Der Antrag sei gut und benenne viele wesentliche Punkte, sagte Paul Ziemiak im DLF. Deshalb lehne die Junge Union ihn auch nicht in Gänze ab: "Aber wesentliche Punkte fehlen noch." In dem Antrag befinde sich weder das Wort Obergrenze, noch irgendeine Form von Begrenzung. Auch werde keine Antwort auf die Frage gegeben, was passieren solle, wenn andere EU-Mitglieder die Solidarität verweigerten.
"Wir brauchen ein Papier, das Signalwirkung hat", forderte der JU-Vorsitzende. Bisher sei der Druck in der Europäischen Union viel zu gering gewesen, "weil alle wussten, dass Deutschland erst einmal alle aufnimmt." Ziemiak betonte, die Partei stehe geschlossen hinter ihrer Vorsitzenden Angela Merkel. Die Kanzlerin würde seiner Ansicht nach aber vor allem dann gestärkt aus dem Parteitag hervorgehen, wenn die Vorschläge der Jungen Union in den Leitantrag aufgenommen würden. In dem Fall würden alle in der Partei mitgenommen: "Es ist wichtig, alle Richtungen zu berücksichtigen und nicht nur in die eine zu gehen."
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Nach der SPD trifft sich auch die CDU zum Parteitag, und zunächst geht es dann natürlich ganz besonders um die Flüchtlingspolitik: Gibt es Obergrenzen, muss es sie geben, welches Signal schickt dieser Parteitag. Fraktionschef Kauder scheint sich sicher zu sein, dass Angela Merkel volle Unterstützung hat, dass sie gestärkt aus diesem Parteitag hervorgeht. Wenn man die Stimmungslage vorher sich genauer anschaut, könnte man auch auf andere Ideen kommen. Wir wollen heute mit einem reden, der da auch kräftig Stimmung macht, Paul Ziemiak, der Chef der Jungen Union ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Ziemiak!
Paul Ziemiak: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Fangen wir zunächst mal anders an: Die SPD hat ja gestern Sigmar Gabriel abgestraft. Dieses Abstrafen für Gabriel, stärkt das am Ende Frau Merkel? Weil heute titelt schon eine große Zeitung, der "Spiegel": Die SPD macht Merkel zur Kanzlerkandidatin.
Ziemiak: Na ja, es zeigt sich zumindest, dass die SPD nicht geschlossen steht und auch nicht geschlossen nicht nur in inhaltlichen Fragen, sondern auch nicht geschlossen hinter ihrem Personal, hinter dem Führungspersonal. Die Decke ist ja bekanntlich sehr dünn bei der SPD, und dann kriegt Sigmar Gabriel so ein schwaches Ergebnis, damit hat sich, glaube ich, die SPD keinen Gefallen getan.
"Junge Union steht geschlossen hinter der Kanzlerin"
Zurheide: Gut, die Wertung überrascht jetzt nicht, in der Tat, aber dann kommen wir mal auf genau die Differenzierung, die Sie gerade gemacht haben. Da ist auf der einen Seite die Person Angela Merkel, immer noch unumstritten, und dann gibt's die Inhalte. Ist die Person noch unumstritten oder sind die Inhalte bei der Flüchtlingspolitik so problematisch, dass man doch auch sich Fragen stellt ob der Zukunft der Person?
Ziemiak: Nein, das überhaupt nicht. Keine Frage, die Flüchtlingskrise ist eine riesige Herausforderung, aber die Partei steht geschlossen hinter ihrer Vorsitzenden. Auch die Junge Union steht geschlossen hinter der Kanzlerin, das werden wir jetzt bei diesem Parteitag sehen. Und deswegen habe ich gesagt, von diesem Parteitag müssen zwei Zeichen ausgehen: einmal die Diskussion um eine Begrenzung des Flüchtlingszustroms, aber auf der anderen Seite natürlich ganz klar ein Bild der Geschlossenheit und Unterstützung für den Kurs der Kanzlerin.
Zurheide: Na, so ganz passt das jetzt noch nicht zusammen, über die Inhalte und die Flüchtlingspolitik und die Antworten werden wir gleich noch reden. Ich frag's zugespitzt: Zur Revolution neigen Sie alle nicht bei der Jungen Union, oder?
Ziemiak: Na, es geht uns ja um die richtigen Inhalte und auch diese dann umzusetzen. Das heißt es jetzt nicht hier Revolution oder Konterrevolution, sondern es geht jetzt darum, das, was wir für richtig halten, was wir diskutiert haben, auch in der Jungen Union auf dem Deutschlandtag in Hamburg, wo übrigens die Kanzlerin auch da war, das jetzt umzusetzen auf dem Parteitag.
"So wie er jetzt ist, werden wir dem mit Sicherheit nicht zustimmen"
Zurheide: Dann kommen wir zu der entscheidenden Frage: Welche Form von Begrenzung wird es geben? Es liegt ein Leitantrag auf dem Tisch, da steht das Wort Obergrenze nicht drin, die Sie aber haben wollen. Werden Sie diesem Leitantrag zustimmen?
Ziemiak: Na ja, so wie er jetzt ist, werden wir dem mit Sicherheit nicht zustimmen, dem Leitantrag. Wir werden dort Vorschläge machen, wie er abzuändern ist. In dem Leitantrag findet sich weder das Wort Obergrenze, aber es findet sich auch kein Zeichen von Begrenzung und auch keine Antwort auf die Frage, was machen wir eigentlich, wenn weiterhin die europäischen Nachbarstaaten in Schengen die Solidarität verweigern. Darüber müssen wir sprechen, und ich finde, der Antrag ist gut, er benennt viele konkrete Punkte, aber wesentliche Aspekte fehlen noch.
Zurheide: Na ja, der Antrag atmet den Geist der Politik von Angela Merkel in den letzten Monaten, und dieser Geist der Politik ist ja bei Ihnen hoch umstritten. Sie sind das, die Mittelstandsvereinigung, aber auch einige andere, nicht zuletzt die CSU, machen da Druck. Können Sie denn heute Morgen das Gefühl haben, dass Frau Merkel da auf Sie zugeht? Also viele haben den Antrag als ein Signal gewertet: Nein, ich stehe dafür und ich gehe diesen Kurs weiter und wenn ihr nicht mit wollt, habt ihr eben Pech gehabt. Falsche Einschätzung von meiner Seite jetzt?
Ziemiak: Sie haben absolut recht, dass der Antrag das widerspiegelt, wie der Kurs der Kanzlerin ist, und deswegen sagen wir ja auch nicht, dass wir diesen Antrag in Gänze ablehnen, ganz im Gegenteil, er beinhaltet viele gute Punkte. Da geht es ja auch noch um viel mehr – um Integration, um Terrorabwehr, um die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wir wollen den Kurs insofern nicht ändern, wir wollen etwas ergänzen, nämlich uns fehlt das Zeichen der Begrenzung. Aber wir schließen uns komplett diesem Leitantrag an, wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen: Den Schleppern das Handwerk zu legen, mehr europäische Solidarität, sichere Außengrenzen, all das gehört dazu, aber eben auch die Ergänzung um die Feststellung, dass unsere Möglichkeiten in Deutschland endlich sind.
"Wir haben eben nicht unendliche Kapazitäten"
Zurheide: Was heißt das aber konkret? Dann kommen wir da auf den Punkt, Sie kennen die Debatte, die ja immer geführt wird, wenn man es begrenzt, wenn man meinetwegen 400.000 sagt, was ist denn 400.001., und egal, welche Grenze man zieht, kommt man immer an dieses Problem. Deshalb sagt Herr Schäuble, der Ihnen vielleicht gedanklich nicht ganz fern ist auf diesem Feld: Alle Grenzen sind irgendwie Unsinn, es sei denn, man will ans Asylrecht. Wollen Sie das?
Ziemiak: Nein, das wollen wir nicht, aber es gibt im Asylrecht ... Übrigens das steht in unserer Verfassung, in Artikel 16a, Absatz 2, steht: Wer über ein Land der Europäischen Union zu uns kommt, kann sich auf dieses Recht gar nicht berufen. Jetzt ist das außer Kraft gesetzt worden, okay, aber wir haben dort schon Regelungen getroffen.
Zurheide: Aber es war Ihre Kanzlerin, Ihre Parteifreundin, die das außer Kraft gesetzt hat.
Ziemiak: Das war da Dublin drei, und deswegen müssen wir den anderen europäischen Ländern sagen, ihr könnt euch nicht darauf verlassen, dass Deutschland unbegrenzt Flüchtlinge wird aufnehmen können. Wir werden am Ende auch sagen müssen, ihr müsst damit rechnen, dass auch Flüchtlinge zu euch kommen und wir eben nicht unendliche Kapazitäten haben. Und man muss viel früher ansetzen, man muss dort ansetzen, dass wir eine sichere EU-Außengrenze haben, dass wir uns überlegen, wie viel schafft Europa insgesamt. Ich sag Ihnen ganz offen, ich möchte keine nationalen Grenzen in Europa, ich möchte eine sichere EU-Außengrenze, aber falls das nicht funktioniert, müssen wir uns auch Möglichkeiten vorbehalten.
Zurheide: Was sind das für Möglichkeiten, an welche Möglichkeiten denken Sie?
Ziemiak: An die Möglichkeiten, dass wenn beispielsweise ein Land, selbst mit europäischer Hilfe, wie Griechenland es nicht schafft, die Grenzen zu sichern und mit den politisch verfolgten Flüchtlingen, die zu uns kommen, sie zu registrieren, sie human zu behandeln, sondern nur weiterzuschicken. Oder wenn ich sehe, dass Kroatien die Grenze nur aufmacht, nicht um die Flüchtlinge aufzunehmen, sondern in Richtung Deutschland zu schicken, dass wir diesen Ländern sagen, so kann das nicht funktionieren, dann verschiebt sich die Schengengrenze im Prinzip nach innen, ihr werdet damit rechnen müssen, dass ihr die Flüchtlinge nicht weiterschicken könnt.
"Deutschland nimmt jeden auf, wenn er sagt Asyl"
Zurheide: Das heißt aber dann, wir müssen die Grenzen auch zumachen, dann sind wir genau in einem völlig anderen Modus, denn das, was Sie gerade sagen, ist ja in der jüngeren Vergangenheit immer wieder versucht worden, und auf allen europäischen Gipfeln hat es da bisher keinen Durchbruch gegeben. Warum glauben Sie, dass sich da irgendwas ändern wird in diesen Ländern?
Ziemiak: Wir müssen ja jetzt Druck machen, und es geht hier um ein Papier, das auch ein Signal senden soll. Also noch mal: Wir müssen Druck machen auf europäischer Ebene, wir dürfen das nicht aufgeben. Dafür haben Konrad Adenauer und Helmut Kohl gestritten, und da können wir auch stolz drauf sein, auf das, was geschaffen wurde. Und trotzdem war natürlich der Druck bisher auch nicht so groß, weil alle wussten, dass Deutschland alle erst mal aufnimmt. Übrigens nicht nur politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge – Deutschland nimmt jeden erst mal auf, mit oder ohne Papiere, wenn er sagt Asyl, wird jeder aufgenommen, das wissen alle Länder, und deswegen geht der Zustrom nach Deutschland.
Zurheide: Könnte das sein, dass viele kommen auch deshalb, weil Asyl die einzige Möglichkeit ist, nach Deutschland zu kommen? Wir haben, obwohl das ja viele fordern – Frau Süssmuth hat es schon vor 15 Jahren auch innerhalb ihrer Partei getan ... weil wir kein richtiges Einwanderungsgesetz haben. Brauchten wir das nicht, gibt es da nicht kommunizierende Röhren?
Ziemiak: Na ja, ich finde, wir sollten darüber sprechen, ein Einwanderungsgesetz, Zuwanderungsgesetz zu machen, aber Ihre Aussage, dass man nicht auf anderem Wege nach Deutschland kommen kann, ist nicht richtig. Also jeder, der hier einen Arbeitsplatz unter bestimmten Voraussetzungen nachweist, in einem vielleicht sehr komplizierten und auch längeren Verfahren, aber die Möglichkeiten gibt es bisher. Aber wir müssen darüber sprechen, das zu erleichtern. Ich sehe es ja, beispielsweise im Kosovo spreche ich mit Studenten, die gerade ihren Abschluss machen, die sagen, wie unheimlich schwierig und langwierig es ist, bei der Botschaft ein Visa zu bekommen für die Bundesrepublik, oder man setzt sich ins Auto und fährt einfach los und sagt Asyl, und dann hat man's auch geschafft. Und diesen Zustand können wir nicht aufrechterhalten. Wir brauchen eine Erleichterung, da haben Sie völlig recht, eine Erleichterung, nach Deutschland einzuwandern in den Arbeitsmarkt, aber dort suchen wir uns dann die Leute auch aus, die unser Land auch gebrauchen kann. Wir brauchen keine Zuwanderung in unser Sozialsystem. Und auf der anderen Seite müssen wir die Fluchtursachen bekämpfen und Flüchtlinge auch besser verteilen in der Europäischen Union.
"Wir werden Horst Seehofer freundlich begrüßen"
Zurheide: Es gibt ja auch einen Antrag einer Kommission, die Armin Laschet, der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende geleitet hat, wo es genau um diese Frage der Zuwanderung, der gesteuerten Zuwanderung geht, allerdings das Wort Einwanderungsgesetz vermeidet man, weil da eben viele bei Ihnen Pickel kriegen. Warum eigentlich?
Ziemiak: Na ja, ich glaube, weil wir uns mittlerweile überhaupt in so Begrifflichkeiten verharrt haben, wenn Sie an das Wort Obergrenze denken, an das Wort Transitzonen. Am Ende werden Begriffe mit irgendetwas verbunden, was sie am Ende gar nicht sind, und vielleicht ist das der Grund. Ich will nur sagen, ich glaube, es wäre gut, das zusammenzufassen, transparent zu gestalten und den Menschen klarzumachen, in einem Einwanderungsgesetz zu sagen, welche Möglichkeiten es gibt, legal nach Deutschland zu migrieren.
Zurheide: Welche Erwartungen haben Sie eigentlich an den Besuch von Herrn Seehofer, welchen Tipp würden Sie ihm geben, oder welchen Tipp geben Sie der Kanzlerin? Herrn Seehofer auch 15 Minuten auf der Bühne stehen zu lassen, so wie er das mit ihr gemacht hat?
Ziemiak: Nein, ich glaube weder, dass sie es machen wird, noch würde ich ihr das empfehlen. Wir werden Horst Seehofer dort herzlich empfangen und freundlich begrüßen, das gehört sich so unter Schwesterparteien, und eigentlich müsste man meinen, macht jeder das so.
Zurheide: Da muss ich jetzt ein bisschen zögern. Der Auftritt in München, der Kanzlerin, das war ja nun, das Wort unfreundlich ist jetzt sehr zurückhaltend, oder?
Ziemiak: Ja, ja, sicherlich war die Situation sehr ungünstig. Es gibt vieles, über das ich jetzt gehört habe von Freunden aus der CSU, was der Grund dafür gewesen sein muss. Da fühlte man sich vielleicht nicht richtig verstanden, man fühlte sich nicht mitgenommen von der Rede der Kanzlerin, all das kommt zusammen, aber das spielt für den Parteitag der CDU jetzt am Montag keine Rolle.
"Ein gutes Zeichen, dass wir so am Puls der Zeit sind"
Zurheide: Also am Ende, Herr Kauder hat gesagt, die Kanzlerin wird gestärkt daraus hervorgehen, wie ist Ihre Wertung heute Morgen?
Ziemiak: Ich bin zuversichtlich, dass wir in der Sitzung am Sonntag beim CDU-Bundesvorstand oder dann in der Debatte am Montag, dass die Vorschläge der Jungen Union aufgenommen werden. Und wenn das passiert, wenn die Vorschläge der Jungen Union in das Papier mit einfließen und auch der Mittelstandsvereinigung, dann bin ich sicher, ist die Kanzlerin gestärkt.
Zurheide: Dieses Wenn formulieren Sie aber?
Ziemiak: Na, weil ich glaube, dass das das Papier bereichern würde, dass es richtige Zeichen setzen würde und man dadurch auch alle Teile der Partei mitnehmen würde. Und übrigens, bei aller Diskussion freue ich mich darüber, muss ich sagen, dass wir als Volkspartei genau das diskutieren, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und das ist ein gutes Zeichen, dass wir so am Puls der Zeit sind. Aber umso wichtiger ist eben, nicht nur in eine Richtung zu gehen, sondern auch andere Teile zu berücksichtigen.
Zurheide: Das war Paul Ziemiak, der Chef der Jungen Union, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Herr Ziemiak, ich bedanke mich für das Gespräch!
Ziemiak: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.