Es begann nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor im Dezember 1941. Mit einem Mal waren alle Japanese Americans höchst verdächtig. "Spionage, Sabotage, Landesverrat" zischelte man ihnen nach. Doch dabei blieb es nicht: Sie wurden deportiert, zuerst die Männer, einige Monate später dann Frauen, Kinder und ältere Leute. Von dieser Deportation erzählt Julie Otsuka in ihrem Debütroman "Als der Kaiser ein Gott war". Im Zentrum stehen eine Mutter und ihre beiden Kinder aus Berkeley, Kalifornien. In der Stadt entdeckt die Frau Aushänge, auf denen alle japanisch stämmigen Anwohner aufgefordert werden, sich innerhalb weniger Tage zum Abtransport zu sammeln. So packt sie die Sachen und lässt auch den Familienpapagei frei.
"Sie öffnete das Fenster und setzte den Vogel draußen auf den Sims.
,Keine Bange', sagte der Vogel.
Sie kraulte ihn unter dem Kinn, und er schloss die Augen. ,Dummer Vogel', flüsterte sie. Sie machte das Fenster zu und verriegelte es. Jetzt saß der Vogel auf der anderen Seite. Er klopfte dreimal mit der Klaue an die Scheibe und sagte etwas, aber sie verstand es nicht. Sie konnte ihn nicht mehr hören.
Sie klopfte zurück.
,Geh', sagte sie."
,Keine Bange', sagte der Vogel.
Sie kraulte ihn unter dem Kinn, und er schloss die Augen. ,Dummer Vogel', flüsterte sie. Sie machte das Fenster zu und verriegelte es. Jetzt saß der Vogel auf der anderen Seite. Er klopfte dreimal mit der Klaue an die Scheibe und sagte etwas, aber sie verstand es nicht. Sie konnte ihn nicht mehr hören.
Sie klopfte zurück.
,Geh', sagte sie."
Prägnant und präzise
Kleine Szenen und kurze Sätze sind Julie Otsukas große Stärke: visuell prägnant, emotional präzise, doch ohne aufgeladene Symbolik oder extrabedeutsame Dialoge. Dass hier Entsetzliches passiert, spürt man auch so.
In Otsukas Debütroman ist ganz offensichtlich viel Familiengeschichte eingeflossen. Denn auch ihre eigene Mutter wuchs in Berkeley auf und wurde als Kind deportiert. Zuerst kam sie mit ihren Angehörigen in ein Sammellager auf der Trabrennbahn Tanforan in Kalifornien. Dann ging es mit dem Zug ins Wüstenlager Topaz in Utah. Auf dieser Deportationsroute bewegen sich auch Julie Otsukas Romanfiguren: die Mutter, ihr siebenjähriger Sohn und die Tochter, die ungefähr so alt ist wie einst Julie Otsukas eigene Mutter.
"Sie war damals ziemlich jung. Sie war zehn. Es war für sie sehr traumatisch, aus ihrem Alltag, ihrem bis dahin sehr normalen amerikanischen Leben gerissen zu werden. Es war auch sehr schwer zu sehen, wie es ihren Eltern anschließend ging. Als sie nach dem Krieg zurückkamen, waren sie sehr arm. Sie hatten ja alles verloren und mussten nochmal ganz von vorne anfangen."
Sonne, Sand, Warteschlangen
Vor dem Krieg war Julie Otsukas Familie wohlhabend. Ihr Großvater mütterlicherseits war Hauptgeschäftsführer einer japanischen Import-Export-Firma mit Sitz in San Franzisco. Nach dem Krieg gab es das alles nicht mehr. Otsukas Mutter erzählte nur sehr wenig vom Lager – und wenn, waren es Anekdoten. Weil es darin oft um Sonne, Sand und die Warteschlangen an der Essensausgabe ging, dachte Julie Otsuka als Kind, die Mutter würde von einem Ferienlager sprechen. Erst später erkannte sie die Untiefen in den Geschichten, sagt sie:
"Ich denke sogar, dass ich Autorin wurde, weil in unserer Familie so viel geschwiegen wurde. Schreiben ist ja auch eine Art Detektivarbeit. Ich wusste, dass es da eine geheime Geschichte gab, über die nicht geredet wurde. Kinder merken das irgendwie. Außerdem fühlte ich, dass es viel Trauer und Zorn in meiner Familie gab. Aber all dies blieb sehr sublim und meist unter der Oberfläche."
Julie Otsuka begann zu recherchieren. Die zeithistorischen Elemente müssen der Autorin, die selbst erst 1962 geboren wurde, gut gelungen sein. Der Autor Gene Oishi, der als japanisch-amerikanischer Junge selbst in einem der Lager war, attestierte ihren Beschreibungen jedenfalls große Realitätsnähe. Dies gilt sowohl für den kalifornischen Alltag als auch für das Leben im Lager Topaz, inmitten von Baracken, Zäunen und Wachtürmen.
"An ihrem ersten Tag in der Wüste hatte seine Mutter gemahnt: ,Pass auf.'
,Halte dich fern vom Stacheldrahtzaun', hatte sie gesagt, ,und sprich die Wachen in den Türmen nicht an.
Schau nicht direkt in die Sonne.
Und denk daran, niemals den Namen des Kaisers auszusprechen.'"
,Halte dich fern vom Stacheldrahtzaun', hatte sie gesagt, ,und sprich die Wachen in den Türmen nicht an.
Schau nicht direkt in die Sonne.
Und denk daran, niemals den Namen des Kaisers auszusprechen.'"
Der Tenno als Staatsfeind Nummer 1
Gemeint ist der japanische Kaiser. Er war Oberbefehlshaber der japanischen Streitkräfte und für die Amerikaner damit Staatsfeind Nummer 1. Das war noch die Zeit, "Als der Kaiser ein Gott war", zumindest nach schintoistischer Lehre. Aber glaubten die japanischen Amerikaner wirklich noch an diese Göttlichkeit?
"Nein! Die Japanese Americans an der amerikanischen Westküste hatten schon lange keine Verbindung mehr zum japanischen Kaiser. Vor allem die nicht, die in den USA geboren wurden, wie meine Mutter und ihre Generation. Die wussten nicht mal, wer der Kaiser genau war. Sie haben also sicherlich nicht gedacht, dass er ein Gott sei."
Die Amerikaner aber befürchteten dies und teilten in ihren Lagern Fragebögen zur Loyalität aus. Zwei Fragen standen darin zentral, liest man bei Julie Otsuka. Erstens: Würden Sie für die amerikanische Armee kämpfen? Und zweitens: Schwören Sie Ihrer Treue zum japanischen Kaiser ab? Eine tückische Prüfung, weil die meisten Japaner dem Tenno gar nicht treu waren und es also nichts zum Abschwören gab. Und weil manche auch nicht bereit waren, für ein Land zu kämpfen, das ihre Familien internierte. Doch wer beide Fragen mit Nein beantwortete, wurde ein No-No-Boy genannt und schwer bestraft. Von einem solchen No-No-Boy erzählte der Autor John Okada schon 1957 in einem Roman. Und auch der bereits zitierte Gene Oishi publizierte in den 80er-Jahren seine Lagererfahrungen. Es gab also einige Texte über die Camps. Sehr verbreitet aber waren sie nicht, als Julie Otsuka in den 90er-Jahren mit der Arbeit an ihrem Roman begann.
"Ich war überrascht, dass es vor mir nicht viel mehr Romanautoren gab, die über die amerikanischen Lager im Zweiten Weltkrieg geschrieben hatten. Eigentlich fand ich, dass ich die Geschichte meiner Familie sehr spät erzählte. Beim Schreiben dachte ich deshalb die ganze Zeit, es müssten zeitgleich Dutzende andere Japanese Americans ein ähnliches Buch schreiben. Ich denke, sehr lange hat niemand die Geschichte hören wollen, die wir zu erzählen hatten."
Verschiedene Erzählperspektiven
Julie Otsuka hat sie erzählt: in ihrem Debütroman und auch in ihrem zweiten Roman "Wovon wir träumten", der schon früher ins Deutsche übertragen wurde. Auffällig ist Otsukas Umgang mit verschiedenen Erzählperspektiven. Begleitet in den ersten Kapiteln eine personale Erzählerin Mutter, Tochter und Sohn, erzählen die Geschwister anschließend aus der Wir-Perspektive, bevor am Ende auch der Vater noch zu Wort kommt. So nimmt Julie Otsuka einzelne Figuren zeitweise in den Blick, lässt sie dann aber auch wieder in Ruhe. So gelingt ihr in diesem berührenden Roman ein Kunststück: ihren Figuren erzählerisch den Raum zu geben, den sie eingepfercht im Lager nicht haben.
Julie Otsuka: "Als der Kaiser ein Gott war"
aus dem amerikanischen Englisch von Irma Wehrli
Lenos Verlag, Basel. 192 Seiten, 22 Euro.
aus dem amerikanischen Englisch von Irma Wehrli
Lenos Verlag, Basel. 192 Seiten, 22 Euro.