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Junge stilsichere Talente

Beim diesjährigen Klavierfestival Lucerne lag der Schwerpunkt lag natürlich bei Franz Liszt. Neben dem künstlerischen Nachwuchs wie Lise de la Salle und Georgierin Khatia Buniathisvili war mit Maurizio Pollini auch einer der letzten großen Altmeister zu hören.

Von Kirsten Liese |
    Natürlich ist der große Saal ausverkauft, wenn sich mit Maurizio Pollini der letzte solistisch noch Aktive unter den Klavierlegenden vergangener Jahrzehnte ankündigt.

    Auf dem Pianofestival in Luzern weist der Grand Seigneur eindrucksvoll nach, dass er auch nach über 50 Jahren nicht an pianistischer Ausdrucksfülle, Finesse und Fingerfertigkeit verloren hat. Besonders berührten seine Wiedergaben der späten Liszt-Stücke "Nuages gris" "Unstern", "La lugubre gondola" sowie die Klage um den in Venedig verstorbenen Richard Wagner. - Düstere Impressionen, die – wie Alfred Brendel es treffend formuliert- den Untergang der Tonalität und der menschlichen Persönlichkeit im Alter dokumentieren.

    Mit 23 Jahren könnte Lise de la Salle, die mit einem reinen Liszt-Programm nach Luzern kam, schon Pollinis Enkelin sein. Von einer Interpretin ihres Alters schon eine ausgeprägte Persönlichkeit zu erwarten, die sich an Altmeistern lisztscher Klaviermusik wie Horowitz, Rubinstein, Richter oder Arrau messen ließe, wäre gewiss zu viel verlangt. Immerhin besitzt die Französin das Potenzial, sich zu einer solchen zu entwickeln.
    Tatsächlich findet Lise de la Salle unter den Größen der Vergangenheit auch ihre wichtigsten Lehrmeister:

    "Schon merkwürdig, dass die Alten Meister schon nicht mehr unter uns sind. Es hat ja zweifellos auch was Gutes: So gibt es Raum für eine neue Generation, aber zugleich waren das natürlich solche Größen, dass es sehr schwer fällt, würdig ihr Erbe anzutreten."

    Mit der 24-jährigen Georgierin Khatia Buniathisvili, die ihren rasanten Aufstieg ihrem Entdecker und Mentor Gidon Kremer verdankt, präsentierte das Luzern Festival eine weitere noch sehr junge charismatische Interpretin.

    Unüberhörbar ist Khatia Buniatishvili schon in die Fußstapfen ihres Vorbilds Martha Argerich getreten. Wunderbar versonnen mit zartesten Pianotönen träumt sie sich in Brahms' Intermezzi hinein, - wie viel Kraft, Feuer, Angriffslust und Virtuosität in ihr steckt, zeigt sie bei Prokofjew, Strawinsky und Boulez.

    Natürlich ist die musikalische Entwicklung bei allem Ausdruckswillen und technischer Perfektion mit Mitte 20 noch lange nicht abgeschlossen. In den kommenden zehn, zwanzig Jahren werden die Nesthäkchen unter den Pianisten vor allem daran zu tun haben, sich von unguten Moden zu distanzieren. Übersteigerte Tempi zählen ebenso dazu wie extreme Anschlagshärten und übertriebene Kontraste.

    Unter den Pianisten der 40-bis 50-Jährigen nimmt vor allem der Kanadier Marc-André Hamelin für sich ein. Gleichermaßen ein vorzüglicher Musiker und intelligenter Kopf mit einem Faible für Haydn, Liszt und die Serielle Musik, besetzt er gewissermaßen die Leerstelle, die Alfred Brendel hinterlassen hat. Er selbst sieht sich keineswegs als einen Hypervirtuosen, zu dem er schon mehrfach deklariert wurde, ist er doch über alles Selbstdarstellerische ebenso erhaben wie über die Trends des zu Schnell- und zu Lautspielens:

    "Ich habe das Gefühl, dass einige von uns vergessen haben, dass wir in erster Linie Gefühle transportieren, essenzielle emotionale Erfahrungen. Musik hat nichts mit Olympischen Spielen zu tun. Setze ich virtuose Stücke aufs Programm, dann aber nicht, um zu zeigen, was ich technisch alles drauf habe. Vielleicht war das eine meiner Jugendsünden, aber jetzt bin ich 50 geworden und setze andere Prioritäten."

    Diese Einstellung korrespondiert ideal mit dem hohen Anspruch des Luzerner Pianofestivals, das – was auch die Auftritte von Alexei Volodin und Hélène Grimaud bezeugen - musikalische Könnerschaft höher wertet als Popularität. Und sich somit auch als eine wertvolle Orientierungshilfe für die Klavierszene empfiehlt. Unter all den Nachwuchskünstlern, die den Markt mit ihren Debütalben überschwemmen, filtert es instinktsicher die interessantesten Persönlichkeiten heraus. Und so gewinnt dieses kleinere Festival im Herbst neben der viel gerühmten Sommerausgabe zu Recht an Beachtung.