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Justizdebatte
Die Causa Sami A.

Der Fall des nach Tunesien abgeschobenen Gefährders Sami A. beschäftigt Justiz und Politik. Gegen den nordrhein-westfälischen Integrationsminister Stamp wurden Rücktrittsforderungen laut. In einer Pressekonferenz wies er diese zurück. Unterdessen warnt die Gewerkschaft der Polizei davor, den 42-jährigen Sami A. wieder nach Deutschland zurückzuholen.

    Eine Statue der Justitia
    Eine Statue der Göttin Justitia (dpa / picture alliance / David Ebener)
    Die Gewerkschaft der Polizei sieht in der möglichen Rückkehr des abgeschobenen Islamisten nach Deutschland eine Gefahr. Der Gewerkschaftsvorsitzende Plickert sagte, Sami A. könnte die Gelegenheit nutzen und abtauchen. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass Sami A. einen Anschlag verüben könnte. Der 42-Jährige wird von den Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft. Er war im Juli von der Stadt Bochum nach Tunesien abgeschoben worden, muss aber nach einer deutschen Gerichtsentscheidung wieder zurückgebracht werden, weil die Abschiebung nicht rechtens war.
    Anwältin: Rückkehr eine Frage von Stunden oder Tagen
    Die Anwältin von Sami A. geht von einer baldigen Rückkehr ihres Mandanten nach Deutschland aus. Es bestehe in Tunesien keine Ausreisesperre für Sami A., und die deutschen Behörden erarbeiteten derzeit die nötigen Einreise-Papiere, sagte die Juristin Basay-Yildiz dem Rundfunk Berlin-Brandenburg. Wenn alle Dokumente vorlägen, könne ihr Mandant bereits in den kommenden Stunden oder Tagen zurückkehren.
    Rücktrittsforderungen gegen Stamp
    Der nordrhein-westfälische Oppositionsführer Kutschaty forderte eine Entschuldigung der Landesregierung bei der Justiz. Der SPD-Politiker sagte im Deutschlandfunk, Ministerpräsident Laschet müsse sich zudem fragen, ob Integrationsminister Stamp noch tragbar sei. Der FDP-Politiker habe die Justiz im Hinblick auf die geplante Abschiebung bewusst getäuscht. SPD-Generalsekretär Klingbeil forderte Stamp indirekt zum Rücktritt auf. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, die politisch Verantwortlichen müssten daraus persönlliche Konsequenzen ziehen.
    Stamp (FDP): "Ich hatte Sorge, gegen internationales Recht zu verstoßen."
    Stamp wies die Vorwürfe in einer Pressekonferenz zurück: Seiner Ansicht nach haben Justiz und Behörden gewissenhaft gearbeitet. Er habe die Abschiebung des Tunesiers am 13. Juli nicht mehr gestoppt, da er sich Sorgen um einen möglichen "außenpolitischen Schaden" durch eine solche Entscheidung gemacht habe, so Stamp. "Trotzdem habe ich an der Stelle - glaube ich - falsch gehandelt", betonte der Minister. "Mit dem Wissen von heute bedauere ich das." Einen Rücktritt schloss Stamp auf Nachfrage aus.
    Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet, CDU, distanzierte sich von den Vorwürfen der SPD-Spitze: Dies seien "parteipolitische Spiele". Seiner Auffassung nach habe Stamp damals nach Recht und Gesetz gehandelt. Der FDP-Politiker und Rechtsexperte Baum sieht im Zusammenhang mit dem Fall Sami A. noch viel Aufklärungsbedarf. Es gehe nicht allein um NRW-Integrationsminister Stamp, sondern auch um die Rollen des BAMF und des Bundesinnenministers. Bedenklich sei, wenn bestehende Urteile nicht vom Staat anerkannt würden, sagte Baum im Deutschlandfunk.
    Bosbach (CDU): "Ich schlage vor, wir verzichten auf pauschale Urteile."
    Der CDU-Politiker Bosbach nahm Politik und Behörden in Schutz: Dass diese die Justiz getäuscht hätten, sei eine Pauschalisierung, sagte Bosbach im Deutschlandfunk. Er schlage vor, man konzentriere sich auf den Fall an sich und hoffe, dass Integrationsminister Stamp die Vorwürfe ausräumen werde.
    NRW-Regierung im Visier
    Neben Stamp steht auch noch ein weiterer nordrhein-westfälischer Minister in der Kritik: Innenminister Reul, CDU, hat mit seiner Aussage zum "Rechtsempfinden der Bevölkerung" Kritik des Deutschen Richterbundes auf sich gezogen.
    Der Vorsitzende des Richterbundes, Gnisa, sagte der "Rheinischen Post", zu einer funktionierenden Demokratie gehöre eine unabhängige Justiz. Es sei nicht zuträglich, wenn diese durch Aussagen eines Innenministers angegriffen werde. Auch SPD und Grüne im Landtag in Düsseldorf werfen Reul vor, den Rechtsstaat zu beschädigen.
    Der Minister hatte gesagt, Richter sollten im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen. Er bezog sich auf den Fall Sami A., in dem gestern gerichtlich bestätigt wurde, dass der nach Tunesien abgeschobene Islamist nach Deutschland zurückgebracht werden soll.
    Richterliche Warnung: "Auf Zusagen von Behörden nicht in jedem Fall verlassen"
    Nordrhein-Westfalens ranghöchste Richterin macht der Politik ebenfalls schwere Vorwürfe. Die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts in Münster, Brandts, sagte der Deutschen Presse-Agentur, sie rate ihren Kollegen, sich vorerst auf Zusagen von Behörden nicht mehr in jedem Fall zu verlassen.
    Im Fall Sami A habe die Politik offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet, führte Brandts aus. Das werfe Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat und insbesondere zur Gewaltenteilung und zum effektiven Rechtsschutz auf. Dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen seien Informationen bewusst vorenthalten worden. So hätten die Behörden verhindern wollen, dass die Justiz rechtzeitig ein Abschiebeverbot verhängen konnte.
    (tep)