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Juso-Chef Kevin Kühnert
Zündstoff für die Enteignungsdebatte

Juso-Chef Kevin Kühnert hat mit einem Interview für Empörung gesorgt. Sein Vorschlag, Wohnbesitz zu beschränken, provoziert auch innerparteilich Kritik. Wer sich genauer mit Kühnerts Thesen beschäftigt, stellt jedoch fest: Der SPD-Politiker will niemanden enteignen.

Von Mathias von Lieben |
Juso-Bundeschef Kevin Kühnert
Juso-Bundeschef Kevin Kühnert hat mit Vorschlägen zur Vergesellschaftung für Aufregung gesorgt (imago stock&people)
"Was für ein grober Unfug", schimpfte der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs gestern als einer der ersten über Twitter. Und schob die Frage hinterher: "Was hat der geraucht?". Der ist Kevin Kühnert. Chef der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, der in einem Interview mit der Zeit über die Überwindung des Kapitalismus und einer möglichen Kollektivierung von Unternehmen auf demokratischem Wege spricht. "DDR light", "Marxismus", heißt es nun aus der FDP.
"Wir werden die soziale Marktwirtschaft verteidigen", sagt die neue Generalsekretärin der Liberalen, Linda Teuteberg. Rückwärtsgewandt seien diese Sozialismus-Thesen, poltern die CSU-Politiker Andreas Scheuer und Markus Blume. Kühnert für sie: ein verirrter Fantast. Mit solchen Leuten könne eine Regierung jedenfalls nicht funktionieren
"Das sind diese auswendig gelernten Sachen, die man sagen kann, wenn man nachts um 4 Uhr aus dem Schlaf geschreckt wird", sagt der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer und fügt hinzu: "Insgesamt macht sich auch klar, dass hier manchmal zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Art apokalyptische Diskussion entfacht wird, als ob es bereits um den Bestand des freiheitlich-demokratischen Systems der Bundesrepublik gehe, als um die Aussage eines in dem Gesamtkontext der Partei nicht so bedeutenden Politikers, die für die praktische Politik dieser Partei überhaupt keine Relevanz hat", so Neugebauer gegenüber unserem Hauptstadtstudio.
Profilierung eines nicht so bedeutenden Parteimitglieds
Er findet den Zeitpunkt der Debatte bewusst gesetzt: Kühnert müsse sein Profil in der SPD weiter schärfen, zudem komme ihm die Enteignungsdebatte entgegen.
Doch zurück zum Ursprung der Diskussion: Kühnerts Interview. Die Überschrift: "Was heißt Sozialismus für Sie, Kevin Kühnert?" Für Zündstoff in der Diskussion sorgt besonders die Passage über eine Kollektivierung von Unternehmen wie den Autobauer BMW. Solche großen Firmen müssten kollektiviert werden, sagt Kevin Kühnert. Damit meint er: Die Verteilung der Profite müsste demokratisch kontrolliert werden, kapitalistische Eigentümer seien damit ausgeschlossen. In einer anderen Passage des Interviews spricht Kühnert über die aktuelle Debatte um das Grundrecht auf Wohnen und Enteignungen.
Das Vermieten von Wohnungen sei kein legitimes Geschäftsmodell, jeder solle also maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt. Kühnert spricht im Interview bewusst von einer Utopie, vom Optimalfall. Er sagt auch: Was tatsächlich erarbeitet wurde, sollte geschützt sein. Heißt: Er will niemanden enteignen.
"Das ist ein bisschen Aufgeregtheit, die eigentlich eher so einen Schaden in der Diskussionskultur signalisiert, als mal abzuwarten. Was meint der eigentlich damit, überlegen wir mal und lesen wir gründlich. Und wenn man sich dann überlegt, dass das Grundgesetz keine Eigentumsform vorschreibt, sondern verschiedene Eigentumsformen kennt und dass Herr Kühnert dabei ist, sich ein Profil zu bilden, um innerhalb der SPD eine Rolle zu gewinnen, dann würde ich darauf gelassener reagieren als es im Moment passiert."
Auch Altkanzler Schröder wollte mal vergesellschaften
Gelassen waren die Reaktionen keineswegs – selbst nicht die der eigenen Partei. Unabgesprochen, unsolidarisch im Wahlkampf und nicht sozialdemokratische Linie, so Kühnerts SPD-Kollege Johannes Kahrs, zugleich Sprecher des rechten "Seeheimer Kreises". SPD-Vizechef Ralf Stegner hingegen findet: ein linker Juso-Chef sei ihm lieber als eine Junge Union, die ihre Mutterpartei rechts überhole. Tatsächlich sind die Jugendorganisationen der Parteien meist etwas radikaler in ihrer Ansprache als die Mutterparteien. Auch der einstige Juso-Chef und spätere Kanzler Gerhard Schröder bezeichnete sich einst als Marxist und wollte die "Vorrechte der herrschenden Klasse beseitigen".
Wo Kühnert recht hat, hat er recht, twitterte hingegen der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler. Für die Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping sind die hysterischen Reaktionen auf das Interview viel interessanter als die Aussagen von Kühnert zur Eigentumsfrage. "Die Marktradikalen spüren wohl, dass sich die Stimmung zu ihren Ungunsten entwickelt", so Kipping, ebenfalls auf Twitter. Sie meint eine neue Dynamik für mehr Wehrhaftkeit gegen reine Profitgier zu spüren.
Kühnert selbst hat inzwischen auf das aktuelle Grundsatzprogramm der SPD verwiesen. Darin heißt es u.a. auf Seite 16: Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft.