Im Mai vergangenen Jahres, als Deutschland seit einigen Wochen im ersten Corona-Lockdown war, da saß die Soziologie-Professorin Jutta Allmendinger eines Abends im Fernsehstudio bei Anne Will. Und prophezeite, dass die Pandemie nicht nur für die Gesundheit gefährlich ist und natürlich für die gesamte Volkswirtschaft – sondern auch für das Verhältnis von Männern und Frauen.
"Die Frauen werden eine entsetzliche Retraditionalisierung weiter erfahren. Ich glaube nicht, dass man das so einfach wieder aufholen kann, und dass wir drei Jahrzehnte verlieren werden."
Eine provokante These: Wird die bis heute in Deutschland erreichte Gleichstellung von Männern und Frauen um dreißig Jahre zurückgeworfen – weil Kinder einige Monate nicht in die Kita und die Schule gehen, weil viele Frauen – aber auch Männer – im Homeoffice arbeiten? Mit ihren Überlegungen löste die Soziologin eine Debatte aus. Nun hat sie ihre Argumente in einem Buch ausformuliert und mit empirischen Daten untermauert.
Mütter sind Verliererinnen der Pandemie-Politik
"Männer erhöhten in den Wochen nach dem Lockdown wieder schneller als Frauen ihre Arbeitszeit, gingen schneller Schritte zurück in die Normalität. […] Die Schere […] zwischen Müttern und Vätern öffnete sich umso mehr."
Frauen und insbesondere Mütter sind demnach die Verliererinnen der Pandemie-Politik, die Ursachen dafür reichen der Soziologin zufolge allerdings weit zurück. Jutta Allmendinger beschreibt präzise, welche Wirkung etwa das Ehegattensplitting hat, weil es noch immer die sogenannte Versorgerehe fördert: "Bei sehr vielen Frauen lohnt sich der Heiratsmarkt mehr als der Arbeitsmarkt."
Mütter arbeiten viel häufiger als Väter in Teilzeit, sie verzichten damit auf Gehalt und beruflichen Aufstieg, aber auch auf Rentenanwartschaften. Zugleich leisten Frauen in Deutschland mehr unbezahlte Sorge-, Familien- und Hausarbeit.
Bei Männern spielt Familienstand weiter keine Rolle
"Bei Männern aber machen weder der Familienstand noch Kinder im Haushalt einen Unterschied. Ihre Erwerbsbeteiligung und ihre Arbeitszeiten sind völlig unabhängig von ihrer familiären Situation."
In einer geschlechtergerechten Gesellschaft, schreibt Allmendinger, in der Frauen und Männer sich privat und beruflich verwirklichen und beide im Alter eine angemessene Rente beziehen können, müssten Männer viel mehr Familienarbeit leisten: "Tatsächlich haben sich Männer über die letzten Jahrzehnte aber kaum bewegt. Ihre Erwerbsquoten sind unverändert hoch, ihre Teilzeitquoten äußerst niedrig."
Die Pandemie wird diese Ungleichheit weiter zementieren, ist Allmendinger überzeugt. Etwa durch das süße Gift der Heimarbeit. Das Homeoffice, das derzeit von vielen als schöne neue Arbeitswelt gefeiert wird, dränge Frauen zurück in alte Rollenmuster: "Wenn Kinder krank oder bei hitzefrei nach Hause geschickt werden, steht die Tür offen, die Mutter ist da, kann trösten und kochen. Sie kann mal schnell einkaufen gehen, hier und da etwas richten, Post entgegennehmen."
Vorschlag für eine 32-Stunden-Woche für alle
Wenn Mütter zu Hause arbeiteten, verschwinde der Druck, eine verlässliche öffentliche Kinderbetreuung aufzubauen. Denn im Homeoffice könnten die Mütter ja selbst wieder übernehmen und die Not lindern.
Sie würden dadurch allerdings in der Arbeitswelt unsichtbar und ihr Weg in Führungspositionen und verantwortungsvolle Jobs noch schwieriger: "Es droht nicht nur Stillstand, es droht gar ein Rückfall in alte Traditionen. Von einer geschlechtergerechten Gesellschaft entfernen wir uns so weiter und weiter."
Die Soziologin hat ein Buch ganz ohne Soziologendeutsch geschrieben. Keine Schachtelsätze, kein Fachvokabular. Dafür aber eine persönliche Note. Denn sie schreibt auch über ihren eigenen Werdegang als Wissenschaftlerin und Mutter, sie schildert die Lebenswege ihrer Großmutter und Mutter und überlegt, wie es wohl einer zukünftigen Enkeltochter ergehen könnte.
Für sie wünscht sich Allmendinger eine Welt, in der Männer und Frauen die Aufgaben gerecht verteilen: "Der aus meiner Sicht bessere Weg besteht darin, dass Männer ihre Erwerbsarbeit reduzieren und damit endlich einen aktiven Schritt auf die Frauen zu machen. Ziel ist eine etwa 32-Stunden-Woche für alle, berechnet als Schnitt über den gesamten Lebensverlauf, mit Phasen niedrigerer oder höherer Arbeitszeit."
Es gehört zu den Stärken des Buches, dass die Autorin nicht nur die gesellschaftliche Wirklichkeit beschreibt, sondern auch Perspektiven aufzeigt, wie es gerechter zugehen könnte. Die Politik ist gefragt, aber auch jede Frau und jeder Mann. Denn, es geht eben nur gemeinsam, wie Allmendinger überzeugend darlegt. Ihr kurzweilig geschriebenes Buch ist eine motivierende Lektüre für Frauen und Männer.
Jutta Allmendinger: "Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen",
Ullstein, 144 Seiten, 12 Euro.
Ullstein, 144 Seiten, 12 Euro.