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K.o.-Tropfen
Betäubter Rechtsstaat

K.o.-Tropfen lähmen, machen willen- oder bewusstlos. Vergewaltiger nutzen das aus. Die Aufklärung der Taten ist für die Strafverfolgungsbehörden oft unmöglich. Fiele die Substanz unter das Betäubungsmittelgesetz, könnte früher eingegriffen werden. Das Bundesgesundheitsministerium wiegelt ab.

Von Timo Stukenberg |
ILLUSTRATION - Ein Mann füllt in der gestellten Szene am 02.12.2015 in Aufseß (Bayern) mehrere "K.O. Tropfen" in eine Bierflasche. Am Landgericht in Bamberg beginnt am 03.12.2015 ein Prozess gegen einen 24-Jährigen, der K.o.-Tropfen mit zu einer Party gebracht haben soll. Ein Konsument starb später. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord vor. Foto: Nicolas Armer/dpa | Verwendung weltweit
K.o.-Tropfen: Substanzen wie GBL (Gamma-Butyrolacton) sind farblos, geruchlos und geschmacklos. (dpa | Nicolas Armer)
Der Prozess vor dem Amtsgericht in Neuss ist alles andere als selbstverständlich: Ab Freitag müssen sich fünf Männer vor dem Gericht verantworten. Laut Anklageschrift sollen sie in unterschiedlicher Zusammensetzung im Februar und im März dieses Jahres zwei Frauen stundenlang gemeinschaftlich vergewaltigt haben. In beiden Fällen sollen die Täter versucht haben, den Frauen K.-o.-Tropfen zu verabreichen. In einem Fall sei das Opfer dadurch handlungsunfähig und willenlos geworden. Erinnern könne sich die betroffene 20-Jährige an nichts, sagt ein Gerichtssprecher.
Fälle wie diese bekommen zwar eine große mediale Aufmerksamkeit. Tatsächlich kommt es aber verhältnismäßig selten zu einer Anklage oder zu einer Gerichtsverhandlung. Das liege vor allem an den K.-o.-Tropfen, sagt Barbara Gradl-Matusek. Sie ist Staatsanwältin in der Abteilung für Sexualdelikte der Staatsanwaltschaft Kiel.
"Also ich stell den weit, weit überwiegenden Teil der Verfahren wegen K.-o.-Tropfen ein. Jedenfalls kann ich die Gabe von K.-o.-Tropfen nahezu niemals nachweisen. Das liegt einfach daran, dass der chemische Nachweis schon nach wenigen Stunden nicht mehr möglich ist."
Schwierige Nachweisbarkeit
Als K.-o.-Drogen werden viele Stoffe genutzt, die enthemmen oder handlungsunfähig machen können. Dazu gehört natürlich Alkohol, aber auch Substanzen wie GBL oder Gamma-Butyrolacton, wie die vollständige Bezeichnung lautet. Farblos, geruchlos, geschmacklos – im Getränk ist der Stoff nicht zu identifizieren. Im Körper wird er jedoch zu der K.-o.-Droge GHB umgewandelt. Einer oder mehrere Tropfen der Industriechemikalie können Betroffene wehr- und willenlos machen. Dazu kommt, dass der Stoff im Körper nur für wenige Stunden nachweisbar ist. Und die Opfer haben im Nachhinein teils große Erinnerungslücken. Dass mache es noch schwieriger, den Tätern auf die Spur zu kommen, sagt Staatsanwältin Gradl-Matusek.
"Die einzige Chance bei mehreren Tätern nachzuweisen, wer es verabreicht hat, wäre eine gute Erinnerung der oder des Geschädigten. Die haben wir aber in der Regel nicht."
Deutschlandweite Studien zum Einsatz von K.-o.-Tropfen gibt es nicht. Carola Klein von der Berliner Fachstelle LARA, berät betroffene Frauen. Jede Woche werden ihr mehrere Fälle berichtet.
"Also der Nachweis von jetzt im Speziellen GHB ist ziemlich, ziemlich schwierig. Und in diesen Fällen habe ich das bis jetzt noch nicht erlebt, dass es diesen konkreten Nachweis überhaupt gibt."
K.-o.-Tropfen juristisch wie eine Tatwaffe behandeln
GBL ist eine Industriechemikalie. Mit ihr lässt sich zum Beispiel Graffiti von Hauswänden entfernen. Man kann es günstig im Internet bestellen. Das wollen die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und ihre Kolleginnen aus den anderen Bundesländern nun ändern. Die Konferenzen der Frauen- und Gleichstellungs- und der Gesundheitsministerien der Bundesländer haben im Juni Beschlüsse gefasst, mit denen sie die Bundesregierung auffordern, den Einsatz der Chemikalie als K.-o.-Droge zu regulieren.
"K.-o.-Tropfen ist aus unserer Sicht eine neue Tatwaffe, denn wenn Frauen, ohne dass sie es mitbekommen, K.-o.-Tropfen bekommen und sich im Nachhinein gar nicht daran erinnern, was passiert ist, ist natürlich ein Missbrauch hier vorhanden. Und Frauen erfahren dadurch Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen und wir sind der Meinung, dass hier der Staat auch gefragt ist, wenn es diese neue Tatwaffe gibt auch entsprechend zu handeln."
Konkret heißt das: GBL solle unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, sagt Kalayci, damit es wie andere Drogen ebenfalls verboten ist. Kalayci sieht vor allem das Bundesgesundheitsministerium in der Pflicht.
Bundesgesundheitsministerium sieht keinen Regulierungsbedarf
Doch dort hält man von dem Vorschlag wenig. Stattdessen verweist ein Sprecher des Ministeriums darauf, dass GBL bereits einem freiwilligen europäischen Monitoring-System unterliege. Hersteller und Händler informieren die zuständige Behörde beim Bundeskriminalamt, wenn sie den Verdacht haben, dass ihre Chemikalien für Straftaten genutzt werden. Nicht alle Hersteller beteiligen sich jedoch.
Unter das Betäubungsmittelgesetz solle GBL aber nicht fallen, weil es eine viel genutzte Industriechemikalie ist. Dass diese europäische Regelung jedoch ins Leere läuft, erkennt auch der Sprecher an. Auf Anfrage schreibt er:
"Das von vornherein zu Missbrauchszwecken bestimmte GBL wird nach kriminalpolizeilichen Erkenntnissen überwiegend in Asien hergestellt und über Internet-Shops im Ausland bezogen."
Dass potenzielle Straftäter nahezu anonym an die Tatwaffe GBL gelangen, könne man an dieser Stelle demnach nicht verhindern. Einen weiteren Vorschlag lehnt das Ministerium ebenfalls ab: die Chemikalie mit Bitterstoffen zu vergällen, die Betroffene rausschmecken könnten. Dazu schreibt der Sprecher.
"Der zugefügte Bittergeschmack könnte leicht übertönt beziehungsweise der Vergällungsstoff wieder entfernt werden."
Darüber hinaus sieht man beim Gesundheitsministerium offenbar keinen Regulierungsbedarf. Immerhin handele es sich um eine schwere Körperverletzung, also um eine Straftat. Den Tätern drohen hohe Haftstrafen. Diese Argumentation überzeugt die Berliner Senatorin Dilek Kalayci nicht.
"Und ich finde es sogar schon sehr, sehr misslich, dass die Bundesregierung damit argumentiert, naja, wenn eine Frau am Ende vergewaltigt wird unter Einsatz von K.-o.-Tropfen, ist es ja eine Straftat. Hilft ja den Frauen wirklich überhaupt nicht."
Verantwortung für den Schutz vor Straftaten bei den Betroffenen
Bislang bleibt den potenziell Betroffenen also nichts anderes übrig, als ihr Getränk im Auge zu behalten. Es gibt mittlerweile Armbänder, Nagellacke und Strohhalme, die die Farbe ändern, wenn sie in ein Getränk mit K.-o.-Tropfen gehalten werden. Damit sollen Frauen ihr Getränk selbst prüfen und sich schützen können. Doch nicht nur die Kosten dieser Utensilien, auch die Verantwortung für den Schutz vor Straftaten werden so auf die Betroffenen abgewälzt, sagt Carola Klein von der Berliner Beratungsstelle LARA.
"Na gut, wir haben schon auch Präventivtipps, weil es im Moment nicht viel anderes gibt, was wir sagen können. Also zum Beispiel, klar, achte auf dein Getränk! Oder wenn jemand nicht mehr handlungsfähig ist, bleib bei der Person!"
Aber diese Tipps, sagt die K.-o.-Tropfen-Expertin, setzten eigentlich am falschen Ende an.
Hinweis: Mehr zur schwierigen juristischen Aufarbeitung von Fällen mit K.-o.-Tropfen in unserer Sendung "Hintergrund" am 18.11.2019