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Junge Flüchtlinge in Deutschland
Unbegleitet, minderjährig und vermisst

Tausende minderjährige Flüchtlinge werden in Deutschland vermisst. So auch der 17-jährige Ahmad E. Er verschwand aus einem Flüchtlingsheim im Erzgebirge, wurde einen Tag später von der Polizei aufgegriffen und galt trotzdem monatelang als vermisst - kein Einzelfall in Deutschland. Falsch erfasste Personalien sind eine der Ursachen.

Von Christian Werner und Tarek Khello |
    Jugendliche Flüchtlinge sitzen in einer zentralen Inobhutnahme für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
    Jugendliche Flüchtlinge sitzen in einer zentralen Inobhutnahme für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. (dpa-Bildfunk / Carsten Rehder)
    Im Februar dieses Jahres ist ein 17-jähriger syrischer Junge in Sachsen verschwunden. Er ist einer von über 200 Minderjährigen, die zu jenem Zeitpunkt in der Polizeidirektion Chemnitz als vermisst gemeldet sind. In der ganzen Bundesrepublik sind es im Frühjahr 2016 über 5000 minderjährige Flüchtlinge, von denen keiner weiß, wo sie sich aufhalten.
    Der 17-Jährige heißt Ahmad. Der Syrer ist aus einem Asylbewerberheim im Erzgebirge verschwunden, in dem Minderjährige untergebracht sind. Die zuständige Polizeidirektion Chemnitz hat vorerst keine Spur von ihm, sagt Pressesprecherin Jana Kindt. Es werde aber nach ihm gefahndet.
    "Wir haben es hier mit einem Jugendlichen zu tun. Der Junge ist 16 Jahre alt. Er ist Ende Dezember in Leipzig angereist, und von Leipzig aus wurde er der Unterkunft in Bad Schlema zugewiesen. Dort kam er am 7. Januar an und ist unter Mitnahme seiner Sachen am 14. Januar verschwunden. Wir haben eine Anzeige bekommen von der Unterkunft, in der der Jugendliche untergebracht war. Der Jugendliche wurde in unserem polizeilichen Fahndungssystem erfasst und steht jetzt zur Fahndung. Das heißt, wenn er jetzt irgendwo europaweit aufgegriffen wird, dann haben wir die Möglichkeit, ihn anhand der von ihm genannten Personalien und der von uns genannten Personalien zu finden."

    Der Fall dieses verschwundenen Jungen löste sich später so auf: Ahmad wurde schon am Tag seiner Flucht aus dem Asylbewerberheim in Bad Schlema von der Bundespolizei aufgegriffen und in eine Unterkunft nach Rodewisch gebracht, rund 25 Kilometer von Bad Schlema entfernt. Und die Erfassung von Personalien, wie von der Polizeisprecherin beschrieben, ist noch lange keine Garantie dafür, dass die Verschwundenen tatsächlich korrekt identifiziert werden können, wenn die Polizei sie kontrolliert.
    Um zu verstehen, warum seit dem Frühjahr immer wieder Zahlen die Runde machen von verschwundenen Flüchtlingskindern und Jugendlichen, lohnt es sich, Ahmads Weg zu verfolgen.
    Keine Perspektive in der Unterkunft
    Erste Station bei der Suche nach dem Jungen ist Bad Schlema, rund 40 Autominuten von Chemnitz entfernt. Am Rande des verschlafenen Kurortes, der mit einem Radonheilbad wirbt, liegt die Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Alles wirkt grau und verlassen. Die Jugendlichen, die hier wohnen und Ahmad kennen, langweilen sich, sehen keine Perspektive, und ihre Unterkunft gefällt ihnen ganz und gar nicht. Sie kämen nicht einmal in die nächstgrößere Stadt, klagen sie, und in dem Heim gebe es nicht einmal WLAN. Für die Jungs ist ein Zugang zum Internet jedoch unverzichtbar, um mit ihren Verwandten und Bekannten in Kontakt zu bleiben. Sie finden die Unterkunft furchtbar. Deshalb habe sich Ahmad auch aus dem Staub gemacht.
    "Ich glaube, Ahmad ist wegen der schlechten Behandlung hier abgehauen. Uns allen gefällt es hier nicht. Wenn uns das Essen nicht schmeckt, sagen die Betreuer, dass ihnen das egal sei und wir halt bis zur nächsten Mahlzeit warten müssen. Wenn wir krank sind, glauben sie uns das nicht, und wenn wir Kleidung haben wollen, sagen sie uns, dass dafür kein Geld da sei."
    Die aus Syrien und Somalia stammenden Jungen erzählen, dass sie alle in den nächsten Wochen von hier verschwinden wollen.
    "Ja, alle wollen hier weg, ich will auch hier weg. Nach Frankfurt. Ich habe gehört, dass es dort schön ist."
    Sie berichten von den Leuten, mit denen Ahmad auf der gesamten Flucht aus Syrien zusammen gewesen sein soll, und zeigen auf Facebook einen Post mit einem Foto von Ahmad. Die Syrer, mit denen Ahmad nach Deutschland kam, suchen den Jungen auch.
    Die nächste Station der Suche ist Kretzschau, ein kleiner Ort bei Zeitz in Sachsen-Anhalt. Hier leben die Leute, mit denen Ahmad nach Deutschland kam, in einem ehemaligen Kinderferienlager, verteilt auf einige Bungalows. Sie alle kennen Ahmad von Kindesbeinen an. Eine Frau erzählt, dass er ihre jüngste Tochter auf den Schultern getragen habe, bei ihrem Fußmarsch von ihrem Dorf zur türkischen Grenze. Ein Mann berichtet, warum sie geflüchtet sind.
    "Wir sind vor dem Krieg geflohen. Immer ist unser Dorf von verschiedenen Seiten beschossen und bombardiert worden. Es war ein Schlachtfeld."
    Schließlich kam der IS und fast alle Einwohner des Dorfes flohen über Nacht in die Türkei.
    "Ahmad kommt aus meiner Heimat, und sein Vater ist ein Freund von mir. Ich musste auf Ahmad während der Flucht aufpassen. Wir sind zusammen gekommen. Die Flucht war sehr schwer. Zum Glück haben wir es geschafft."
    Drei Jugendliche gehen einen Flur entlang. Sie sind von hinten zu sehen.
    Viele unbegleitete Flüchtlinge werden wahllos in Unterkünfte verteilt, obwohl sie Freunde und Verwandte in Deutschland haben. (dpa / Uli Deck)
    Ahmads Eltern waren zu alt und zu krank für die lange Flucht
    Ahmads Eltern bleiben in der Heimat, sie sind zu alt und zu krank um zu fliehen. Doch sie wollen, dass ihr Sohn sich in Sicherheit bringt und eine Zukunft hat. In Begleitung der anderen Dorfbewohner wähnen sie ihren Jungen gut aufgehoben, so erzählt der Freund von Ahmads Vater. Tatsächlich übersteht die Dorfgemeinschaft die komplette Flucht gemeinsam, über die Türkei, das Mittelmeer und die Balkanroute.Nach all den Strapazen und Gefahren wird Ahmad in Deutschland von ihnen getrennt. Die Nachbarn bedauern, dass sie sich nicht weiter um den Jungen kümmern konnten. Einer der Männer hat ein schlechtes Gewissen.
    "Ahmad durfte nicht bei uns bleiben, weil er einen anderen Familiennamen hat. Er musste in ein anderes Heim, weil sie dort besser auf ihn aufpassen können, haben sie gesagt. Wir haben dann nach einer Woche den Kontakt verloren."
    Sie erzählen, dass Ahmad einen Onkel in Deutschland habe, zu dem er eigentlich wollte. Aber die Behörden hätten ihn woanders hingeschickt.
    Jugendliche Flüchtlinge brauchen Bezugspersonen
    Genau das kritisiert Tobias Klaus vom Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Kindeswohl stehe bei der Verteilung auf die einzelnen Bundesländer und Kommunen nicht im Vordergrund. Der vermisste Ahmad sei ein typischer Fall.
    "Wenn Jugendliche an der Grenze aufgegriffen werden und sich dann beispielsweise in München befinden, werden sie nach einer bundesweiten Quote verteilt, die jedem Bundesland eine gewisse Zahl an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zuweist. Und wer diese Quote noch nicht erfüllt hat, bekommt diesen Jugendlichen dann zugewiesen. Die Interessen der Kinder und Jugendliche und die Frage, wo sich Angehörige befinden, spielt leider nur eine untergeordnete Rolle, so dass es relativ üblich ist, dass Jugendliche erst deutschlandweit verteilt werden, dann in dem Bundesland eventuell noch mal verteilt werden, am Ende in einem Ort ankommen, in dem sie nicht sein wollen, an dem sich ihre Angehörigen nicht befinden."
    Viele Jugendliche machen sich selbst auf den Weg, um ihre Verwandten, Bekannten oder Freunde zu finden und bei ihnen zu leben. Wer die Flucht aus Syrien geschafft habe, lasse sich kaum von den hiesigen Vorschriften aufhalten, so Tobias Klaus. Es sei für die Heranwachsenden ein Drama, dass die Familienzusammenführung nicht klappe und sie oft weit ab von ihren Bezugspersonen leben müssten.
    "Wir haben es ja mit Jugendlichen zu tun, die oft alles verloren haben, die zum Teil schlimmste Erfahrungen auf der Flucht gemacht haben und ein unfassbares Ausmaß an Gewalt erlebt haben, was wir uns gar nicht vorstellen können. Und was wir am dringendsten brauchen ist, dass sie hier zu Bezugspersonen, zu Menschen gelangen können, zu denen sie eine Vertrauensebene wieder aufbauen können, zu denen soziale Bindungen bestehen, und dass es in einem Land wie Deutschland immer wieder scheitert, dass Jugendliche selbst zu nahen Angehörigen gelangen können, das ist eine Katastrophe, und da muss der Gesetzgeber dringend nachbessern."
    Ahmad wollte zu seinem Onkel
    Auch der verschwundene Junge Ahmad wollte zu seinem Onkel. Der wohnt in Siegen, im Sauerland. Weit weg vom Erzgebirge, von Bad Schlema, wo Ahmad zunächst untergebracht wurde. Der Onkel heißt Hussin Satouf und lebt schon seit anderthalb Jahren in Deutschland, hat eine Wohnung und Anfang des Jahres mit einem Sprachkurs begonnen. Er berichtet, wie sich Ahmads Eltern vor der Flucht der Dorfbewohner bei ihm nach dem Leben in Deutschland erkundigt haben.
    "Ahmads Eltern können nicht aus Syrien fliehen, und Ahmad war sehr gut in der Schule. Jetzt gibt es in unserer Region keine Schule mehr und da haben mich die Eltern gefragt, ob Ahmad hier zur Schule gehen und weiter lernen kann."
    Seit Ahmad jedoch von seinen Dorfnachbarn getrennt wurde, hat auch Hussin Satouf nichts mehr von ihm gehört. Er weiß nichts von Bad Schlema, er fühlt sich verantwortlich.
    "Ahmad wollte zu mir kommen. Er kennt hier niemanden. Er ist minderjährig, und seine Eltern hätten ihn nie hierher geschickt, wenn ich nicht hier leben würde. Ich sollte auf ihn aufpassen, mich um ihn kümmern. Als wir das letzte Mal telefoniert haben, hat er gefragt, wann er mich sehen kann. Ich habe ihm geantwortet, dass ich ihn in ein paar Tagen besuchen werde. Aber dann ist der Kontakt abgebrochen."

    Hussin Satouf macht sich Sorgen um seinen Neffen. Ist ihm etwas passiert? Gerät er auf die schiefe Bahn? Sechs Wochen nach seinem Verschwinden aus Bad Schlema hat die Polizei in Chemnitz noch immer keine Spur von dem Jungen.
    Ahmad wohnt in einem anderen Heim - und gilt als vermisst
    Die Reporter finden Ahmad schließlich über Facebook in einem Heim in Rodewisch, Sachsen, nur eine halbe Autostunde von Bad Schlema entfernt. Der Junge, der seit Wochen als vermisst gilt, von Polizei und Verwandten gesucht wird, wohnt seit sechs Wochen in einem anderen Heim. Seine Flucht war erstaunlich kurz. Er schildert selbst:
    "Ein Kumpel aus dem Heim und ich sind mit einem Zug gefahren, irgendwohin. Ich weiß nicht wohin. Als wir ausgestiegen sind, kamen zwei Polizisten. Ich hatte meine Papiere, mein Kumpel aber nicht. Wir mussten ein Formular ausfüllen, wo wir herkommen, wie wir heißen, wie lange wir hier sind und so weiter, und dann haben sie uns in dieses Heim gebracht."
    Mit anderen Worten: Ahmad wird schon am Tag seines Verschwindens von der Polizei aufgegriffen. Aber die Beamten in Chemnitz erfahren davon nichts. Leider komme das häufiger vor, erklärt die Pressesprecherin der Polizeidirektion Chemnitz Jana Kindt. Der Grund: falsch erfasste Personalien.
    "Eine Schwierigkeit auch in diesem Fall ist, dass wir die Personalien des Jugendlich nur anhand seiner Aussage haben. Er ist noch nicht registriert, und wir müssen ihm erst mal Glauben schenken, dass es sich bei ihm auch um diese Person handelt, deren Personalien er uns genannt hat."
    Oft lägen auch verschiedene Schreibweisen vor, sodass es keinen Fahndungstreffer gebe. Dass Ahmad sich weder bei seinem Onkel noch bei seinen alten Dorfnachbarn gemeldet hat, hat einen einfachen Grund: Er hatte sein Handy verloren. Mittlerweile ist wenigstens dieses Problem gelöst. Ahmad erzählt:
    "Es gibt hier einen libyschen Mitarbeiter, der Arabisch spricht. Ihm habe ich erzählt, dass ich seit langer Zeit keinen Kontakt mit meiner Familie habe, mit meinem Onkel. Ich habe ihm den Namen meines Onkels und die Namen der Bekannten aus dem Dorf gegeben. Der Libyer hat die Telefonnummer von meinem Vater herausgefunden, und ich konnte es kaum glauben, mit meinem Vater telefonieren zu können. Beim Klang seiner Stimme war ich sehr glücklich, und ich habe auch mit meiner Mutter gesprochen. Bis dahin hatte ich zwei Monate keinen Kontakt mit ihnen, und ich hatte auch nichts von ihnen gehört."
    Eineinhalb Monate nach seinem Verschwinden ist der 17-Jährige nun wieder aufgetaucht und aus den Fahndungslisten der Polizei gestrichen. Ahmad will jetzt in Rodewisch abwarten.
    "Ich will nicht illegal, sondern legal zu meinem Onkel, und deswegen bleibe ich jetzt hier. Wenn ich illegal dorthin will, kriege ich vielleicht Ärger und schaffe es nie, zu meinem Onkel zu kommen."
    Ahmads Fall ist einer von vielen, die im Frühjahr für Schlagzeilen sorgen - und die Zahl der vermissten minderjährigen Flüchtlinge steigt seitdem kontinuierlich. Anfang Januar sind es 4750, Ende April 8731, und im Juni rund 9000. Die meisten der Verschwundenen stammen aus Syrien, Somalia, Afghanistan, Eritrea, Marokko und Algerien. Viele dieser Minderjährigen sind wahrscheinlich auf dem Weg zu Verwandten oder Angehörigen, die entweder in Deutschland oder in einem anderen europäischen Land leben, und zu denen sie unbedingt wollen. Das ist auch dem Bundesinnenministerium offenbar seit längerem bekannt. In einer Antwort auf eine Anfrage des Deutschlandfunks heißt es:
    "Vielfach entfernen sich die Kinder nicht planlos, sondern sie haben oft ganz bestimmte Ziele – z.B. ihre Eltern, Verwandten oder Bekannten in anderen deutschen Städten oder im europäischen Ausland. Auf ihrem Weg dorthin gelangen sie in weitere Aufnahmeeinrichtungen, entfernen sich dort erneut, mit der Folge, dass weitere Vermisstenanzeigen erstattet werden."
    Grüne kritisieren Beschränkung des Familiennachzugs
    Womit sich auch der steile Anstieg der Zahlen erklären könnte. Obwohl die Bundesregierung diese Zusammenhänge offenbar kennt, reagiert sie nicht, kritisieren die Grünen. Luise Amtsberg ist flüchtlingspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Sie sagt:
    "Also ich glaube, die Bundesregierung muss (sich) erst einmal ihre Verpflichtung erneuern, dass das Kindeswohl vorne ansteht - und zwar bei allen gesetzlichen Regelungen, die wir machen. Dazu passt natürlich nicht, dass sie jüngst den Familiennachzug beschränkt hat in Deutschland, das ist für uns einer der absolut nicht nachvollziehbarsten Schritte, die die Bundesregierung jüngst unternommen hat. Denn damit sorgt sie dafür, dass minderjährige Flüchtlinge sich gezwungenermaßen alleine auf den Weg machen müssen und auf dem Weg natürlich auch Gefahren ausgesetzt sind. Das ist absolut nicht nachzuvollziehen. Das heißt, wir fordern ganz klar, die Familienzusammenführung zu gewährleisten, für alle minderjährigen Flüchtlinge und auch für Flüchtlinge in Deutschland, weil wir glauben, das ist einfach der einzige und einfachste Weg, um Menschen wirklich ankommen zu lassen und sie auch zu integrieren in Deutschland."
    Auch Tobias Klaus vom Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hält die gesetzlichen Regelungen für völlig unzureichend.
    "Wir haben weiterhin extrem hohe Hürden, wenn Minderjährige, die hier ankommen, zu ihren Angehörigen und Bezugspersonen an anderen Orten in Deutschland gelangen möchten, und auch das Integrationsgesetz hat hier keine Verbesserung gebracht. Das heißt, weiterhin müssen sich Minderjährige, die beispielsweise zu ihrer Cousine nach Hamburg wollen, selbstständig auf den Weg machen, und entziehen sich dann der jeweiligen Jugendhilfemaßnahme und werden als vermisst gemeldet."
    So wie Salah. Der 17-jährige Kurde aus Aleppo ist in Leipzig untergetaucht und lebt illegal bei Freunden, die eine eigene Wohnung haben. Salah kam Ende 2015 alleine nach Deutschland. Freunde und Verwandte von ihm lebten in Leipzig. Doch er wurde in ein Heim für Minderjährige in Nordsachsen, in Eilenburg gesteckt. Das ist immerhin in der Nähe von Leipzig. Doch in Eilenburg kannte er niemanden.
    "Alle meine Verwandten und Freunde leben in Leipzig. Ich kann nicht ständig hierher fahren, da ich kein Geld für die Fahrkarten habe, und ich möchte in Leipzig zur Schule gehen, dort wo meine Freunde sind."
    Da Salah auf offiziellem Weg nicht nach Leipzig durfte, nahm er das einfach selbst in die Hand. Seitdem gilt er als vermisst, wie Alexander Bertram, Sprecher bei der Polizeidirektion Leipzig bestätigt.
    "Ja, der Salah ist der Polizei gleich zwei Mal als vermisst gemeldet worden. Einmal ist er in seine Wohngruppe, in der er gewohnt hat, nicht zurückgekehrt, ist daraufhin von den Mitarbeitern des Jugendamtes als vermisst gemeldet worden. Irgendwann ist er aber in Leipzig angetroffen worden, ist dann aber nicht, obwohl er sollte, zur Wohngruppe zurückgekehrt, und wurde deswegen – weil dieser Termin verstrichen war - ein zweites Mal als vermisst gemeldet (worden)."
    Die Polizei ist mittlerweile von den zahlreichen verschwundenen unbegleiteten Minderjährigen überfordert. Denn jede Vermisstenanzeige erfordert einen gewissen Aufwand, sagt Polizeisprecher Alexander Bertram:
    "Nach Vermissten sucht die Polizei in verschiedenen Stufen. Bei Minderjährigen immer etwas intensiver als bei Erwachsenen. Je kleiner die Kinder sind bzw. je größer die Gefahr angenommen wird für diese Person, für den Vermissten, umso intensiver wird natürlich gesucht. Also für ein kleines Kind, was die elterliche Obhut verlassen hat oder nicht nach Hause zurückgekehrt ist, nach diesen Kindern wird sehr intensiv gesucht. Das kann mit Hubschraubern, mit Einsatzhundertschaften und ähnlichem passieren. Wenn es sich wie im vorliegenden Fall schon um Jugendliche handelt, dann werden eben Ermittlungen in der Regel im Umfeld aufgenommen. Bei jedem Minderjährigen allerdings, bei jeder Anzeige, die reinkommt bei der Polizei, wird eine Erstermittlung durchgeführt, also es wird gerade bei den unbegleiteten jungen Asylsuchenden eben die Wohnstelle aufgesucht. Dort wird gefragt, ob jemand vielleicht in Bild hat, ob derjenige irgendwo hingehen wollte, Angehörige hat usw. und diese Kontaktadressen werden abgeprüft."
    Falsche Registrierung ist ein großes Problem
    Auch Polizist Bertram erklärt, dass ein großes Problem bei den minderjährigen Flüchtlingen die falsche Registrierung sei – etwa durch Namensdoppelungen. Deswegen seien die Fahndungslisten oft nutzlos. Salah will sich erst wieder offiziell melden, wenn er volljährig ist. Für Tobias Klaus vom Bundesfachverband ist klar: Nur bessere Gesetze werden diese Zustände beenden:
    "Es gibt für die Jugendlichen keinen Rechtsanspruch, zu ihren Angehörigen zu gelangen, der effektiv durchsetzbar ist, sondern die Interessen der Kinder und Jugendlichen und das Kindeswohl werden bei der Verteilung nicht ausreichend beachtet bisher. Es klappt im Moment immer dann, wenn sich die beiden Jugendämter einigen, also wenn sich das Münchner Jugendamt mit dem Leipziger Jugendamt einigt und Leipzig sagt, wir nehmen den Jugendlichen auf, klappt es. Wenn da aber keine Einigung zustande kommt, bleibt den Jugendlichen oft nichts anderes übrig, als sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen, und dabei sind sie natürlich auch besonders verletzlich."
    Ahmad, der junge Syrer, der aus Bad Schlema verschwand, ist mittlerweile wieder in einem anderen Heim, aber nicht bei seinem Onkel in Siegen. Ob er je dahin kommen wird, ist weiter offen.