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Jungendarbeitslosigkeit
Die gut Ausgebildeten verlassen Italien

Fast jeder zweite Italiener unter 25 hat keinen Job, macht keine Aus- oder Fortbildung. Italiens Wirtschaft liegt am Boden und kommt nicht aus der Rezession. Man müsste in die Bildung investieren, aber Italien ist das einzige Land in der OECD, das die Ausgaben pro Schüler seit fast 20 Jahren nicht erhöht hat. Zu wenige junge Italiener studieren und die Studienabbrecherquote ist hoch.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Vielleicht sind die Sommerferien ja noch eine ganz gute Zeit für die jungen Italiener. Da gibt es hin und wieder Arbeit, zum Beispiel in den Hotels und Restaurants oder am Strand. Aber die letzten Zahlen, die das staatliche Statistikamt ISTAT veröffentlicht hat, sprechen eine klare Sprache: 43,7 Prozent der jungen Italiener unter 25 haben keinen Job, machen keine Aus- oder Fortbildung. In den strukturschwachen Regionen Süditaliens sieht es noch übler aus, aber auch im Norden ist die schwere Krise deutlich spürbar. So deutlich, dass selbst Staatspräsident Napolitano, der mit seinen 89 Jahren das Gegenteil von Jugend verkörpert, geneigt ist, von einer nationalen Katastrophe zu sprechen:
    "Das Vertrauen in die Zukunft ist die grundlegende Bedingung für Wachstum und Fortschritt. In diesen schweren Jahren der Krise haben die Wirtschaft und die soziale Wirklichkeit in unserem Land schwere Rückschritte gemacht, wie das zum Beispiel das unerträgliche Niveau der Arbeitslosigkeit zeigt, vor allem der Jugendarbeitslosigkeit."
    Jugendarbeitslosigkeit ist eine Herkulesaufgabe
    Die Regierung von Matteo Renzi, die zumindest rhetorisch in großem Stil die Baustellen des Landes aufreißt, will dieses Problem amerikanisch angehen, von einem "Jobs Act" ist die Rede. Aber in Zeiten, in denen die Wirtschaft am Boden liegt und nicht aus der Rezession kommt, ist das eine Herkulesaufgabe. Man müsste in die Bildung investieren, aber Italien ist das einzige Land in der OECD, das die Ausgaben pro Schüler seit fast 20 Jahren nicht erhöht hat. Zu wenige junge Italiener studieren, und die Studienabbrecherquote ist hoch. Das liegt am schlechten Zustand vieler Unis im Land, und außerdem zahlt sich die Investition in bessere Bildung nicht aus. Denn am Arbeitsmarkt wird das nicht belohnt, kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Tito Boeri:
    "Heutzutage haben die jungen Leute nur zu einer bestimmten Art von Arbeit Zugang. Zu vertraglichen Bedingungen, die sehr unterschiedlich zu denen sind, die frühere Generationen hatten. Und oft sorgt das dafür, dass es zwischen einer Arbeit und einer anderen Zeiten der Arbeitslosigkeit gibt, die manchmal auch lange dauern. Nicht alle wissen von dieser unglaublichen, zum Himmel schreienden Ungleichheit, die es auf unserem Arbeitsmarkt gibt."
    Prekäre Arbeitsverhältnisse
    Hunderttausende Junge stecken, wenn überhaupt, nur in prekären Arbeitsverhältnissen. Und das Arbeitsrecht belohnt diejenigen, die schon lange auf ihren Jobs sitzen, egal, welche Leistung sie bringen. Unternehmen haben über Jahre auch deshalb kaum noch feste Jobs geschaffen, weil Entlassungen praktisch unmöglich oder richtig teuer sind. Diese Politik der Besitzstandswahrung wird auch von den meisten italienischen Gewerkschaften vorangetrieben, die große Erfahrung haben im Verhindern von Reformen.
    Und weil die Lage so ist muss man inzwischen mit ein paar Mythen über junge Italiener aufräumen. Ja, es stimmt: Überdurchschnittlich viele von ihnen leben lange, oft zu lange bei ihren Eltern. Aber meist nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus der Not: Arbeitslos oder mit Minijobs lässt sich ein unabhängiges Leben nicht finanzieren, geschweige denn eine Wohnung.
    Arbeitslos oder Minijob
    Und: Statistisch gesehen sind viele junge Italiener nicht besonders mobil, bleiben oft in der eigenen Stadt. Aber auch das ändert sich rasant: Immer, wenn man zum Beispiel von Rom aus nach Deutschland fliegt, trifft man die, die nur einen Hinflug gebucht haben. Entweder haben sie schon einen Job in Aussicht, oder sie wollen sich erst einmal durchschlagen. Vor allem die gut Ausgebildeten verlassen Italien, ein Land, in dem sie für sich keine Zukunft sehen. Entsprechend deprimiert sind auch diese Studenten aus Genua:
    "Ich bin in der Krise, denn die Situation ist alles andere als rosig."
    "Wenn man hier kleinere, unterbezahlte Jobs machen muss, dann ist ratsamer, die gleichen Jobs im Ausland zu machen, wo sie richtig bezahlt werden."
    "Ich würde es vorziehen, nicht weggehen zu müssen. Aber ich kann das nicht ausschließen, denn die eigenen Bedürfnisse haben Vorrang."
    "Ich war den Sommer in den Vereinigten Staaten. Da ist die Zukunft und in anderen Ländern. Ganz sicher nicht in Italien, wenn sich die Dinge nicht ändern."
    Zurückkommen wollen übrigens die meisten - aber erst wenn ihre Chancen in Italien besser geworden sind.
    Jan-Christoph Kitzler, aus Rom.