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Juristischer Schlusspunkt

Der Brand des Deutschen Reichstages in Berlin am 27. Februar 1933 war ein Fanal. Es ermöglichte den Nazis die endgültige Machtübernahme. Bis heute überlagert deshalb der politische Symbolgehalt den kriminalistischen Tatbestand. Nun, 75 Jahre später, taucht die juristische Seite des Falls in Form einer Presseerklärung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof auf. Es werde festgestellt, dass das Urteil gegen den im Reichstagsbrandprozess verurteilten Marinus van der Lubbe aufgehoben sei.

Interview mit dem Rechtsanwalt Reinhard Hillebrand | 11.01.2008
    Burkhard Müller-Ullrich: Der holländische Staatsbürger van der Lubbe war 24 Jahre alt, als er im brennenden Gebäude festgenommen wurde. Er wurde zum Tode verurteilt und ein Jahr später hingerichtet. Die Aufhebung seines Urteils ist also bloß ein Zeichen. Aber wofür? Dass jetzt überhaupt eine Behörde in dieser Sache tätig wurde, geht auf den Berliner Rechtsanwalt Reinhard Hillebrand zurück. Herr Hillebrand, was haben Sie damit eigentlich zu tun?

    Reinhard Hillebrand: Der Ursprung liegt darin, dass ich, wie eben viele Leute auch, den Fall kenne aus historischem Interesse und nun zusätzlich als Anwalt auf den Gedanken gekommen bin, das Gesetz, was der Bundestag 1998 erlassen hat, auf diesen Fall anzuwenden. Das Gesetz bedeutet eben, dass Strafrechtsurteile aus dem Dritten Reich ja aufgehoben werden können. Diese Idee scheint eben vor mir dann noch niemand gehabt zu haben in den letzten zehn Jahren.

    Müller-Ullrich: Und der Unrechtsbestand sozusagen, der leitet sich einfach daraus her, dass es dieses nazistisch infizierte Reichsgericht war. Denn über die Sache selbst, ob van der Lubbe der Täter war oder nicht, ist damit ja nichts gesagt?

    Hillebrand: Es wurde rein formal geprüft, ob eben die Voraussetzung nach dem Gesetz von 1998 erfüllt sind. Das heißt im Wesentlichen, ob dieses Strafurteil aus politischen Gründen ergangen ist, um damals die Herrschaft der Nationalsozialisten zu befestigen. Das ist eben etwas, was man sagen muss, weil ja auch konkrete Vorschriften damals vom Reichsgericht angewendet worden sind, die ihrerseits Unrechtscharakter haben.

    Müller-Ullrich: Herr Hillebrand, es tobt ja ein Historikerstreit schon seit Langem um die wirkliche Täterschaft. War es van der Lubbe allein? Haben ihm die Nazis dabei geholfen? Oder war es vielleicht doch irgendwie eine kommunistische Verschwörung? Die Weißwaschung eigentlich, die jetzt gegeben wurde durch diese Feststellung der Aufhebung des Urteils, geht vielleicht ein bisschen an der historischen Wirklichkeit auch vorbei?

    Hillebrand: Man müsste es sicherlich trennen. Jetzt ist eben der juristische Schlusspunkt gesetzt unter die jahrzehntelangen Versuche, die aus der Familie van der Lubbe immer vorgetragen wurden, das Urteil eben mit rechtlichen Mitteln aufheben zu lassen. Das ist nun jetzt geschehen. Das ist auch nicht mehr änderbar. Juristisch ist die Akte van der Lubbe geschlossen. Natürlich, auf der anderen Seite hat sich nichts Neues ergeben, was eben die historische Diskussion und den Historikerstreit betrifft. Das wird weiter gehen, weil auch hier jetzt von der Bundesanwaltschaft natürlich nichts inhaltlich sonst weiter geprüft wurde, keine neue Zeugen, keine neue Urkunden. Da mag es vielleicht auch nichts weiter geben. Die Juristen können sagen, dass ihre Aufgabe erfüllt ist. Die Historiker, die werden sich sicherlich weiter streiten und vielleicht jetzt auch aufgrund dieses Geschehnisses noch einmal verstärkt auch vor dem Hintergrund, dass jetzt der 75. Jahrestag bevorsteht. Die Historiker werden weiter streiten.

    Müller-Ullrich: Wo kam denn Ihr Interesse speziell für diesen Fall eigentlich her, auch von der publizistischen Diskussion, die ja in den Leitmedien geführt wurde?

    Hillebrand: Auch. Niemand, der sich mit dieser Zeit so beschäftigt hat, kommt an diesem Fall vorbei. Jeder macht sich Gedanken. Jeder versucht sich vorzustellen, wie es hätte gewesen sein können. Das ist einfach zwangsläufig. Ich bin in Berlin groß geworden. Da wird man auch an jeder Straßenecke mit der Vergangenheit konfrontiert. Das liegt einfach nahe, sich damit zu befassen. Und, wie gesagt, eben aufgrund der Tatsache, dass mir als Anwalt hier dann auch noch einmal dieses Gesetz bewusst geworden ist, lag es einfach nahe, das historische Interesse mit dieser juristischen Kenntnis zu verknüpfen und dann zu diesem Ergebnis zu führen.

    Müller-Ullrich: Und haben Sie auch eine Meinung, wer der wirkliche Täter war?

    Hillebrand: Ja, das ist auch eine Frage. Ich will natürlich, ich kann auch nicht da eine eigene Theorie entwickeln. Ich kann nur aus dem, aus meiner Beschäftigung sagen, dass ich persönlich es für äußerst sicher halte, dass Marinus van der Lubbe tatsächlich den Reichstag anzünden wollte. Er ist schließlich auch vor Ort festgenommen worden. Er wollte sicherlich aus seiner Überzeugung heraus ein Zeichen setzen. Das hat er ja auch ausdrücklich gesagt. Andererseits sprechen, denke ich, die vernünftigsten Gründe dafür, dass er es nicht alleine getan haben kann.

    Müller-Ullrich: Vielen Dank für diese Auskünfte. Das war der Berliner Rechtsanwalt Reinhard Hillebrand, der dafür gesorgt hat, dass das Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe eingestellt wurde, 74 Jahre nach dessen Hinrichtung.