Während die Menschenmenge im Minsker Park der Völkerfreundschaft "Ma-ri-ja!" ruft, formt die auf der Bühne stehende Frau ihre Hände zu einem Herzen. Diese Geste ist zu ihrem Markenzeichen geworden.
"Hallo Minsk, meine geliebte Stadt!", ruft sie auf Belarussisch und fährt dann auf Russisch fort:
"Ich heiße Maria Kalesnikava. Ich vertrete das Wahlkampfteam von Viktor Babariko. Noch vor drei Monaten war ich mit meinem Leben absolut zufrieden. Bin ich jetzt zufrieden? Nein, bin ich nicht. – Ich bin glücklich! Glücklich, an diesem Ort zu sein. Glücklich, Sie und Ihre strahlenden Augen zu sehen. Glücklich, dass wir gemeinsam das Land verändern können."
Drei Frauen wollen eine politische Wende
Maria Kalesnikava, die 13 Jahre lang als Musikerin in Stuttgart arbeitete, ist eine der drei Frauen, die das Trio bilden, das Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko von der Macht in Belarus verdrängen will. Als dem früheren Bankmanager Viktor Babariko, dem früheren Botschafter Walerij Zepkalo und dem Videoblogger Sergej Tichanowskij eine Kandidatur aus verschiedenen Gründen verweigert wurde, und weil zwei von ihnen inzwischen in Untersuchungshaft sitzen und der Dritte Belarus verlassen musste, haben sich Maria Kalesnikava und Weronika Zepkalo mit Swetlana Tichanowskaja zusammengeschlossen.
Vor einigen Tagen erreichen wir aus dem Deutschlandfunk-Studio in Moskau Maria Kalesniskava über Skype in ihrem Wahlkampfbüro in Minsk.
"Unser Ziel ist der Sieg. Unsere Strategie: Wir vereinen alle Belorussen, also die größtmögliche Anzahl von Wählergruppen, die gegen die derzeitige Staatsmacht sind und für Swetlana Tichanowskaja stimmen. Das ist unsere Hauptbotschaft."
Deutschlehrerin als einzige Oppositionelle
Tichanowskaja ist die einzige wirkliche Oppositionskandidatin bei dieser Wahl. Von Beruf ist sie Englisch- und Deutschlehrerin und hatte bis vor wenigen Monaten mit Politik nichts zu tun. Dass sie zur Wahl zugelassen wurde, wird damit erklärt, dass Amtsinhaber Alexander Lukaschenko politische Ambitionen von Frauen grundsätzlich nicht ernst nehme - doch was seitdem geschieht, hat er womöglich so nicht erwartet.
Denn die drei Frauen fuhren viele Tage lang unaufhörlich durch das ganze Land, treten auch in ländlichen Regionen auf. Weil die Staatsmedien sie weitgehend ignorieren, bespielen sie die sozialen Netzwerke. Überall kommen viele Menschen zu ihnen, mal Tausende, mal Zehntausende, je nach Größe des Ortes. In Minsk sollen es mehr als 60.000 gewesen sein, die größte politische Kundgebung seit wohl 30 Jahren.
Dabei verspricht die 37-jährige Tichanowskaja in ihren Reden nicht viel.
"Ich bin nicht in die Politik gegangen wegen der Macht, sondern wegen der Gerechtigkeit. Wenn ich Präsidentin der Republik Belarus werde, werde ich drei Dinge tun: Als erstes befreie ich alle politischen Gefangenen und die, die aus wirtschaftlichen Gründen einsitzen. Zweitens führe ich ein Referendum zur Wiedereinsetzung der Verfassung von 1994 durch, die eine Begrenzung der Macht des Präsidenten und seiner Amtszeiten enthält. Drittens: Innerhalb eines halben Jahres schaffe ich die Voraussetzungen für eine ehrliche, unabhängige Wahl eines neuen Präsidenten und führe sie durch. Und diesen Präsidenten werden Sie wählen!"
Die Zahl der Oppositionsanhänger steigt
Viele Anhänger tragen ein weißes Armband, das zu einem Erkennungszeichen unter ähnlich Denkenden geworden ist. Andere schwenken die alte weiß-rot-weiße Landesfahne. Diese galt, bis Lukaschenko eine andere einführte.
In Minsk sagt eine Sympathisantin der Oppositionskandidatin ins Mikrofon von Radio Swoboda:
"Mein Wunsch ist es, Solidarität auszudrücken und mit meinem Land zusammen zu sein. Es ist einfach ein riesengroßes Glück, Belarussen vereint zu sehen, Belarussen in positiver Stimmung zu sehen, Belarussen friedlich zu sehen, wie sie sich den Wandel im Land wünschen. Wir wollen, dass heute Musik zu hören sein wird, dass Menschen lächeln und dass es ehrliche Wahlen gibt."
Musik ist dann tatsächlich zu hören. Auf den Kundgebungen wird regelmäßig das Lied "Mury" gespielt, gesungen in belarussischer Sprache. Es erzählt von der Zerstörung eines Gefängnisses, in dem die Menschen leben müssen. "Wenn Du Freiheit willst, nimm sie Dir. Die Mauer wird bald fallen."
Wer protestiert, wird verhaftet
Mury gab schon Menschen in Spanien Kraft, die sich gegen die Franco-Diktatur auflehnten. Es wurde in Polen gesungen, als sich in den 80er-Jahren die Gewerkschaft Solidarność anschickte, das Land zu verändern. Immer wurde es an die Landessprache und an die Umstände angepasst. Und die Melodie war auch in Belarus 2010 schon zu hören. Damals, nach einer Präsidentschaftswahl, die Alexander Lukaschenko nur durch massive Wahlfälschung gewann, knüppelten Spezialkräfte die Demonstranten auseinander.
Danach erließ die Europäische Union Sanktionen gegen das Land. Alexander Lukaschenko ist nach wie vor im Amt. Die Sanktionen sind inzwischen wieder aufgehoben, nachdem politische Gefangene wieder freigelassen wurden.
"Wofür?", ruft dieser Demonstrant, der von schwarz uniformierten Sondereinsatzkräften in einen ihrer berüchtigten Vans geschleppt wird. Den ganzen Sommer über hat es im ganzen Land oftmals willkürliche Festnahmen gegeben. Wo immer Menschen in Schlangen anstanden, um ihre Unterschrift für Oppositionelle abzugeben oder sich aus Protest gegen Festnahmen Menschenketten bildeten, tauchten die Vans auf. Auch Journalisten wurden bei laufender Kamera von Männern in Zivil angesprungen und weggezerrt.
Manche sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Menschenrechtler in Belarus zählen wieder mehr als 20 politische Gefangene.
Erinnerungen an die Sowjetdiktatur
Die Demonstranten blieben, bis auf insgesamt wenige Ausnahmen, friedlich. Maria Kalesnikava, eine der drei oppositionellen Frauen, fühlt sich an die Sowjetdiktatur erinnert.
"Ihre Methoden haben sich nicht geändert: Das ist Furcht, das sind Schlagstöcke, damit die Leute nicht auf die Straße gehen. Das sind die Schwarzen Krähen, also die Autos, in denen unter Stalin Leute weggebracht wurden, und heute sind es vergitterte Polizeibusse. Also ein bisschen modernisierte Schwarze Krähen. Zum Glück für uns sind diese Mittel so antiquiert und funktionieren nicht. Weil klar ist, dass man zwar alle verängstigen kann, das aber nicht permanent tun kann."
Das allerdings ist erst einmal nur eine Hoffnung, zumal Amtsinhaber Alexander Lukaschenko schon oft bewiesen hat, mit welchen Mitteln er seine Macht zu sichern bereit ist.
Lukaschenko warnt vor den "Alternativlingen"
Am Dienstag dieser Woche wandte er sich in der sogenannten Poslanje, einer Art Rede an die Nation, direkt an die Beamten, an die Sicherheitskräfte – an all jene also, die er im Fall von noch größeren Demonstrationen für einen Verbleib im Amt benötigen wird.
"Der Staat lässt Sie nicht im Stich. Er wird Euch beschützen. Wir werden diesen Extremisten beikommen. Deshalb: Sorgen Sie sich nicht. Nicht um Ihr Leben, nicht um Ihre Sicherheit, nicht um die Sicherheit Ihrer Kinder. Das garantiere ich Ihnen."
Lukaschenko sprach anderthalb Stunden lang. Welche politischen Pläne er für die nächsten fünf Jahre hat, darüber sprach er nur kurz. Er will Industriezweige modernisieren, Löhne und Renten erhöhen. Doch all das sind keine neuen Vorhaben. Emotional wurde er, als er die Vorschläge Swetlana Tichanowskajas direkt auf- und angriff.
"Nun einige Worte über Reformen und Wandel. Der Aufruf der Alternativlinge, den Wandel durch die Rückkehr der stürmischen 90er-Jahre zu realisieren, und die Verfassung von 1994 wiedereinzuführen, ist ein Geschenk an Kriminelle."
Drohgebärden und Festnahmen vor der Wahl
Der 65-Jährige entwarf ein Bild, in dem solche Ideen direkt in die Zeit zurückführten, die er selbst durchlitten und erfolgreich überwunden habe. Doch nun drohten wieder grenzenlose Privatisierung, die Herrschaft von Clans und letztlich der Untergang des Staates, warnte er.
"Das will ich nicht. Und mit mir wird es das nicht geben. Das wird es nicht geben, solange ich lebe."
Die Polizei reagierte umgehend: Schon am Abend nach der Rede gab es wieder Festnahmen. Die Kundgebungen der Opposition wurden wieder stärker behindert - durch plötzlich beginnende Bauarbeiten, oder weil die ursprünglich zugesagten Plätze ebenso plötzlich mit anderen Veranstaltungen belegt waren. Eine zweite in Minsk geplante Kundgebung durfte gar nicht stattfinden.
Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigt
Der Minsker Politologe Walerij Karbalewitsch sieht verschiedene Gründe, derentwegen die Unzufriedenheit immer weiterwachse. So stagnierten das Einkommensniveau und das Wirtschaftswachstum schon seit Jahren; für viele sei es sogar gesunken. Hinzu komme die Corona-Politik des Staatschefs:
"Die Angestellten des öffentlichen Dienstes sind unzufrieden. Nicht nur wurde keine Quarantäne verhängt, wie in allen benachbarten Ländern, sondern es wurden öffentliche Großveranstaltungen durchgeführt. Die Fußball-Liga spielte, die großen Reinemachaktionen fanden statt, auch die Siegesparade zum Ende des Zweiten Weltkrieges, die Kinder wurden zur Schule geschickt, der Unterricht nicht abgesagt."
Der Präsident jedoch sieht sich im Recht. Die Pandemie erschüttere die Welt, doch Belarus sei ein Ruhepol geblieben, sagte er in seiner Rede an die Nation.
'Frische Luft, Sauna und Wodka' gegen Corona
Die Aufregung rund um das Virus hatte er schon im Frühjahr als Psychose bezeichnet und zur Prophylaxe Arbeit an der frischen Luft, Wodka und den Besuch der Sauna empfohlen. Erst kürzlich räumte er zwar ein, auch er habe sich infiziert, jedoch alles problemlos überstanden – ohne Symptome.
Der Politologe Walerij Karbalewitsch dagegen verweist auf konkrete Folgen der Pandemie:
"Viele Belarussen fahren zur Arbeit über die Grenze. Nach Einschätzung von Experten etwa 800.000 Menschen. Doch dann passierte das mit dem Coronavirus, die Grenzen sind geschlossen und alle Arbeitsmigranten sind nach Belarus zurückgekehrt. Ohne Arbeit, ohne Einkünfte wurden sie auch Zündstoff dieser Proteste gegen Lukaschenko. Überhaupt kann man sagen, dass sich gegen ihn Leute ganz unterschiedlicher Weltanschauungen, Rechte und Linke zusammenschließen: Der Hauptschuldige aller Probleme ist Lukaschenko, und deshalb muss er gehen."
Wie viele Covid-19-Erkrankte, wie viele Tote es tatsächlich gibt, ist öffentlich nicht bekannt. Das Misstrauen in die amtlichen belarussischen Statistiken ist groß. In sozialen Netzwerken und in den wenigen nicht-staatlichen Medien gab es viele Posts und Berichte zum Beispiel über Ärzte, die zwar im Akkord Kranke behandeln mussten, dabei aber auf viel zu wenige Masken oder Schutzausrüstung zurückgreifen konnten.
Unterstützung für Lukaschenko vom Land, von Staatsdienern
Dennoch kann der Präsident nach wie vor auch auf Unterstützung aus verschiedenen Milieus zählen. Meist werden die ländliche Bevölkerung dazu gezählt, Beamte und Bedienstete in den Polizei- und Geheimdiensten. Seine Warnungen vor Chaos und Zerfall stoßen auf viele offene Ohren.
Seine Wähler zu finden, ist nicht einfach, weil viele nicht in der Öffentlichkeit sprechen möchten. Doch dem russischsprachigen Medium Meduza ist es gelungen, unter anderem mit Dmitrij zu sprechen. Der ist 25 Jahre alt, arbeitet als Fahrer in einem staatlichen Unternehmen und beschreibt, was er an der Politik des Staatsoberhaupts schätzt.
"Unter Lukaschenko fühle ich mich, fühlen meine Familie und meine Angehörigen sich nicht schlecht. Alle haben die Möglichkeit zu arbeiten, einen grundsätzlich anständigen Lohn zu bekommen, sodass es zum Leben reicht. Man kann sogar etwas zurücklegen für den Urlaub im Ausland am Meer. Ich war im vergangenen Jahr in Italien. Oppositionsmedien sagen, wir hätten niedrige Löhne. Also, ich arbeite als gewöhnlicher Fahrer und verdiene monatlich umgerechnet etwa 300, 350 Dollar. Alle haben ein Auto, eins oder sogar zwei."
Wie viel Rückhalt der amtierende Präsident wirklich genießt, kann jedoch nicht eingeschätzt werden, weil es keine aktuellen unabhängigen Umfragen gibt. Ebenso ist es nicht möglich, die Popularität von Konkurrentin Swetlana Tichanowskaja in Zahlen zu bestimmen.
Aufregung über russische Paramilitärs in Belarus
Unterlegt von dramatischer Musik werden vor etwas mehr als einer Woche im Staatsfernsehen 33 Festgenommene und ihre Pässe präsentiert. Es soll sich um Bürger der Ukraine und Russlands handeln; sie seien Söldner der russischen paramilitärischen Wagner-Truppe. Die ist dafür bekannt, mindestens unter Duldung des Kremls inoffizielle, verdeckte Kampfeinsätze in verschiedenen Ländern zu führen, darunter im Osten der Ukraine, in Libyen, Syrien und Venezuela.
Alexander Lukaschenko warf Moskau vor, die 33 Kämpfer hätten in Belarus auf das Kommando gewartet, Unruhen zu stiften. In Moskau wurde widersprochen, die Männer hätten sich auf der Durchreise nach Istanbul befunden.
"Hören Sie nicht auf diese Lügenmärchen. Die braucht niemand. Wir haben unser eigenes Land. Das Land hat Gesetze. Als ob unsere verwandten russischen Brüder und ihre Führung diese Gesetze nicht kennen würden. Sie kennen sie!"
Was die Kämpfer genau in Belarus taten und welche Version stimmt, ist unklar. Das meiste, was bekannt ist, beruht auf Angaben aus Minsk und ist nicht zwangsläufig glaubwürdig.
Warum Lukaschenko Drohszenarien aufbaut
Auffallend ist jedoch, wie deutlich der belarussische Präsident auf Konfrontationskurs zu Russland geht. Die Festnahme der mutmaßlichen Wagner-Söldner kann als offener Affront bewertet werden, denn schon über die Existenz solcher Kämpfer wird in der russischen Politik nicht laut gesprochen.
Lukaschenko versucht, Russland als Bedrohung für sein Land darzustellen, vor der nur er in der Lage ist, es zu schützen. Zwischen den Zeilen schwingt das Beispiel der Ukraine mit, das abschreckend wirken soll: Die Annexion der Krim, der Krieg in der Ostukraine seien auch durch verdeckte Operationen vorbereitet worden.
"Ja, noch gibt es keinen offenen Krieg. Sie schießen nicht. Noch haben sie den Abzug nicht gedrückt. Aber die Versuche, eine Schlacht im Zentrum von Minsk zu beginnen, sind offensichtlich. Gegen Belarus werden Milliarden in Stellung gebracht, die allerneusten Technologien mobilisiert."
Seine Vorwürfe hat er durch Fakten nicht belegt.
Moskau hat seinerseits bislang auffallend sanft reagiert. Es verlangt die Freilassung der Männer – aber auch nicht viel mehr. Das erklären Beobachter damit, dass der Kreml dem belarussischen Präsidenten die Eskapaden durchgehen lasse, solange sie ihm nützten, an der Macht zu bleiben. Lukaschenko, der schon länger als Wladimir Putin regiert, sei zwar kein einfacher Partner, jedoch berechenbarer als eine mögliche Nachfolgerin. Und man kennt in Moskau die volkswirtschaftlichen Kennzahlen: Belarus ist ökonomisch von Russland abhängig. Ein Blick auf die Erdöl- und Gaslieferungen genügt.
Die verbale Eskalation mit Russland kann der belarussische Langzeitherrscher zusätzlich damit verbinden, Swetlana Tichanowskaja zu diskreditieren. Ihr in Untersuchungshaft sitzender Mann habe geschäftliche Verbindungen nach Russland unterhalten. Die Tichanowskijs seien von Moskau gesteuerte Marionetten. Ihre Kinder hat Swetlana Tichanowskaja nach Bedrohungen inzwischen in ein EU-Land bringen lassen.
Widerstand kommt nur zögernd
"Wir sind so müde, in einer so unfassbaren Diktatur zu leben. Mehr als die Hälfte meines Lebens. Und dabei ist uns ja klar, wie es eigentlich sein müsste, wir sind ja Europäer, gebildet und klug."
Das sagt Anna Sewerinez, sie ist Lehrerin und Schriftstellerin. Sie weiß: Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen werden in den Wahllokalen die Abstimmung beaufsichtigen und am Ende auszählen. Ihnen wird gesagt werden, wie sie die Zahlen zu verändern haben, damit Lukaschenko mit großem Abstand zum Sieger erklärt werden kann.
Lehrer sind vom Staat abhängig, zumal in kleineren Städten oder auf dem Land. Trotzdem hat Anna sie in einem offenen Brief dazu aufgefordert, sich nicht vor Konsequenzen zu fürchten, und diesmal nicht zu fälschen. Kurz zuvor hatte sie ein Gedicht über den Präsidenten gepostet. Daraufhin wurde ihr Vertrag an einer staatlichen Schule nicht verlängert. Sie wird nun ab September an einer privaten Schule in Minsk unterrichten.
Warum sie diesen Aufruf nicht schon vor anderen Wahlen verfasst hat?
"Tatsächlich aus Blödheit. Auf der einen Seite hatte ich nicht so eine innere Kraft. Ich fand keine Worte, kein inneres Pathos. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich nie das Gefühl, dass wir, die zum Protest neigenden Belarussen, in der Mehrheit sind. Wir sind immer sehr lange sehr geduldig."
Versuche, dem Wahlbetrug vorzubeugen
Dass die Geduld bei immer mehr Menschen endlich ist, dafür steht eine weitere Zahl: Bei der Online-Plattform Golos - zu Deutsch Stimme - haben sich mehr als 800.000 Menschen registriert. Sie wollen nicht nur wählen gehen, sondern auf der Plattform auch anonymisiert hinterlegen, wie sie abgestimmt haben. Damit, so das Kalkül, soll der Staatsmacht die Fälschung der Wahl erschwert werden. Denn: International unabhängige Beobachter wird es nicht geben. Die OSZE erklärte, man sei zu spät eingeladen worden. Wichtig sei nicht allein der Wahltag, sondern auch die Wochen davor.
Das alles führt zur nun wichtigsten Frage: Was wird nach der zu erwartenden Bekanntgabe, dass der alte Präsident auch der neue sein soll, in Belarus geschehen? Die Antwort darauf kennt niemand. Diskutiert werden verschiedene Szenarien. Viele Beobachter rechnen mit Protesten, deren Größe und Durchhaltewillen jedoch Spekulation sind.
Maria Kalesnikava, die mit der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja so viele Menschen anzieht wie schon lange keine Politikerin mehr in Belarus, ist sich sicher:
"Den Volkswillen kann man nicht fälschen. Die Staatsmacht kann versuchen, das zu tun, aber in dem Moment trägt sie selbst die Verantwortung für das, was in der Gesellschaft geschieht. Von unserer Seite aus rufen wir das Volk von Belarus nicht dazu auf, auf die Straße zu gehen. Das ist unsere offizielle Position. Weil wir nur für friedlichen Wandel sind. Wir wissen, wozu die Staatsmacht fähig ist. Und wir sind der Auffassung, dass die wichtigsten Werte das Leben und die Gesundheit der Menschen sind."
Für den Fall von Protesten, die aus Sicht der Staatsmacht illegal sind, kündigte der Präsident an:
"Wir verlangen nichts Übernatürliches. Halte Dich an das Gesetz des Landes. Wenn Du es jedoch verletzt, wird die Reaktion blitzschnell und die Gegenwehr die härteste sein."
Niemand zweifelt daran, dass er meint, was er sagt.