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Jusos in Berlin
Wütender SPD-Nachwuchs

So schlecht hat die Berliner Landes-SPD noch nie abgeschnitten. Bei der Bundestagswahl reichte es nur für Platz 3. Hinter CDU und Linken. Die Jugend ist wütend - auch auf die Parteispitze und alte Männer am Parteiruder. Die Jusos fordern jüngeres und mehr weibliches Führungspersonal in der SPD.

Von Claudia van Laak |
    Jugendkonferenz der Jusos im März 2017: Unter dem Motto "Jetzt gerecht" richtete sich damals noch alle Hoffnung der Jungsozialisten auf SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.
    Jugendkonferenz der Jusos im März 2017: Unter dem Motto "Jetzt gerecht" richtete sich damals noch alle Hoffnung der Jungsozialisten auf SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. (Imago)
    Am Eingang ein Stapel blauer Matten, daneben Sprungkästen, eine riesige Kletterwand. Die Berliner Jusos treffen sich zur Wahlnachlese in einer Kletterhalle – doch hoch hinaus will an diesen Tagen niemand. Es ist eher eine Art verzweifeltes Schattenboxen.
    "Ich glaube, wir sind uns alle einig. So wie es jetzt ist, kann's nicht weitergehen."
    "Das ist die gleiche Wahlanalyse, wie wir sie schon dreimal nach jeder Wahlniederlage gehört haben. Wir können dieses Gequatsche auch einfach lassen."
    "Und da stehen wir als Jusos Tag und Nacht auf der Straße und reißen uns den Hintern für die SPD auf, und ihr steuert einen Tiefflug nach dem anderen an."
    Ärger mit den alten Männern
    Mit "ihr" ist der Parteivorstand der SPD gemeint. Dieser sitzt verkörpert in SPD-Vize Ralf Stegner in der ersten Reihe und bekommt die Wut der Nachwuchsgenossinnen ab. Seine Mundwinkel – sie bilden sowieso schon ein umgekehrtes U - wandern während der Reden immer weiter nach unten. Es sind in erster Linie junge Frauen, die ihrem Ärger über die alten Männer an der Spitze – Stegner ist 58 - Luft machen. Ferike Thom, Vorsitzende der Pankower Jusos zum Beispiel. Sie fordert den Rücktritt des gesamten Parteivorstands:
    "Bei dem schlechten Ergebnis kann es doch nicht wahr sein, dass da niemand aus dem SPD-Bundesvorstand auf die Idee kommt, wenigstens mal die Mitglieder beziehungsweise die Gremien, die sie vertreten, durch einen Rücktritt und dann eine Neuwahl überhaupt noch mal nach dem Vertrauen zu fragen."
    "Ich hab mir das mitgeschrieben. Und ich hab, als ich das mitgeschrieben habe, gedacht, eigentlich wäre das gut, wenn da ein paar mehr Mitglieder aus der SPD-Führung hier wären und sich das anhören würden", entgegnet SPD-Vize Stegner. Applaus.
    Später werden die Berliner Jusos beschließen, die Hälfte des SPD-Parteivorstands sofort neu zu besetzen: Jünger und weiblicher solle der werden. Eine ähnliche Forderung hat die neue Initiative SPDplusplus aufgestellt – ein Viertel des Parteivorstands müsse demnach unter 35 sein. Ralf Stegner:
    "Ich bin jetzt nicht sicher, ob die Jugendquote sofort von heute auf morgen eingeführt werden kann. Aber dass es in die Richtung gehen muss, dass wir jüngeren Leuten Chancen geben sich zu beteiligen und das schneller tun müssen, das ist für mich ohne Zweifel notwendig, denn sonst werden wir es nicht schaffen."
    Der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner.
    Der SPD-Vizevorsitzende Ralf Stegner. (pa/dpa/Rehder)
    Zwerg SPD
    Die Berliner Jusos beschließen außerdem, der oder die SPD-Parteivorsitzende müsse künftig von allen Mitgliedern gewählt werden, nicht nur von den Delegierten eines Parteitages. Der 23-jährige Politikstudent Nico Kaufmann sagt: Die Labour Party in Großbritannien habe vorgemacht, wie das gehe. Mehr Basisdemokratie habe dort zu einem beispiellosen Aufschwung geführt.
    "Es ist ein Werkzeug. Und wenn man weiß, wie man mit diesem Werkzeug gut umgeht, und das dann auch verbindet mit Aktivismus und Engagement aus der Parteibasis heraus, bin ich guter Dinge, dass das ein fruchtvolles Werkzeug sein kann, die eingestaubten Parteistrukturen zu verändern."
    Die Berliner Landes-SPD hat bei der Bundestagswahl ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren – mit 17,9 Prozent rutschte sie nach CDU und Linken auf Platz 3 ab. Nicht nur die Jusos treibt das um. Auch den ehrgeizigen und durchaus selbstbewussten Chef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh:
    "Diese Verzwergung der SPD, da kann man doch nicht tatenlos zuschauen."
    "Funktionäre, Karrieristen und Apparatschiks" hat Saleh im Willy-Brandt-Haus ausgemacht, die Martin Schulz im Wahlkampf ausgebremst hätten. Er steht fest an der Seite des gescheiterten Kanzlerkandidaten. Das Personal einfach auszuwechseln, sei kein gutes Rezept. Es kommt auf die richtige Haltung an, meint der SPD-Fraktionschef, der auf der Karriereleiter gerne noch ein bisschen höher steigen würde.
    "Und ich will, dass wir diesen Denkzettel jetzt auch nutzen, um uns ehrlich zu machen. Und nicht so tun, als ob die Bevölkerung uns nicht verstanden hätte. Nein. Wir haben sie nicht mehr verstanden, und an vielen Teilen aufgegeben. Das ist doch eigentlich die Sache. Mehr Demut, bitte."
    Der Berliner SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh
    Der Berliner SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Ran an die Stammtische
    Von einer Jugendquote, wie sie die Initiative SPDplusplus fordert, hält der 40-jährige gebürtige Palästinenser nicht viel. Alter sei kein Kriterium für Klugheit. In seinem Kreisverband Spandau macht er vor, wie erfolgreiche sozialdemokratische Politik aussehen könnte: Rein in die Kleingartenkolonien, ran an die Stammtische, auf keinen Fall AfD-Wähler verunglimpfen, Ängste ernst nehmen. Saleh hat sein Ohr ganz nah an den Bürgerinnen und Bürgern und meint:
    "Dass wir viel mehr die Menschen erreichen müssen, die nichts anderes wollen, als sich und ihre Familien über die Runden zu bringen. Sie haben gar keine hohen Erwartungen an die Politik. Sie wollen einfach, dass es funktioniert."
    So die Erkenntnis des Chefs einer Regierungsfraktion namens SPD, die sich auch als Appell an den eigenen rot-rot-grünen Senat lesen lässt. Denn nirgendwo sonst in Deutschland ist die Zustimmung zu einer Landesregierung so sensationell niedrig wie in Berlin.