Sandra Schulz: Schon am Sonntagabend war es zu dem tödlichen Unfall gekommen. In der Stadt Tempe im US-Bundesstaat Arizona tritt eine Frau völlig überraschend auf die Fahrbahn, schwer zu sehen, aus einem Schatten kommend und nur etwa 100 Meter von einem Fußübergang entfernt. Die Frau wird von einem Fahrzeug erfasst und stirbt im Krankenhaus an ihren Verletzungen.
Schwierige Fragen wirft der Fall auf, weil das Fahrzeug ein Roboter-Wagen war, ein autonom fahrendes Auto, das einen Fahrer eigentlich nur noch zur Sicherheit an Bord hatte.
Zum ersten Mal ist ein Mensch bei einem Unfall mit einem selbstfahrendem Auto ums Leben gekommen. Experten sehen noch mal einen klaren Unterschied zu dem tödlichen Unfall eines Tesla-Fahrzeugs vor einigen Jahren. Da hatte der Fahrer zwar auch dem Fahrassistent-System die Kontrolle überlassen; da war allerdings auch klar, dass das Fahrzeug zum rein autonomen Fahren nicht gemacht war.
Jetzt setzt Uber in den USA weitere Testfahrten aus. Aber was heißt dieser Unfall für den Traum oder Albtraum vom autonomen Fahren? Das ist unser Thema in den kommenden Minuten. Am Telefon ist Professor Udo Di Fabio, Verfassungsrechtler der Uni Bonn und früher auch Bundesverfassungsrichter. Wir haben uns heute Morgen mit ihm verabredet, weil er eine, vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission geleitet hat, die sich genau mit diesen Fragen beschäftigt hat, mit automatisiertem und vernetztem Fahren, und auch ethische Regeln dazu entwickelt hat. Schönen guten Morgen!
Udo Di Fabio: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Ist Uber schuld an dieser Verkehrstoten?
Di Fabio: Schuld im Sinne, dass die Firma, die dieses Fahrzeug eingesetzt hat, eine Haftungsverantwortung trägt, das mag durchaus sein. Im Übrigen wird wie bei jedem Verkehrsunfall letztlich ein Gericht auch das Maß der Schuld und das Vorhandensein von Schuld feststellen müssen.
Erfahrungen unter Realbedingungen sammeln
Schulz: Dass es jetzt zu dem Unfall gekommen ist, in diesem speziellen Fall, zeigt das, dass in Arizona die Vorschriften über selbstfahrende Autos einfach zu lax sind? Das ist ja eine Kritik, die jetzt geäußert wird.
Di Fabio: Ja, das ist schon - Ob die zu lax sind, will ich nicht sagen. Arizona ist einer der US-Bundesstaaten, die letztlich kein Zulassungsverfahren vorsehen, bevor automatisierte Fahrsysteme in den Verkehr dürfen. Das würde bei uns in Deutschland, übrigens auch in einigen anderen US-Bundesstaaten, anders gesehen werden. Natürlich gehen Firmen gerne in einen solchen Staat, wo sie die Technik experimentell einsetzen können und damit unter Realbedingungen Erfahrungen sammeln können. Man würde in Deutschland vermutlich nur auf besonderen Teststrecken Derartiges zulassen und dann auch nur behördlich kontrolliert. Man könnte sagen, wir sind da etwas vorsichtiger, wir würden da präventiv mehr, glaube ich, prüfen, bevor wir ein solches Verkehrssystem gerade etwa im Innenstadtbereich zulassen.
Schulz: Jetzt ist in der Branche ja schon länger darüber getuschelt worden, oder bei näherem darüber Nachdenken kommt auch jeder darauf, dass es früher oder später ja einen ersten tödlichen Unfall geben werde. Heißt das aber im Umkehrschluss nicht, dass die Frau, die da jetzt zu Tode gekommen ist, Opfer eines Menschenversuchs geworden ist?
Di Fabio: Ja, das wird man klären müssen. Das hängt von der Frage ab, ob es sich um einen vermeidbaren oder um einen unvermeidbaren Unfall gehandelt hat. Es ist natürlich so, dass auch jedes technische System an bestimmte Grenzen stoßen kann. Wenn es zutrifft, dass das Fahrzeug schneller als erlaubt gefahren ist, was man sich nur schwer vorstellen kann, dass so programmiert wird, dann würde das für die Frage der Verantwortung, glaube ich, schon eine wichtige Rolle spielen.
Menschenversuch – das ist mir zu dramatisch. Aber eines der Ergebnisse der vom Bundesverkehrsminister eingesetzten Ethik-Kommission war ja, dass man solche Verkehrssysteme nur einsetzen darf, wenn sie eine positive Risikobilanz haben. Das heißt, die Systeme müssen nicht nur genauso gut wie der Mensch sein, sondern sie sollen, bevor sie flächig zugelassen werden, besser sein, signifikant besser sein als der Mensch.
Ich glaube, diese Leitlinie sollten wir uns vor Augen führen, und dann muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass manche Euphorie, die verbreitet wird, auf längere Sicht berechtigt sein mag, dass aber heute die Assistent-Systeme und die automatisierten Fahrsysteme keineswegs diese science-fiction-artige Perfektion besitzen, die praktisch Unfälle zu einem Grenzerlebnis werden lassen. Die Technik ist insofern nicht so ausgereift, wie das viele Kommentatoren bereits unterstellen.
Systeme verantwortbar einsetzen
Schulz: Da würde ich gerne einhaken an der Stelle. Wenn Sie sagen, das muss besser sein als menschliche Fahrer, dann haben wir ja die Bilanz und wir haben auch das Wissen, dass der Autoverkehr lebensgefährlich ist. In Deutschland gab es im Jahr 2017 mehr als 3.000 Verkehrstote. Weltweit waren es mehr als eine Million. Sie sagen gerade, ein technisches System, das müsste besser sein. Aber wir sind uns einig: Besser im Sinne von 2.000 Verkehrstoten, das würde uns lange nicht reichen oder?
Di Fabio: Das würde ich für ein Problem halten. Denn wir müssen ja auch eine andere Wertung uns vor Augen halten, nämlich die Wertung der Unausweichlichkeit. Es ist ein Unterschied, ob ein Mensch einen Schaden herbeiführt, der sittlich verantwortlich ist, oder ein automatisiertes System. Nun könnte man sagen, das ist ja zynisch, aus der Opferperspektive ist das egal, ob ich von einem Menschen totgefahren werden oder von einem automatisierten System.
Wenn man es sich recht überlegt, dann ist aber eine Gesellschaft, die die menschliche Korrekturmöglichkeit ausschaltet, auch den Appell an die Subjektqualität des Menschen ausschaltet und nur noch von Verbesserungen redet, dann bewegt die sich in ihrem Rahmen in eine andere Gesellschaft hinein, wo der Einzelne mit seiner Entscheidungsverantwortung nicht mehr im Mittelpunkt steht.
Deshalb glaube ich, wenn wir sagen würden, lieber nur 2.000 Tote im Straßenverkehr mit voll automatisierten Fahrsystemen im Vergleich zu dem, was wir heute haben, das wäre aus der Opferperspektive ethisch sicherlich richtig, aber ich bin nicht sicher, wenn man es im Kontext sieht, ob das eine richtige Botschaft wäre. Ich glaube, diese Systeme müssen verantwortbar eingesetzt werden, und wir brauchen eine signifikante Verbesserung im Vergleich zum Menschen.
"Die Skepsis kommt tief aus unserem Innern"
Schulz: Für eine breite Akzeptanz - sprechen wir da für alle praktischen Zwecke eigentlich über ein nahezu perfektes System, was ja ein Widerspruch in der Wertung dann wiederum dazu ist, dass wir es in Kauf nehmen, dass wir im Straßenverkehr, dass wir beim Menschen hinterm Steuer diese kleinen Unvernünftigkeiten, die ja absoluter Alltag und Standard sind, Daddeln am Steuer, Alkohol am Steuer, zu knappe Abstände, zu schnell gefahren, all so was würde sich ein automatisiertes System sicherlich nicht trauen. Warum dann trotzdem diese große Skepsis?
Di Fabio: Die Skepsis kommt tief aus unserem Innern, dass wir, glaube ich, als Menschen Sorgen haben, dass Technik uns paternalistisch zu einem Objekt macht. Wir sind nicht mehr Fahrer, sondern wir werden zu Mitfahrern auf der Level-fünf-Stufe gemacht. Das ist schon eine Veränderung auch in der Wahrnehmung. Aber was Sie sagen, ist natürlich richtig. Diese Technik, die sich hier entwickelt, sie ist die Möglichkeit, menschliches Fehlversagen zu minimieren. Sie sollte aber so eingesetzt werden, dass die Steuerungsfähigkeit des Menschen nicht übereilt aufgegeben wird, oder vielleicht sogar prinzipiell erhalten bleibt. Insofern sind diese lenkradlosen Autos vielleicht auf einer Automobilmesse eine große Verheißung. Für mich sind sie auch immer ein Stück Symbol für eine Rollenveränderung des Menschen: Wir werden alle zu Mitfahrern.
Schulz: Der Verfassungsrechtler Udo Di Fabio, Vorsitzender der Ethik-Kommission automatisiertes und vernetztes Fahren und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
Di Fabio: Danke schön. Auf Wiederhören.
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