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Juso-Chef Kevin Kühnert
Wann kommt der nächste Karrieresprung?

Als Wortführer der GroKo-Gegner in der SPD wurde Kevin Kühnert über Nacht vom Nobody zum Hoffnungsträger. Er unterlag mit seiner Position bei der parteiinternen Abstimmung, hat sich seither aber viel Respekt bei seinen Genossen erarbeitet. Könnte er bald zur Konkurrenz für Parteichefin Andrea Nahles werden?

Von Frank Capellan |
    Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos, der SPD Nachwuchsorganisation.
    Der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert gilt als Hoffnungsträger der SPD (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
    Back to the roots: Berlin Barbarastraße, Beethoven-Gymnasium, Lankwitz, ehemals im Westen der Stadt. Ein herrschaftlicher Bau, errichtet vor dem Ersten Weltkrieg, gerade wurde mit der Sanierung begonnen. Musik wird am Beethoven-Gymnasium naturgemäß groß geschrieben, doch ausgerechnet hier infiziert sich Kevin Kühnert mit dem Politik-Virus. Hier beginnt die Karriere eines jungen Mannes, der mit seinen 29 Jahren längst als Ausnahmetalent gilt:
    "Kevin sagte mal, dass der damalige Schulleiter, Herr Harnischfeger – auch ein Sozialdemokrat – ihn politisiert hätte. Der war ein sehr politischer Schulleiter."

    Wolfgang Ewert wiederum ist ein sehr politischer Lehrer. Drei Jahre lang hat er Kevin Kühnert unterrichtet. Der 57-Jährige sitzt in einem Container, in dem während der Bauarbeiten provisorisch unterrichtet wird, und erinnert sich an seinen bisher prominentesten Schüler. Politik war immer sein Ding, schmunzelt er. Aus dem Bauch heraus habe er ein Referat gehalten, zwei Schulstunden lang – der hat für den Kurs gebrannt, meint Wolfgang Ewert.
    "Das war ein sehr kleiner Kurs, das waren nur acht Schüler. Ursprünglich sollte der nicht stattfinden, der Leistungskurs, weil das zu wenig waren, und Kevin und andere haben dann gesagt, dann würde sie die Schule wechseln und an eine Schule gehen, an der es eben einen Politik-Leistungskurs gibt."
    Eine erfolgreiche Drohung.
    Argumentieren statt Strippenziehen
    Ganz so einfach läuft es in Kühnerts SPD nicht. Das Nein zur Großen Koalition konnte der Juso-Vorsitzende seinen Genossen nicht abtrotzen. Aber seine NoGroko-Kampagne hat ihn vor ziemlich genau einem Jahr vom Nobody zum Hoffnungsträger der SPD gemacht.
    "Lieber Kevin, bevor Du beginnst, möchten wir die Gelegenheit nutzen als Bundesparteitag Dir noch mal ganz herzlich zu gratulieren zu Deiner Wahl als neuer Juso-Vorsitzender, Herzlichen Glückwunsch!"
    Es ist so etwas wie seine Jungfernrede, die er an jenem 7. Dezember 2017 hält. Selten zuvor stand der Chef einer Nachwuchsorganisation so sehr im Rampenlicht wie Kevin Kühnert seit diesem Auftritt. Andrea Nahles kommt einem vielleicht in den Sinn, die 1995 beim Sturz Rudolf Scharpings vom SPD-Vorsitz mit an den Strippen gezogen hat. Kevin Kühnert aber überrascht durch Argumente.
    "Ich bin nicht in diese Partei eingetreten, um mit ihr Opposition zu machen, aber ich bin auch nicht in diese Partei eingetreten, um sie immer wieder gegen die gleiche Wand rennen zu sehen und das sage ich auch als Vertreter dieser Jugendorganisation, wir, die wir hier in fünf, zehn, zwanzig Jahren Verantwortung übernehmen sollen, wollen und auch müssen, wir haben ein Interesse daran, dass hier noch was übrig bleibt von diesem Laden verdammt noch Mal!"
    #NoGroKo
    Als eloquenter Wortführer derjenigen Sozialdemokraten, die sich für eine SPD in der Opposition aussprechen, wird Kevin Kühnert über Nacht bundesweit bekannt. Geplant war das alles nicht, versichert er im Rückblick:
    "Wir waren auf vier Jahre Jugendorganisation einer Oppositionspartei eingestellt, was zu übersetzen ist mit: Weit unter dem öffentlichen Radar schweben. Das wandelte sich innerhalb von Tagen ins komplette Gegenteil. Und ich glaube, das war auch die einzige Möglichkeit, wie wir das bewältigen konnten, dass wir ins kalte Wasser geschmissen wurden und funktionieren mussten!"
    Kevin Kühnert funktioniert. Mehr als das. Als Zwergenaufstand wurde sein Nein zur Groko abgetan – zu Unrecht. Und weil er nicht schmollte, als er knapp unterlag, wurde aus dem Ein-Meter-70-Mann ein Sozialdemokrat von Gewicht und Größe.
    "Dass er so frisch um die Ecke kam, hat uns allen gut getan", lobt die Parteigenossin Aydan Özoğuz:
    "Mittlerweile muss er sich ja selber auch mal mit Kritik rumschlagen. Und ich finde, er macht das ausgesprochen gut. Er weicht keiner Kritik aus."
    Mehr links als mittig
    Die Kritik entzündet sich daran, dass er die SPD weiter nach links führen möchte, weiter, als es viele für richtig halten. Parteivize Manuela Schwesig entwickelt gerade mit Kevin Kühnert ein neues Sozialstaatskonzept. Die SPD erneuern, sie neu aufstellen für die Zeit nach der Groko, sie profilieren, etwa durch die Abkehr von Hartz IV, da sind sich Kevin Kühnert und Manuela Schwesig einig:
    "Ich arbeite sehr gerne mit Kevin Kühnert zusammen, weil er nicht nur die Dinge sehr gut darstellen kann in den Medien, sondern weil er selber sich auch in die Dinge einarbeitet, weil er offen ist für verschiedene Diskussionspunkte und gar nicht so verbohrt wie das manchmal auch dargestellt wird."
    Das muss auch ein konservativer Sozialdemokrat wie Carsten Schneider anerkennen. Er hält zwar anders als Kühnert nichts davon, mit der Agenda-Politik Schröders zu brechen – dass sich Kevin Kühnert aber zum Beispiel gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen positioniert, imponiert dem Fraktionsgeschäftsführer ganz offensichtlich.
    "Ich respektiere und achte ihn sehr. Er macht eine kluge und ausgewogene politische Agenda für unseren Jugendverband, wächst darüber auch hinaus, überzieht dabei nicht im Sinne von totaler Revolution. Ich bin froh, dass wir den in der SPD haben!"
    Nahles' Warnung
    Dass Kühnert allerdings links tickt, dass er nicht daran glaubt, dass die SPD mit dem Schielen auf die bürgerliche Mitte noch zu retten ist, ahnte schon der Lehrer aus Lankwitz. Wolfgang Ewert war selbst einmal SPD-Mitglied, ist nun in Berlin für die Grünen tätig und musste für Kühnerts Abibuch eine Prognose abgeben, wo er ihn in zehn Jahren sähe:
    "Ich habe geschrieben, er wird Vorsitzender der sozialdemokratischen Linkspartei."
    Soweit will es die amtierende Chefin nicht kommen lassen. Andrea Nahles steht enorm unter Druck. Weil sie in der Affäre um Verfassungsschutzpräsident Maaßen grobe Fehler machte, thematisierte auch Kevin Kühnert den Groko-Ausstieg erneut. Die SPD-Chefin will in der nächsten Woche, wenn die Fronten in der Union vielleicht geklärt sind, mit der Parteispitze darüber beraten, ob und wie das Weiterregieren noch Sinn macht, danach aber, warnte Andrea Nahles Kühnert gerade auf dem Juso-Bundeskongress, müsse Ruhe herrschen:
    "Wenn wir diesen Klärungsprozess haben, dann muss es am Ende aber auch gemeinsam nach vorne gehen, Leute! Ja, streitige Debatten, aber bitte nicht Richtungsstreit, der zu Spaltung führt."
    Selbst eine Spaltung der Partei wird ihm zugetraut. Und Andrea Nahles reagiert. Sie hat dafür gesorgt, zwei Jusos bei der Europawahl auf aussichtsreichen Listenplätzen ins Rennen zu schicken. Es stand sogar im Raum, Kevin Kühnert zum Spitzenkandidaten zu machen. Er lehnte ab, empfand es als Abschieben aus der Bundespolitik. Jetzt muss die Justizministerin dran glauben, nächsten Sonntag will die SPD sie offiziell ernennen. Katarina Barley weiß, dass sie auch die Jusos und ihren Chef bei der Europawahl dringend braucht. Auch von ihr kommt daher nur Lobendes.
    "Kevin Kühnert ist ein sehr guter Analytiker und ein brillanter Rhetoriker, und er hat das Herz am rechten Fleck. Er mischt sich sehr konstruktiv in die Debatten ein. Es lohnt sich immer, sich mit ihm auseinanderzusetzen."
    Konkurrenz für die Parteichefin?
    Kevin Kühnert spürt, dass die Parteispitze an ihm nicht mehr vorbeikommt. In Umfragewerten von 15 Prozent und weniger sehen sich die Groko-Kritiker bestätigt. "Wir waren aber die einzige organisierte Gruppe in der Partei, die sich gegen diese Koalition ausgesprochen hat!" betont Kevin Kühnert:
    "Wir sind heute für viele, die Nein gestimmt haben, die Anlaufstelle – völlig egal, ob sie unter 35 oder schon weit über sechzig, siebzig sind. Die gucken auf uns und fragen: Was macht ihr jetzt mit der Erneuerung? Macht ihr denen jetzt ordentlich Feuer unterm Hintern?"
    Und dabei wird er nicht nachlassen, darin ist sich sein Tutor aus Schulzeiten sicher. Wolfgang Ewert ist mächtig stolz auf seinen ehemaligen Schüler, zu dem er bis heute Kontakt hält. Seine Zeit, ganz nach oben aufzusteigen, ist noch nicht gekommen wird, aber: "Kevin ist klug genug, darauf zu warten!"
    "Dass er ähnlich wie das damals Oskar Lafontaine gegen Rudolf Scharping getan hat, auf einem Parteitag gegen Andrea Nahles antritt und mit einer tollen Rede den Parteivorsitz übernimmt, halte ich für unwahrscheinlich."
    Bleibt die Frage, wieviel Zeit der womöglich sterbenden Partei am Ende bleibt? Der Politiklehrer überlegt kurz – "Ja", meint er, "undenkbar ist bei Kevin Kühnert gar nichts mehr…"
    "Es könnte höchstens aus 'ner Verzweiflungssituation der Partei heraus geschehen. Ich würde ihm das durchaus zutrauen!"