das schon passiert. Keine schöne Erfahrung, erzählt sie.
"Das ist so was, da ist man so sensibel, das merkt man sofort und das geht wie ins Herz irgendwie, kriegt man so einen Schreck. Totales Mitleiden mit dem Instrument. Also das ist wirklich schlimm. Man denkt immer, man steht da drüber und ich bin ja jetzt nicht mehr so sensibel und dann ist es doch jedes Mal wieder."
Juliana Koch spielt auf einer Oboe des französischen Herstellers Marigaux, Modell "M2", das neu etwa 10.000 Euro kostet. Noch während des Studiums hat sie das Instrument ausgesucht, war sich in den ersten Wochen aber nicht sicher, ob sie es behalten sollte.
"Ich war wirklich hin und her gerissen und dann hat mein Lehrer gesagt, also bis da und da musst du dich entschieden haben, sonst musst du sie zurückgeben. Und an dem Tag, an dem ich mich entscheiden sollte, dann wollte ich sie wirklich einfach nicht wieder hergeben."
Die Solo-Oboistin des London Symphony Orchestra bevorzugt einen warmen, weichen Instrumententon wie den ihrer Oboe. Von dieser Grundlage aus entwickelt sie ihre individuellen Klangfarben, die sehr stark von der eigenen Persönlichkeit abhängen, meint Juliana Koch.
"Am Ende ist es ja immer wieder interessant, wenn man mit Kollegen und Freunden Instrumente probiert. Dann probieren wir was aus und der oder diejenige klingt genau wie sie selbst und ich klinge genau wie ich selbst. Und das kommt durch meine Vorstellungskraft und wie ich dann meinen Körper einsetze. Und das Instrument möchte ich erst mal, dass mir das dabei nicht im Weg steht."
Seit sechs Jahren spielt Juliana Koch auf ihrer Oboe. Sie haben intensiv zusammengearbeitet, sodass das Instrument mittlerweile schon ein bisschen nachlässt. Vor kurzem hat Juliana Koch eine zweite Oboe gekauft. Die Optik spielte bei der Auswahl keine Rolle: schwarzes Holz, silberfarbene Klappen – Oboen sähen sowieso alle gleich aus, meint Juliana Koch. Nur möglichst ähnlich wie das alte Instrument sollte die neue Oboe sein.
Instrument wird zum Teil der Musiker
"Dass es also einen schönen ausgewogenen Klang hat, aber dass die Intonation sehr gut ist, dass es irgendwie stabil ist und ich das noch ein bisschen frei spielen kann, wenn ich dann anfange, wirklich drauf zu spielen. Einfach, weil sie ist noch nicht so frei und flexibel wie die andere und ich kann noch nicht 100 Prozent darauf geben. Aber das ist kein Problem, ich weiß, es kommt noch. Und ich möchte jetzt auch eben die Zeit mit ihr verbringen, jetzt über die nächsten Wochen, und besser kennenlernen und dann hoffentlich bald wirklich auch im Konzert einsetzen."
Um die neue Oboe einzuspielen, hat Juliana Koch extra nur sie in den Urlaub nach Deutschland mitgenommen. Die einstige Hauptoboe liegt in London. Das Loslassen schmerzt ein bisschen.
"Dann merkt man doch, wie sehr man an dieses Instrument gewöhnt ist und wie sehr das Teil von einem oder von mir ist."
Die Sommerpause nutzt Juliana Koch auch für eine kleine Oboen-Auszeit. Fünf Tage hat sie kein Instrument angerührt. Ein seltsamer Zustand, sagt die Oboistin.
"Irgendwie ich hab das Gefühl es verändert sich etwas im Gehirn. Also, dass ich irgendwie anders denke und wenn man sie dann wiederkriegt, dann denke ich: Ah, jetzt bin ich wieder komplett irgendwie, jetzt fühle ich mich wieder ganz."