Wichtig sei vor allem eine Debatte darüber, wie das Rentensystem ab dem Jahr 2030 funktionieren soll. Den Mut, diese Diskussion zu führen, sehe er bei der großen Koalition bislang nicht, betonte Ziemiak. Es sei eine "Koalition der kleinen Kompromisse, des kleinsten gemeinsamen Nenners". Er wünsche sich deshalb, dass es nach den kommenden Bundestagswahlen keine Große Koaltione mehr geben wird.
Wichtig sei eine Diskussion ohne ideologische Scheuklappen, auch über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit müsse man sprechen. Die Menschen in Deutschland lebten immer länger und gesünder, das müsse bei der künftigen Berechnung der Arbeitszeit stärker berücksichtigt werden, sagte der JU-Vorsitzende. Man werde auf dem Jahrestreffen auch darüber sprechen, welches die Zukunftsthemen der CDU seien. Ziemiak betonte, es könne nicht sein, dass man nur noch auf die Flüchtlingspolitik und die AfD schaue.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Er formuliert gerne deutlich, und zwar auch gerne einmal gegen die Linie der Parteispitze. Paul Ziemiak, der 31-Jährige, ist seit zwei Jahren Vorsitzender der Jungen Union, der Jugendorganisation von CDU und CSU. Er hat sich für eine bessere Förderung der Wirtschaft eingesetzt, er hat eine Obergrenze für Flüchtlinge gefordert und wollte die Kalte Progression im Steuerrecht beseitigen. Heute Abend wird er in Paderborn das Jahrestreffen der Jungen Union eröffnen. Zu den Schwerpunkten habe ich heute Morgen mit ihm gesprochen.
Paul Ziemiak: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Ziemiak, in der "Süddeutschen Zeitung" ist heute ein hartes Urteil von Ihnen über die Große Koalition zu lesen. Statt von einer Großen Koalition sprechen Sie von einem großen Chaos. Wird das Jahrestreffen der Jungen Union in diesem Jahr so etwas wie eine Generalabrechnung mit der Koalition?
Ziemiak: Nein. Es wird aber zumindest eine Abrechnung mit den vielen Ideen, die jetzt kommen beispielsweise beim Thema Rente. Wir hören ja von Angleichung Ost- und Westrenten. Wir hören davon, dass Rentenniveau festzuschreiben. Aber auf der anderen Seite sagen wenig Leute, wie es finanziert werden soll. Und wenn ich dann höre, dass die Beiträge dann auf 26 oder mehr Prozent steigen sollen, dann, finde ich, ist das nur noch eine Koalition der kleinen Kompromisse, des kleinsten gemeinsamen Nenners, und wir brauchen eine große Lösung auch beim Thema Rente, bei anderen Themen. Deswegen wünsche ich mir, dass wir nach der nächsten Bundestagswahl keine Große Koalition mehr haben.
"Wir gehen ohne ideologische Scheuklappen an so eine Diskussion"
Barenberg: Sie haben gesagt, dass in der Rentenpolitik "alles falsch laufe". Waren alle bisherigen Entscheidungen der Koalition denn insgesamt Fehler?
Ziemiak: Die Einzelentscheidungen waren richtig, aber das Gesamtpaket ist nicht nachhaltig. Wir sehen, wir haben immer weniger junge Menschen, die Beiträge zahlen. Wir haben dafür immer mehr Menschen, die Beiträge empfangen, also Rentner sind. Ich glaube, wir brauchen jetzt mal eine große Debatte darüber, wie unser Rentensystem nach 2030 funktioniert, und diesen Mut sehe ich bisher bei der Regierung nicht.
Barenberg: Sie schlagen ja eine große Rentenreform vor, bei der Sie alles auf den Prüfstand stellen wollen. Was wird das sein?
Ziemiak: Alles heißt alles. Das heißt, wir gehen ohne ideologische Scheuklappen an so eine Diskussion. Für mich heißt es, dass wir schauen müssen, wie wir auch darüber sprechen, wie wir länger arbeiten in Deutschland, denn zur Wahrheit gehört dazu, die Gesellschaft lebt immer länger. Statistisch gesehen werden wir immer älter, wir werden immer gesund älter. Das heißt, wir müssen auch darüber sprechen, länger zu arbeiten. Aber das heißt für mich auch, wie helfen wir denjenigen, die eigentlich die Schwächsten sind in diesem System, und das sind die Erwerbsgeminderten. Wir müssen mehr tun bei der Erwerbsminderungsrente. Wir müssen mehr tun für alleinerziehende junge Frauen. Aber wir müssen auch zusehen, dass die Beiträge nicht ins Unendliche steigen, weil das wäre unfair jungen Menschen gegenüber.
"Wir brauchen jetzt eine große Reform der Rente"
Barenberg: Zwei Aspekte würde ich gerne aufgreifen. Sie haben gesagt, wir müssen darüber reden, länger zu arbeiten. Sie schlagen ja vor, den Beginn des Ruhestands auf 70 Jahre zu erhöhen. Da dürfte die Begeisterung sich in Grenzen halten.
Ziemiak: Ich schlage vor, dass wir die statistische Lebenserwartung auch zugrunde legen. Das heißt, dass wir schauen, wenn die Gesellschaft immer älter wird, dass wir auch ein paar Monate länger arbeiten. Ich habe vorgeschlagen, dass wir ein Viertel der längeren Lebenserwartung zugrunde nehmen und dann länger arbeiten. Das würde heißen, tatsächlich im Jahr 2100 würde man bis 70 arbeiten, wenn weiterhin die Lebenserwartung so ansteigt. Aber das muss ein Mechanismus sein von vielen. Wir brauchen jetzt eine große Reform der Rente, die wirklich dann auch nachhaltig ist.
Barenberg: Dazu gehört für Sie ja auch, sich über die vielen versicherungsfremden Leistungen zu beugen, wenn ich das richtig verstanden habe. Welche von denen wollen Sie denn abschaffen? Denn viele dienen ja gerade und nützen ja gerade beispielsweise Alleinerziehenden.
Ziemiak: Wir wollen die Leistungen nicht abschaffen. Aber ich finde, bei den bisherigen und auch bei jeder neuen Leistung muss klar sein, wer es bezahlt. Und wenn wir versicherungsfremde Leistungen hinzufügen, dann ist das steuerfinanziert. Und wenn man das macht, dann muss man sagen, wo man Einsparungen macht oder wo man neue Steuern erhebt. Ich finde, das ist nur fair. Alles auf Kosten der jungen Generation auszulegen, finde ich nicht richtig.
"Es kann nicht sein, dass wir nur noch über Flüchtlingskrise diskutieren"
Barenberg: Wo würden Sie denn Einsparungen machen zugunsten der jüngeren Generation?
Ziemiak: Wenn Sie sich anschauen zum Beispiel die Rente mit 63. Das war nichts, was durch Beiträge finanziert werden muss. Wenn man sagt, man möchte eine Rente mit 63 machen, dann muss man das aus Steuern finanzieren und nicht durch Beiträge Junger. Das würde ich ändern.
Barenberg: Zu den wichtigen Themen, die Sie besprechen und diskutieren wollen, ja auch mit der Kanzlerin, haben Sie außer der Rente genannt den Zusammenhalt der Gesellschaft, finanzielle Probleme Alleinerziehender oder junger Familien, Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Das klingt nicht gerade nach den Schwerpunkten der Union im Moment.
Ziemiak: Wir werden natürlich auch über viele andere Themen diskutieren, wie das Verhältnis von CDU und CSU sicherlich, auch die Flüchtlingskrise wird eine Rolle spielen. Aber ich finde, wenn wir jetzt aufs nächste Jahr schauen, müssen wir uns Gedanken machen, welche Themen stehen für uns im Vordergrund. Und es kann nicht sein, dass wir nur noch über Flüchtlingskrise diskutieren, nur noch darüber, dass wir schauen, was Pegida macht und andere. Ich finde, jetzt muss die Union klar benennen, was sind unsere Zukunftsthemen, wofür stehen wir. Deswegen haben wir auch als Thema gewählt für den Deutschlandtag der Jungen Union, der am heutigen Tage beginnt, Industrie 4.0 in Nordrhein-Westfalen. Insofern sollten wir auch darüber sprechen.
"Wir brauchen eine Diskussion, aber nicht mehr über eine Obergrenze"
Barenberg: In den letzten Monaten haben Sie ja die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin recht scharf kritisiert, Seite an Seite mit Horst Seehofer haben Sie eine fixe Obergrenze gefordert und vor ein paar Tagen gesagt, die Obergrenze, das ist jetzt nicht mehr unser vordringliches Problem. Scheuen Sie jetzt den offenen Konflikt mit der Kanzlerin?
Ziemiak: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben das im letzten Jahr gefordert, im letzten Jahr, als eine Million Flüchtlinge zu uns kamen und die Tendenz steigend war. Dann hatten wir, Sie erinnern sich, den Bundesparteitag der CDU im Dezember. Da haben wir einen Kompromiss getroffen, alle haben zugestimmt, auch die Junge Union und auch die Bundeskanzlerin. Wir haben gesagt, wenn der Zustrom so bleibt, dann wird selbst ein Land wie Deutschland überfordert sein. Aber die Kanzlerin hat gesagt, sie braucht noch etwas Zeit, auch um zu verhandeln, bis die Zahlen runtergehen. Wir sind jetzt ein Jahr weiter. Noch mal: letztes Jahr eine Million, steigende Tendenz. Heute sind wir in einer Situation, wo wir sagen können, 2016 werden es weniger als 200.000 sein mit fallender Tendenz. Deswegen sage ich heute, es war richtig, dass wir damals gesagt haben, so geht es nicht weiter. Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Million aufnehmen. Heute sehen die Zahlen anders aus. Deswegen ist unser vordringlichstes Problem heute, wie kriegen wir die Leute eigentlich aus unserem Land, die gar keine Flüchtlinge sind und die keinen Anspruch auf Asyl haben. Darüber brauchen wir jetzt eine Diskussion, aber nicht mehr über eine Obergrenze.
"Die AfD ist keine Partei, mit der wir zusammenarbeiten wollen"
Barenberg: Sie haben es eben auch angedeutet: Sie wollen auf Ihrem Deutschlandtag auch über den politischen Umgang mit der AfD sprechen. Sie haben in der Vergangenheit eine stärkere Abgrenzung von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Positionen gefordert. Bei welchen Themen biedert sich denn die Union derzeit an die AfD an?
Ziemiak: Sie biedert sich überhaupt nicht bei irgendeinem Thema an. Die AfD ist keine Partei, mit der wir zusammenarbeiten wollen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Wenn eine Partei wie die AfD konstant bei den letzten Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse einfährt, dann muss das ein Alarmzeichen für uns sein. Dann will ich nicht die Hände in den Schoß legen und sagen, nein, dann ist das eben so. Sondern unser Ziel muss doch sein, gerade als junge Menschen, dass wir wollen, dass es rechts neben der Union keine andere Partei in Parlamenten gibt und dass wir jetzt alles daran setzen, dass die AfD nicht in den Deutschen Bundestag einzieht. Alles andere kann ich nicht verstehen.
Barenberg: Der Vorsitzende der Jungen Union heute hier im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank, Paul Ziemiak!
Ziemiak: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.