Lisa Meyer ist 25, als sie ihren gleichaltrigen Freund verliert. Zweieinhalb Jahre nach der Diagnose Leukämie stirbt Florian, der Maschinenbau studierte und leidenschaftlicher Handballer war.
Lisa Meyer erzählt: "Er ist zu Hause gestorben, das war auch sein Wunsch, er war dort palliativ betreut. Ich war dabei, er lag in meinen Armen. Und das allein ist ein Moment, der alles Bisherige aushebelt. Gar nicht mal, weil es so schlimm ist. Das ist einfach ein großer Moment. Schön und schlimm, und alles in einem, und unfassbar riesig."
Plötzlich ist ihr ganzer Alltag eingenommen von diesem "nie mehr".
"Für mich – und ich glaube, das ist auch individuell total unterschiedlich – war das ein Schmerz, der mich in meinem ganzen Erleben erfasst hat, psychisch, körperlich, jede Faser."
Der Tod kommt zu einer Zeit, in der das junge Paar Pläne schmiedet: Beide in der Ausbildung, mit Ideen für eine gemeinsame Zukunft. Um sie herum Freunde und Kollegen, die am Wochenende feiern gehen und das Leben vor sich haben. Das unterscheidet Lisa Meyer von älteren Witwen und Witwern.
"Es bleibt wenig von dem, worauf man vorher sein 'Ich' gebaut hat. Man ist im Sport nicht mehr leistungsfähig, das Umfeld verändert sich, Freundschaften brechen weg. Man ist im Job nicht mehr so funktionsfähig, wie man es mal war. Drum steht man erstmal vor einem Trümmerhaufen, nicht nur der äußeren Existenz: Vielleicht die Wohnung aus der ich ausziehen muss, oder finanzielle Sorgen, bürokratische Herausforderungen. Sondern auch vorm Trümmerhaufen der eigenen Identität."
"Zu einer Teenie-Beziehung degradiert"
Florians Tod liegt sechs Jahre zurück. Heute arbeitet Lisa Meyer als Journalistin. Und sie begleitet eine Selbsthilfegruppe von Witwen und Witwern, die um die 30 sind. Die Gruppe ist ein Angebot der Münchner Nicolaidis YoungWings Stiftung, die junge Trauernde berät und ihnen hilft.
"Gerade wenn man nicht verheiratet war, dann kann’s einem oft passieren, dass man zu so einer Teenie-Beziehung degradiert wird. Und dass man natürlich auch rechtlich keine Ansprüche hat. Dass man nicht erbt, dass man theoretisch alles hergeben müsste aus dem gemeinsamen Leben. Viele haben das Gefühl, als Trauernde nicht so ganz ernst genommen zu werden oder das schneller abhaken zu müssen. Dann sind die klassischen Sprüche: Du bist ja noch jung, das Leben geht weiter, du hast ja noch so viel vor dir – was aber wirklich eine Last sein kann für viele."
In Deutschland leben laut Nicolaidis Young Wings Stiftung eine halbe Million Menschen, die ihre Partner in jungen Jahren verloren haben: Durch Unfälle, Krankheiten oder Suizide. Die Trauergruppen haben Wartelisten, die Zahl der Anfragen steigt. Inzwischen gibt es spezielle Treffen für verwitwete Schwangere – und für Menschen, deren Partner bei Bergunfällen ums Leben kamen. Bundesweit existieren nur wenige vergleichbare Angebote, darunter der Verein ‚jung verwitwet‘, über den sich Betroffene miteinander austauschen können.
Was sie häufig feststellen: Der frühe Tod ist ein gesellschaftliches Tabu – noch größer als wenn jemand nach einem langen Leben stirbt, sagt Uschi Pechlaner, die bei der Nicolaidis Young Wings Stiftung den Bereich für trauernde junge Erwachsene leitet:
"Insofern, dass es wenig Raum gibt, über die eigene Trauer zu sprechen. Auch mit Freunden oder Familie drüber zu sprechen. Weil da ganz viel Angst auch da ist, etwas zu berühren, was vielleicht dann noch mehr Trauer öffnet, damit nicht umgehen zu können. Da ist viel nicht Kennen und damit auch nicht Können dabei."
Aushalten, was unaushaltbar ist
Was Lisa Meyer durch den Tod ihres Partners gemerkt hat:
"Das Wichtigste, was man dem Umfeld an die Hand geben kann, ist: Dass es bis auf ein paar praktische Dinge – wie bei Behördengängen unterstützen, mal einen Topf Suppe kochen – eigentlich nichts zu tun gibt. Das Einzige, was man tun kann – und das klingt wenig, ist aber sehr, sehr viel – ist mit aushalten, dass die Situation unaushaltbar ist. Das ist natürlich als Außenstehender, der ich helfen will, auch nicht leicht auszuhalten."
Darauf kommen junge Hinterbliebene in den Selbsthilfegruppen häufig zu sprechen: Welche Rolle soll die eigene Trauer im Freundeskreis spielen? Wie ist es mit Arbeitskollegen?
Aber auch: Wie komme ich dem Verstorbenen nahe? Immer wieder gehe es um Vorstellungen vom Jenseits, sagt Lisa Meyer. Was auch grundlegende philosophische und religiöse Fragen aufwirft:
"So eine Transzendenz und Spiritualität ist für viele, auch die damit vorher so gar nicht in Berührung waren, erstmal zumindest zwangsläufig auch ein Teil vom Erleben. Weil der Tod einfach über das hinausgeht, was wir greifen können, was wir verstehen können. Da kommt man in Kontakt mit Dimensionen, die man natürlich im Alltag sonst gut ausblenden kann."
Kirchen haben Jüngere nicht auf dem Schirm
Wer aber fasst das angemessen in Worte? Wo finden sich kompetente, einfühlsame Begleiterinnen und Begleiter? Die Kirchen als Orte für Trauer haben viele jüngere Menschen gar nicht auf dem Schirm. Traugott Roser, Professor für Praktische Theologie an der Universität Münster, sieht darin eine Herausforderung für die Seelsorge:
"Was ich weiß ist, dass gerade Menschen die sich als Verstandes- und Leistungsmenschen betrachten, durch eine Trauersituation Anteile in sich entdecken, von denen sie keine Ahnung hatten, dass sie da sind, und deswegen auch überfordert sind, damit umzugehen. Wo auch wenig Kommunikationsmuster, wo wenig Sprache ausgebildet ist, mit diesen Situationen umgehen zu können. Und hier können wir wirklich unterstützend sein."
Kirchengemeinden sollten ihre Angebote für junge Trauernde ausbauen, sagt der evangelische Theologe. Roser hält es für unbedingt notwendig, dass Hinterbliebene darüber reden können, was nach dem Tod kommt.
"Jenseits ist in der Sprache der Trauernden die Frage: Wo ist er denn nun? Wie geht es ihr? Die Vorstellung, dass der verstorbene Mensch unter der Erde liegt, kalt, das ist oftmals für Trauernde eine ganz furchtbare Vorstellung. Viel mehr als wir denken haben Trauernde ein Bilderleben. Und hier ist Sensibilität im Umgang geboten."
Für Lisa Meyer ist ihr verstorbener Freund Florian übergegangen in – wie sie sagt – "etwas größeres Gutes".
"Was bleibt, ist so ne Wehmut, so ne leichte Schwere. Das ist aber auch ein Gefühl, das sehr angemessen ist, und das mich nicht davon abhält, glücklich und zufrieden und in neuer Partnerschaft zu leben. Und was bleibt ist eine tiefe Verbundenheit mit meinem verstorbenen Freund, mit den gemeinsamen Erlebnissen – auch das ist sehr wertvoll.