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Jurist Dannemann zum Brexit
"Das Parlament müsste die Initiative zurückgewinnen"

Theresa Mays Plan B sei Gerüchten zufolge im Wesentlichen Plan A, sagte Gerhard Dannemann vom Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin. Damit werde sie aber nicht durchkommen. Deshalb müsse sich das Parlament "auf die Beine stellen" und den Brexit selbst in die Hand nehmen.

Gerhard Dannemann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der Professor am Centre for British Studies der Humboldt-Universität zu Berlin, Gerhard Dannemann, am 23.03.2016 in Berlin.
    Gerhard Dannemann, Centra for British Studies der Berliner Humboldt-Universität. (dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Martin Zagatta: Für den mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag hat Premierministerin May keine Mehrheit bekommen. Eine große Mehrheit im Unterhaus hat diese Übereinkunft sogar abgelehnt. Heute muss die Regierungschefin deshalb einen Plan B vorstellen, dem auch keine allzu großen Chancen eingeräumt werden – nach dem, was man bereits hört. Und im Parlament, im Unterhaus gibt es Bestrebungen, den Brexit jetzt selbst in die Hand zu nehmen.
    Mitgehört hat Gerhard Dannemann vom Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität in Berlin. Hallo, Herr Dannemann!
    Gerhard Dannemann: Hallo, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Dannemann, diesem Plan B von Theresa May – nach all dem, was man da jetzt schon hört -, geben Sie dem überhaupt noch eine Chance?
    Dannemann: Wenn die Gerüchte stimmen, ist es Plan A. Das heißt, es wird genau dasselbe noch mal gemacht wie vorher. Es ist genau dasselbe Abkommen und man versucht, immer noch am dem Irish Backstop, an der Notfall-Lösung ein bisschen herumzuoperieren, sie eigentlich wegzuoperieren und aus der Notfall-Lösung eine Zwischenlösung zu machen.
    Zagatta: Neu wäre ja immerhin ein eigenes Abkommen mit Irland, was Dublin heute schon umgehend abgelehnt hat. Was spricht eigentlich dagegen?
    Dannemann: Es gibt schon eigene Abkommen mit Irland zur Regelung der Frage der offenen Grenzen und der Zusammenarbeit. Es gibt ein sehr elaboriertes Werk. Das, worum es jetzt geht, sind eigentlich tendenziell Kompetenzen der Europäischen Union, wo Irland gar nicht separat mit Großbritannien verhandeln darf, und ich glaube, deswegen zeigt die irische Regierung da auch wenig Neigung, sich auf so was einzulassen, weil sie dann ja vielleicht auch die Unterstützung der EU verlieren könnte und im Endeffekt so was sowieso nicht abschließen könnte.
    "Plan B ist im Wesentlichen Plan A"
    Zagatta: May, so heißt es jetzt auch, will für Mai oder für Juni ihren Rücktritt in Aussicht stellen. Das könnte dann Brexit-Befürworter, wenn man denen zusagt, ihnen dann die Verhandlungen über die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU zu überlassen, vielleicht zum Zustimmen bewegen, zumindest in ihrer eigenen Partei. Könnte das ein Ausweg sein?
    Dannemann: Wenn die Gerüchte stimmen, dass Plan B im Wesentlichen Plan A ist, dann müsste May Erstaunliches tun, um die 60 oder so harten Brexiter auf ihrer Seite zu gewinnen plus die zehn Abgeordneten der DUP, und die haben sich so stark eingegraben, dass, glaube ich, bei der DUP nicht viel zu holen ist an allen Kompromissen, die noch irgendeinen Regelungsunterschied zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens haben. Bei den harten Brexit-Befürwortern der Tories könnte so ein Plan wahrscheinlich ziehen, dass man jetzt auch sagt, ihr könnt dann den Rest ausverhandeln. Aber sie muss ja noch insgesamt 115 Abgeordnete zu sich herüberziehen. Wenn Sie die 60 und die zehn zusammenzählen, reicht das noch nicht.
    Zagatta: Jetzt wollen Abgeordnete im Unterhaus – das haben wir gerade gehört im Beitrag unseres Korrespondenten aus London – fraktionsübergreifend den Brexit eventuell in die Hand nehmen. Die Regierung spricht da jetzt schon von einem Putsch oder einer Verschwörung. Warum eigentlich? Ist das nicht das Recht eines Parlaments?
    Dannemann: Theoretisch ist das britische Parlament das mächtigste der Welt, weil es keine kodifizierte Verfassung hat, die in irgendeiner Weise begrenzt, was es tun kann. Das Parlament kann im Prinzip alles machen, was es will. Nur tut es das nicht und kann es nicht, weil die Regierung die Tagesordnung des Parlaments festsetzt. Ich glaube, da setzt man jetzt an, mit kleinen Nadelstichen zunächst, dass man Änderungsanträge einbringt, wo die Regierung schon Diskussionen vorgesehen hat, und der Coup wäre schlechthin, wenn man sich das Tagesordnungsrecht selber wieder zurückholen würde, dass das Parlament seine eigene Tagesordnung setzt. Da ist jetzt nicht mehr viel Zeit bis zum 29. März, aber das wird das Spannendste sein, was wir beobachten können: Wie weit setzt sich die, im Parlament klar vorhandene Mehrheit gegen ein unreguliertes Ausscheiden durch? Wie kann sie es verhindern, dass dieser Fall eintritt, und was wären dann die Alternativen, auf die man sich dann noch mit einer noch zu findenden Mehrheit einigen könnte?
    Zagatta: Wenn das Parlament einen No-Deal-Brexit durchsetzt, dass es keinen unregulierten Brexit geben darf, wenn das eine Mehrheit findet und das dann der Regierung vorgegeben wird, das müsste doch eigentlich im Sinne von Frau May sein.
    Dannemann: Ja, da gehen die Meinungen auseinander. Zum einen will sie tatsächlich eine Spaltung auch der Tories verhindern und deswegen eher auf der harten Seite weiterverhandeln, obwohl sie viel mehr gewinnen könnte an möglichen Abgeordneten, wenn sie sich einer weicheren Lösung öffnen würde. Die Zahlen sind einfach viel größer, die sie bei Labour oder bei den Liberaldemokraten oder den schottischen Nationalisten noch gewinnen könnte. Es kann also sein, dass tatsächlich sie heimlich darauf hofft, dass das Parlament sich ihr entgegenstellt. Dann hat sie bei den harten Brexitern nicht so viel Gesicht verloren. Aber das sind Spekulationen.
    Konsequenzen für die Europawahlen
    Zagatta: Zweites Thema, was im Parlament durchgebracht werden soll – so haben wir es gerade gehört: Der Austritt aus der EU, der für Ende März vorgesehen ist, der müsste dann verschoben werden. Sie sind Jurist. Was würde das dann bedeuten? Im Mai haben wir Europawahlen. Kann man die in Großbritannien dann aussetzen, oder was würde das bedeuten?
    Dannemann: Zunächst kann das Großbritannien ja gar nicht allein beschließen. Es müsste die EU und es müssten die 27 Mitgliedsstaaten jeder einzelne zustimmen. Ich denke, das ist leicht machbar. Wie Sie sagen: Solange nicht die Parlamentswahlen noch dazwischen reinkommen. Jede Verschiebung bis zur Neukonstituierung des Europäischen Parlaments ist, denke ich, machbar, solange sich nicht irgendein kleiner Staat doch noch querstellt. Danach wird es sehr schwierig. Es ist politisch wahrscheinlich völlig unmöglich, jetzt vorsichtshalber die Briten das nächste Parlament noch mitwählen zu lassen. Ich glaube, das würde zu tumultartigen Szenen führen. Aber gleichzeitig muss ja ein Parlament auch alle Mitgliedsstaaten repräsentieren. Das sind sehr, sehr komplexe und schwierige Probleme, die man gar nicht so schnell lösen kann. Aber ich denke, im Moment wird im Parlament diskutiert und Anträge eingebracht, die überhaupt eine Verschiebung vorsehen, die dann natürlich mit der EU auszuhandeln ist.
    Zagatta: Wenn die Abgeordneten da jetzt etwas erzwingen, möglicherweise sogar ein Gesetz, dann könnte die Premierministerin, dann könnte Frau May von der Königin verlangen, dass das nicht in Kraft gesetzt wird. Ginge es noch skurriler?
    Dannemann: Ich denke darüber nach. Das würde die Königin nicht tun. Erst mal wäre sie wahrscheinlich sehr unglücklich, dass man sie in diese Zwangslage bringt. Aber kein britischer Monarch hat seit über 300 Jahren irgendein Gesetz nicht verkündet, was den verfassungsmäßig vorgesehenen Weg genommen hat durch Unterhaus und Oberhaus. Deswegen halte ich das für genauso undenkbar wie alle anderen Szenarien, dass die Queen umgekehrt als Retterin Europas in der letzten Sekunde auftreten wird und einen Ausstieg überhaupt verhindern wird. Sie wird nichts dergleichen tun.
    Zagatta: Was halten Sie denn von dem Szenario, dass alles dann doch noch auf ein neues Referendum eventuell hinausläuft?
    Dannemann: Das ist eine Möglichkeit. Es ist nicht die naheliegendste. Aber unter der Mehrheit im Parlament, die gegen einen harten Brexit ist, sind eine ganze Reihe davon, die auf das Referendum setzen. Wir haben Ben Bradshaw vorhin im Programm gehört. Das ist einer von diesen Personen, die meinen, man kann den ganzen Prozess noch rückgängig machen über ein Referendum. Wir haben bisher im Parlament keine klare Mehrheit dafür und wenn man den Umfragen trauen darf, haben wir auch in der Bevölkerung bisher keine klare Mehrheit dafür. Es wäre natürlich ein Ausweg, um das Referendum von 2016 wieder zu annullieren in dem Sinne, dass das Volk zweimal entschieden hat und dass jetzt nicht das Parlament sich über ein Referendum hinwegsetzen würde.
    Zagatta: Wir haben vorhin auch den früheren UKIP-Chef Farage gehört, der sagt, er würde sich schon darauf freuen. Dann würde er eine Partei gründen, die würde er dann Brexit-Partei nennen. Was wäre denn da in Großbritannien los?
    Dannemann: Ja, das wäre dann UKIP Nummer zwei sozusagen. Dieses Original-UKIP hat sich ja komplett zerlegt und ist abgedriftet in eine islamfeindliche, ausländerfeindliche Partei, die sie vorher so nicht war, und damit auch nicht wählbar in Großbritannien, denke ich. Der Hauptfinanzier von UKIP und dem Brexit-Referendum, Arron Banks, hat auch schon gesagt, er würde das unterstützen. Das ist durchaus möglich. Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch UKIP zum Höhepunkt ihrer Macht keinen einzigen, als UKIP-Abgeordneten gewählten Parlamentarier hatte. Sie hatten Überläufer aus anderen Parteien. Aber sie haben dank des britischen Mehrheitswahlrechts es nie ins Parlament geschafft und sind deswegen auch keine riesige politische Macht geworden.
    Schwieriger Ausweg aus einer vertrackten Situation
    Zagatta: Herr Dannemann, Sie haben uns jetzt auch wieder dargelegt, was alles nicht funktioniert. Sehen Sie denn noch eine Lösung, wie es funktionieren könnte?
    Dannemann: Ja, das ist sehr schwierig. Das Parlament müsste sich tatsächlich auf die Beine stellen und die Initiative zurückgewinnen. Denn ich glaube, Plan A zum zweiten Mal wird auch nicht durchkommen. Man müsste eine Verlängerung durchkriegen, verhandeln, eine realistische Alternative haben. Die Europäische Union würde neu verhandeln, wenn eine der roten Linien von der Regierung May zurückgenommen wäre, und das, was am wenigsten weh tut, glaube ich, ist die Zollunion. Man müsste der EU anbieten, der Zollunion doch auf Dauer beizubleiben. Ob man dafür eine positive Mehrheit im Parlament kriegen wird, weiß ich nicht. Es wird einigen zu weit gehen, anderen nicht weit genug. Es scheint mir aber im Moment noch am ehesten die Lösung zu sein, wie man konstruktiv aus dieser Sache rauskommen könnte.
    Zagatta: Gerhard Dannemann vom Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Dannemann, ich bedanke mich.
    Dannemann: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.