Christine Heuer: Das kam dann doch ein bisschen überraschend: Andrzej Duda, der polnische Staatspräsident, hat sein Veto eingelegt gegen die Justizreform der ihm nahestehenden PiS-Partei. Duda reagiert damit auf die anhaltenden Demonstrationen gegen die im Eiltempo durch das Parlament gebrachten umstrittenen Gesetze der Regierung.
Am Telefon ist Bartosz Wielinski, Leiter der außenpolitischen Redaktion bei der "Gazeta Wyborcza". Guten Tag, Herr Wielinski!
Bartosz Wielinski: Ja, guten Tag, hallo!
Heuer: Überrascht Sie Dudas Veto?
Wielinski: Ja, sehr. Ich dachte … Also heute Morgen war ich überzeugt, dass solcher Ausgang wäre nicht möglich, weil ausgerechnet dieser Staatspräsident hat noch nie die Stimme des Volkes entsprochen. Also er unterstützte die Regierung von "Recht und Gerechtigkeit" mit ganzem Herzen, und es war wirklich nicht denkbar, dass er so nicht loyal sich darstellen könnte, aber, in der Tat, er hat es gemacht. Das einzige Problem, das ich jetzt sehe, ist, dass er nur gegen zwei Gesetze Veto eingelegt hat. Das heißt, es bleibt noch ein Gesetz, das der Regierung die vollständige Kontrolle über normale, einfache Gerichte gibt. Das ist eine Gefahr, dass trotz dieser Entscheidung von Duda die Justizminister die Urteile von einfachen Gerichten auch irgendwie beeinflussen könnten, aber mal sehen, wie sich die Lage weiter entwickeln wird.
"Kaczynski ist völlig überrascht"
Heuer: Herr Wielinski, aber ein Veto ist es. Was, glauben Sie, hat den Ausschlag gegeben?
Wielinski: Vermutlich diese Demonstrationen. Also vermutlich – bestimmt diese Demonstrationen. Also der Maßstab der Protestwelle in Polen ist mit den Protesten von vor 80 Jahren vergleichbar. Es ist noch nicht in der neueren Geschichte Polens geschehen, im freien Polen so passiert, dass die Leute so massenhaft in allen Städten Polens, in kleinen und in großen … eine Entscheidung von Staatsbürgern sind, auf solche Weise forderte. Das war eine große Überraschung für die Regierenden. Man hatte gehofft, dass in der Sommerzeit, in der Sommerpause man wird kein Interesse in Polen haben, sich mit der Politik zu beschäftigen, und im Gegensatz hatten die Polen seine Wachheit sozusagen dargestellt.
Heuer: Also ein Sieg der Demokratiebewegung in Polen.
Wielinski: Ja, solcher fundamentalen Demokratie, also Vox Populi, wurde zuerst mal sichtbar auf den Straßen, und dann war das geklärt. Es muss auch gesagt werden, dass die Regierungspartei völlig überrascht ist. Also vor einer Stunde begann eine Krisensitzung in der Parteizentrale auf der Nowogrodzka-Straße in Warschau. Der Präsident [unverständliches Wort; Anmerkung der Redaktion] Vorsitzende der Partei Kaczynski ist völlig überrascht. Die Politiker der Partei sind empört. Ich sage Ihnen das mit Klartext. [unverständlicher Satz; Anmerkung der Redaktion] Das sind auch die Sachen, die man noch nicht von solchen Politikern gehört hat. Also man hat noch nicht kritisiert.
Wiederwahl in Gefahr?
Heuer: Herr Wielinski, ist das der Bruch Dudas mit Kaczynskis PiS-Partei?
Wielinski: Noch einmal? Können Sie wiederholen?
Heuer: Ist das jetzt der Bruch Dudas mit Kaczynskis PiS-Partei?
Wielinski: Ich glaube, das ist zu früh zu sagen. Also bestimmt, also die erste … solche Entwicklung, dass Duda hat die Parteianweisungen nicht gefolgt, und das hat man nicht erwartet, dass er sich so querstellen würde. Das ist zu früh zu sagen, aber es ist möglich, dass er wird jetzt um seine Souveränität kämpfen. Also in drei Jahren wird Herr Duda zur Wiederwahl stehen, und wenn es so wäre, dass er eine Marionette in den Händen von Kaczynski, von der Partei würde, dann wird er keine große Chance, diese Wahlen zu gewinnen, haben. Also er ist auch bewusst von dieser Gefahr, und er muss an seine politische Zukunft denken, aber die Partei hat auch Möglichkeiten.
Heuer: Ja, Herr Wielinski, weil uns ein bisschen die Zeit wegrennt. Ganz rasch: Wie wird PiS reagieren?
Wielinski: Abwarten bis die Protestwelle sinkt, und dann neu starten. Das ist die einzige Möglichkeit. Also für Kaczynski gilt eine Regel: Keinen Schritt zurück, und er wird weiter nach vorne laufen in dieser Lage. Also keinen Schritt zurück, und ich erwarte im Herbst eine neue Zuspitzung, eine neue Eskalation.
Heuer: Bartosz Wielinski, Leiter der außenpolitischen Redaktion bei der "Gazeta Wyborcza". Herr Wielinski, haben Sie Dank für das Gespräch!
Wielinski: Vielen Dank, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.