Peter Kapern: Es ist eines der schönsten Barock-Bauwerke in Brandenburg, das Schloss Meseberg, 70 Kilometer nördlich von Berlin. Seit sieben Jahren ist das restaurierte Schmuckstück das Gästehaus der Bundesregierung und manchmal beherbergt die sich dort selbst: ab heute zum Beispiel zur zweitägigen Kabinettsklausur. Eine Mehrheit der Deutschen ist mehreren Umfragen zufolge der Auffassung, die neue Große Koalition habe einen Fehlstart hingelegt. In Meseberg soll dieser Eindruck nun korrigiert werden.
Bei uns am Telefon ist nun Heiko Maas, der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz. Guten Tag!
Heiko Maas: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Herr Maas, die Anfangsphase der Regierung war ja davon gekennzeichnet, dass etliche Kabinettsmitglieder gewissermaßen auf eigene Rechnung gearbeitet haben und mit ihren Vorhaben vorgeprescht sind. Sie haben ja auch erklärt, dass es erst mal kein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung geben soll, ohne dass der Innenminister davon wusste. War das Ihr Beitrag zum Fehlstart der Bundesregierung?
Maas: Ich finde ehrlich gesagt, dass Fehlstart etwas überinterpretiert ist. Es ist sicherlich so gewesen, dass in den ersten Wochen die letzten Interpretationsspielräume im Koalitionsvertrag noch einmal auseinanderdividiert worden sind. Aber wie es bei der Vorratsdatenspeicherung ja auch gewesen ist, haben wir uns in den Fällen dann auch relativ schnell geeinigt. Wir haben mit Herrn Innenminister de Maizière eine Einigung erzielt, dass wir unseren Gesetzesentwurf nicht vorlegen, bevor der EuGH geurteilt hat. Das ist ein Hinweis darauf, dass dort, wo noch Fragen offen waren, sie allerdings auch relativ schnell geklärt worden sind.
Kapern: Gleichwohl sind 62 Prozent der Deutschen laut ZDF-Politbarometer der Meinung, dass die Große Koalition eben diesen Fehlstart hingelegt habe. Wie bewerten Sie solche Zahlen?
Maas: Na ja, das muss man, glaube ich, sehr ernst nehmen, denn wir brauchen ja auch ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz für unsere Arbeit in den kommenden vier Jahren. Und ich glaube, dass die Regierungsklausur, die jetzt heute beginnen wird, eine gute Möglichkeit ist, zum einen das Arbeitsprogramm noch einmal klar festzulegen für die ersten 100 Tage, was machen wir bis zur Sommerpause, was folgt im Rest des Jahres, aber sicherlich auch diejenigen, die sich noch nicht so gut kennen, auch persönlich etwas näher kennenzulernen, damit man auch die jeweiligen Arbeitsweisen der Kolleginnen und Kollegen kennen wird. Dann bin ich ziemlich zuversichtlich, dass das viele, was wir uns vorgenommen haben, jetzt auch sehr, sehr schnell umgesetzt werden kann.
"Mehr Transparenz für Testverfahren"
Kapern: In Meseberg, Herr Maas, da wird jeder Minister seine To-do-Liste für das noch neue Jahr präsentieren. Werfen wir doch mal einen Blick auf die Agenda des Verbraucherschutzministers oder auf die mögliche Agenda. In letzter Zeit sind zwei als unfehlbar geltende Anwälte der Verbraucher in Deutschland ins Straucheln gekommen. Erst kassiert die Stiftung Warentest eine Niederlage vor Gericht wegen eines Schokoladentests und dann sieht sich der ADAC, auf den sich 19 Millionen deutsche Autofahrer verlassen, gravierenden Manipulationsvorwürfen ausgesetzt. Wie reagiert der Verbraucherschutzminister auf diese beiden Ereignisse?
Maas: Erstens muss man die beiden Fälle noch mal unabhängig voneinander betrachten. Bei der Stiftung Warentest gab es ein Urteil, wo es um eine Auslegungsfrage ging. Das kann vorkommen, das ist nicht zu vergleichen mit dem, was beim ADAC geschehen ist. Beim ADAC ging es letztlich um Manipulationen. Nun hat der ADAC selber erst mal gesagt, dass er das alles lückenlos aufklären will. Das kann man auch von ihm erwarten, im Übrigen nicht nur die Mitglieder des ADAC, sondern auch die Allgemeinheit. Ganz grundsätzlich müssen wir uns, glaube ich, die Frage stellen, wie wir mehr Transparenz in solche Testverfahren bringen können. Es ist für Verbraucher ja durchaus richtig und wichtig, dass es Organisationen gibt, die Produkte testen, damit man Hinweise bekommt, ob das, was man selber sucht, bei einem Kauf dann auch erfüllt werden kann. Dafür brauchen wir ein Höchstmaß an Transparenz, dafür brauchen wir vielleicht auch ein paar Standards, die für alle gelten in Zukunft, damit so was nicht noch einmal vorkommt und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sich auf diese Organisationen, die ihre Kaufentscheidung ganz maßgeblich mit beeinflussen, dann auch verlassen können.
Kapern: Wie muss man sich diese Standards, die Sie da fordern, vorstellen? Wer schreibt die vor?
Maas: Zunächst einmal wird das jede Organisation oder jeder Verein für sich selber definieren müssen. Die Frage ist tatsächlich, wie kommen die Daten zustande, hat man die Möglichkeit, wenn gleichartige Produkte von unterschiedlichen Organisationen getestet werden, auch darauf hinzuwirken, dass die Tests überhaupt miteinander vergleichbar sind, was geht ins Ergebnis in welchem Umfang ein. Das sind ja alles Fragen, die die Verbraucher interessieren und die wichtig sind, um auch eine Kaufentscheidung treffen zu können. Da gucken wir uns jetzt mal an, was der ADAC bei seiner Aufklärung alles selber noch einmal definiert. Aber wir werden uns sicherlich das Thema noch einmal ansehen müssen und wir werden auch sicherlich mal überlegen, ob das überhaupt möglich ist und wie das aussehen kann, Standards zu definieren, die auch für Testorganisationen dann Geltung haben, und das wird man jetzt erst mal beim ADAC sehen, wie die das selber regeln, und wir werden uns darüber hinaus noch mit dem Thema weiter beschäftigen müssen, wie ich finde.
Standards unterhalb der Gesetzgebungsschwelle
Kapern: Interpretiere ich Sie da richtig, dass Sie ein gesetzliches Eingreifen ankündigen für den Fall, dass die Selbstheilungskräfte beim ADAC nicht greifen?
Maas: Nein. Ich weiß nicht, ob man das unbedingt in einem Gesetz regeln muss. Da muss man zunächst einmal auch mit den betroffenen Organisationen reden. Das werden wir sicherlich auch tun, nicht nur mit dem ADAC, sondern auch mit anderen Organisationen, die Produkttests durchführen. Dass man dazu eine gesetzliche Regelung braucht, hoffe ich zumindest nicht. Es geht um Transparenz der Prüfverfahren, es geht um Mindeststandards, die für alle gelten, und ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass man das mit den Organisationen auch unterhalb der Gesetzgebungsschwelle erreichen kann.
Kapern: Eine andere Nachricht, die den Verbraucherschutzminister interessieren muss, hat uns gestern erreicht. Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik hat darauf aufmerksam gemacht, dass 16 Millionen Online-Konten gehackt worden sind, davon acht Millionen mit einer Länderkennung, die nach Deutschland weist. Wie bewerten Sie die Dimension dieses Hacker-Angriffs?
Maas: Eigentlich ist das unfassbar. Es ist genauso unfassbar wie vieles andere, was zurzeit beim Thema Datensicherheit geschieht, und ich glaube, wir müssen feststellen, dass die Möglichkeiten, die es in der digitalen Welt gibt, und zwar die Missbrauchsmöglichkeiten, sich deutlich schneller entwickeln, als wir darauf etwa gesetzgeberisch reagieren können. Deshalb ist das ein wichtiges Thema. Deshalb wird alles, was mit dem Thema Datensicherheit zu tun hat, uns, glaube ich, in den kommenden Jahren noch sehr, sehr intensiv beschäftigen. Es kann aber uns nicht nur auf nationaler Ebene beschäftigen, sondern das ist ein Thema auf EU-Ebene und darüber hinaus, weil all das, was dort geschieht, was gespeichert wird, der Datenverkehr, ein internationales Thema ist und nationalstaatliche Regelungen alleine nicht ausreichen werden, um dem etwas entgegenzusetzen. Das ist ein Punkt, der auch für ein Verbraucherschutzministerium, aber genauso für ein Justizministerium ganz oben auf der Tagesordnung steht in den kommenden Jahren.
Behörden müssen Informationen über Datenmissbrauch schnell veröffentlichen
Kapern: Nun berichten, Herr Maas, Zeitungen heute früh darüber, das BSI habe bereits seit Dezember von diesem Hacking gewusst, habe die Informationen aber für sich behalten. Was nutzt ein Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik, wenn dieses Amt sein Wissen wochenlang für sich behält, statt die Verbraucher zu alarmieren?
Maas: Das kann ich nicht kommentieren, weil ich den Vorgang so nicht kenne. Sicherlich ist es notwendig, dass alle Behörden, die Informationen haben über entsprechende Missbrauchstatbestände, das sehr schnell auch öffentlich kundtun. Allerdings damit dies auch Hinweise sind, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher dann auch wichtig sind, ist es natürlich genauso wichtig zu überprüfen, dass diese Angriffe, oder was immer das gewesen ist, dann auch tatsächlich welche sind. Es wird im Internet und es wird im Web insgesamt viel verschickt, was sich auch als harmlos herausstellt. Deshalb kann ich das nicht beurteilen, ob hier noch einmal überprüft worden ist, ob es sich um eine ernst zu nehmende Bedrohung gehandelt hat oder nicht. Aber richtig ist sicherlich, wenn man entsprechende Hinweise bekommt und wenn es ein Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit gibt, dass das ernst zu nehmen ist, muss auch schnell darüber informiert werden.
Kapern: Dem Bundesjustizminister könnte bald noch ein ganz anderes Problem drohen. Möglicherweise muss er sich ja bald mit der Frage beschäftigen, ob gegen Mitarbeiter von US-Geheimdiensten in Deutschland ermittelt wird, weil sie das Handy der Kanzlerin belauscht oder Millionen von Deutschen ausgespäht haben. Wie gehen Sie dann damit um, Herr Maas?
Maas: Das ist eine Entscheidung, die jetzt der Generalbundesanwalt zu treffen hat. Es gibt dort zwei Beobachtungsvorgänge: Zu einen das Ausspähen des Handys der Kanzlerin, zum anderen andere Ausspähvorgänge, die nicht so konkret benannt worden sind. Wir werden dem Generalbundesanwalt dort nicht hineinreden, sondern der wird nach Recht und Gesetz entscheiden. Das wird er uns irgendwann mitteilen. Im Moment ist es so, dass die Sachverhaltsaufklärung noch nicht beendet ist. Wenn die beendet ist, wird der Generalbundesanwalt uns seine Entscheidung mitteilen. Da sind wir aber im Moment noch nicht, das wird noch eine Zeit in Anspruch nehmen und das wird nach Recht und Gesetz geschehen und wir sollten auch nicht den Generalbundesanwalt versuchen, durch öffentliche Einlassungen in die eine oder in die andere Richtung da unter Druck zu setzen.
Recht und Gesetz gelten für alle
Kapern: Recht und Gesetz sind ja möglicherweise etwas dehnbar, Herr Maas. Wäre es für Sie akzeptabel, dass alles, was andere Staaten in Deutschland oder mit Deutschen unter dem Label der Terrorabwehr treiben, außerhalb der Reichweite unseres Rechtsstaats stattfindet?
Maas: Was innerhalb von Deutschland geschieht, kann sich nicht außerhalb des deutschen Rechtsstaates bewegen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten das auch nicht akzeptieren würden, dass wenn es entsprechende Abhörvorgänge in ihrem Land gibt, die von anderen Staaten initiiert worden sind, und das gleiche würden wir für uns in Deutschland auch in Anspruch nehmen. Wir warten jetzt ab, was in diesen konkreten Fällen der Generalbundesanwalt entscheidet, und ich gehe davon aus, dass das eine Entscheidung sein wird, die, wenn die Sachverhalte ausgeforscht sind, eine ist, die nicht nur akzeptabel ist, sondern die das berücksichtigt, was bei Sachverhaltsaufklärung und bei der Strafverfolgung nun einmal nach Recht und Gesetz geschieht, und das gilt für alle.
Kapern: Der Bundesjustizminister Heiko Maas heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Maas, ich bedanke mich für das Gespräch, wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, einen angenehmen Tag in Meseberg, und sage auf Wiederhören.
Maas: Danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!
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