Die polnische Regierung hat nach und nach alle Bereiche des Gerichtssystems wesentlich verändert. Es begann mit dem Verfassungsgericht, dann folgte die ordentliche Gerichtsbarkeit.
Das Verfassungsgericht ist nach den Reformen fest in der Hand von Richtern, die der rechtskonservativen Regierungspartei PiS gegenüber als loyal gelten. Der Bürgerrechtsbeauftragte der Regierung Adam Bodnar sieht die Entwicklung dort sehr kritisch:
"Es ist zweifelhaft, ob man das Verfassungsgericht heute noch unabhängig nennen kann. Es ist bezeichnend, dass die polnischen Richter heute den Europäischen Gerichtshof für eine neutralere Instanz halten und sich eher dorthin wenden, wenn sie eine Klärung wünschen. Das betrifft nicht nur medienwirksame Fälle, sondern auch, wenn sie zum Beispiel Bedenken gegen Regeln im Finanzsektor haben."
Adam Bodnar hat sein Amt noch in der vorigen Legislaturperiode angetreten, er gilt als Gegner der Regierungspartei PiS.
Vorzeitiger Ruhestand für Richter
Der Teil der Gerichtsreform, über den der Europäische Gerichtshof heute urteilen wird, betrifft das Oberste Gericht, also die höchste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Das Gericht in Luxemburg wird sehr wahrscheinlich entscheiden: Die Regierung darf nicht einfach per Gesetz das Rentenalter der amtierenden Richter herabsetzen. So wollte die PiS vor zwei Jahren den Personalaustausch am Obersten Gericht beschleunigen. Allerdings hat sie auf diese Regelung bereits verzichtet.
Ein eher kleines Zugeständnis angesichts der Fülle von Veränderungen, meint der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Jerzy Stępień:
"Auch ich kenne mich in den ganzen Gesetzesnovellen ehrlich gesagt nicht mehr aus. Jemand hat gezählt, dass es etwa 150 waren in den vergangenen drei Jahren. Es herrscht ein riesiges Chaos. Und das ist wohl das Ziel der Regierenden. Niemand kennt sich mehr aus, und die Regierung kann machen, was sie will."
Ein Teil der Novellen dient unmittelbar dem Zweck, dass sich der Gerichtshof in Luxemburg nicht mit der Gerichtsreform befassen kann.
Fest steht dennoch, dass am Donnerstag ein weiterer wichtiger Termin in Luxemburg ansteht. Der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs äußert sich zum Herzstück der polnischen Gerichtsreform. Es geht um den Landesjustizrat, der bei der Auswahl neuer Richter für ein Gericht eine zentrale Rolle spielt. Früher wurden seine Mitglieder von der Selbstverwaltung der Richter gewählt, heute vom Parlament, also de facto von der PiS-Mehrheit.
Das polnische Oberste Gericht, wo heute noch PiS-kritische Richter in der Mehrheit sind, hatte Luxemburg in der Sache angerufen. Mit der Frage, vereinfacht gesagt, ob die Neuregelung des Landesjustizrats nicht der Gewaltenteilung widerspricht.
Eine eigene Kammer für Disziplinarverfahren
Daneben gibt es noch ein zweites grundsätzliches Element der Gerichtsreform, in dem sich die polnischen Richter an den Europäischen Gerichtshof gewandt haben. Es erlaubt den Politikern, nicht nur Einfluss auf die Auswahl von Richtern zu nehmen, sondern auch auf ihre tägliche Arbeit.
Michal Laskowski, Sprecher des Obersten Gerichts:
"Es gibt sehr ernsthafte Zweifel an der Neuregelung von Disziplinarverfahren gegen Richter. Vielen scheint, dass der Justizminister dabei eine übermäßig große Rolle spielen soll."
Das Parlament hat am Obersten Gericht eine neue Kammer eingerichtet, die sich nur mit Disziplinarverfahren gegen Richter beschäftigt. Justizminister Zbigniew Ziobro hat entscheidenden Einfluss auf die Richter der Kammer. Die Befürchtung lautet also: Ziobro könnte Richter, die sich bei ihm unbeliebt machen, maßregeln lassen.
In dieser Frage wird der Generalanwalt voraussichtlich im September eine Stellungnahme abgeben.
Die polnische Regierung weist im Übrigen alle Vorwürfe zurück. Es gehe ihr nur darum, ein gerechteres Justizsystem zu schaffen. Und dafür müssten auch Richter kontrolliert werden, sonst würden sie zu mächtig und deshalb zu selbstgefällig.