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Justizreform in Polen
Richter rufen zum Protest

Die nationalkonservative PiS will die polnische Justiz weiter umbauen. Mit einem geplanten Gesetz will sie Richter im Land stärker kontrollieren. Gegen diese Idee hat ein Bündnis aus Bürgern und Richtern zu Demonstrationen aufgerufen – in Dutzenden polnischen Städten.

Von Florian Kellermann |
Der Oberste Gerichtshof Polens in Warschau
Polen gefährdet mit der Justizreform seine EU-Mitgliedschaft, warnt das Oberste Gericht in Warschau. (Imago/ Heike Bauer)
Richter, die gegen die polnische Gerichtsreform protestieren, müssen mit Schikanen rechnen. Das hat der Krakauer Richter Waldemar Żurek erfahren.
"Ich wurde nicht einfach rechtswidrig in eine andere Abteilung versetzt. Ich habe auch keinen Assistenten und keinen Sekretär bekommen, obwohl das üblich ist. Außerdem werde ich von verschiedenen Staatsorganen kontrolliert. Meine Vermögenserklärung wurde 16 Monate lang geprüft. Die Staatsanwaltschaft hat mich verhört. Das Finanzamt hat ein Verfahren gegen mich eingeleitet. Und das alles ohne jede Grundlage."
Der Druck auf Richter soll zunehmen
Besonders bitter sei es gewesen, dass auch seine Frau ohne Grundlage überprüft worden sei, sagt Waldemar Żurek – und das mitten in einer komplizierten Schwangerschaft.
Nun soll der Druck auf die Richter noch zunehmen. Die Regierung plant dazu ein Gesetz. Es verbiete den Richtern de facto, die Justizreform zu kritisieren, meint Waldemar Żurek.
Tatsächlich sieht das Gesetz disziplinarische Maßnahmen gegen Richter vor, die sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom November beziehen. Der EuGH hatte schwere Bedenken gegen zwei Punkten der Justizreform vorgebracht, gegen den neu geschaffenen Landesjustizrat und gegen die neue Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof. Die richterliche Unabhängigkeit könnte in Gefahr sein, so lässt sich das Urteil aus Luxemburg lesen.
Doch darauf dürften sich polnische Richter nicht beziehen, meint Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der rechtskonservativen Partei PiS. Denn damit würden sie ja das polnische Gerichtssystem in Frage stellen.
Morawiecki: "Dafür sorgen, dass im Gerichtswesen Ordnung herrscht"
"In unserem Vorschlag für das Gesetz geht es darum, ein Chaos in der Rechtsprechung zu verhindern. Dafür gibt es auch im deutschen und im französischen Recht Regelungen, die deutlich härtere Strafen vorsehen. Wir müssen einfach dafür sorgen, dass im Gerichtswesen Ordnung herrscht."
Chaos droht dem polnischen Gerichtssystem in der Tat. Über 500 Richter hat der neue Landesjustizrat schon ausgewählt. Sie fällen tagtäglich Urteile. Wenn der Landesjustizrat nun rechtswidrig sein sollte, wenn er gegen die Prinzipien der EU verstoßen sollte, dann sind die Urteile dieser Richter womöglich hinfällig.
Doch das von der Regierung geplante Gesetz verhindere nicht einfach Chaos, meinen seine Kritiker. Es entmündige vielmehr die Richter, sagt der Rechtsanwalt Michał Wawrykiewicz von der Bürger-Vereinigung "Freie Gerichte".
"Es zeigt, dass die Regierung das Urteil des Europäischen Gerichtshofs de facto nicht anerkennt. Der EuGH hat umrissen, wie die Gerichtsbarkeit in einem demokratischen Rechtsstaat in der EU aussehen sollte. Unsere Regierung zeigt ganz im Gegenteil, dass sie die richterliche Unabhängigkeit ersticken will."
Seit der Wahl kann die PiS nur allmählich Gesetze umsetzen
Auch die Dekane der juristischen Fakultäten aller bedeutender polnischer Universitäten haben sich in einer Stellungnahme gegen das Gesetz gewandt.
Selbst außerhalb ihres Berufs sollen sich die Richter nicht öffentlich äußern dürfen. Laut Gesetz sollen sie alle ihre Konten im Internet offenlegen, also bei sozialen Netzwerken.
Eine extreme Gängelung, die sich die Richter nicht gefallen lassen würden, meint der Krakauer Richter Waldemar Żurek:
"Der Wille, sich dem entgegenzustellen, ist sehr groß. Auch wenn die Richter für jeglichen Widerstand teuer bezahlen müssen und nicht mehr ruhig schlafen können. Ein Richter wurde bereits beurlaubt, noch ohne das neue Gesetz, weil er EU-Recht direkt in Polen anwenden wollte."
Anders als in der vergangenen Legislaturperiode kann die Regierungspartei PiS Gesetze allerdings nicht mehr so schnell in Kraft setzen. Denn das Oberhaus, der Senat, ist seit der Parlamentswahl im Oktober in der Hand der Opposition. Es kann Gesetze zumindest einige Monate verzögern.