Kabakov & Co.
"Ich wollte immer schon Künstler werden, weißt du, es war von Anfang an mein Traum. Als ich dann endlich so weit war und den diversen Ritualen der diskursiven Leere begegnete, da musste ich feststellen, dass es gar keine Kunst mehr gab – ergo hatte ich wohl zu lange davon geträumt. Es ist schon verteufelt komisch, seitdem werde ich in ermüdender Wiederholung zum Künstler erklärt, der im Kommen sei." Die Ironie in diesem Selbstzeugnis des Künstlers oder vielmehr Nicht-Künstlers Juri Albert ist typisch für die spöttische Haltung gegenüber dem Klischee vom Traumjob "Künstler", die die sogenannten Moskauer Konzeptualisten durch mehrere Generationen und bis heute kultiviert haben. Der Moskauer Konzeptualismus funktioniert wie eine Art Spiegelreflex: zunächst auf die russische Avantgarde vom Anfang des 20. Jahrhunderts und ihrer höchst problematischen gesellschaftlichen Rolle, die sie in der Sowjetunion spielte. Eindrucksvoll dokumentiert dies in der Ausstellung ein Werk von wahrlich gigantischen Ausmaßen: Eine 34 Meter lange und knapp einen Meter breite schwarze Papierbahn, die der Moskauer Nikita Alexejew der "Geschichte des Schwarzen Quadrats" gewidmet hat. Gemeint ist natürlich das zur Ikone des russischen Konstruktivismus gewordene Gemälde "Schwarzes Quadrat" von Kasimir Malevitch von 1915. Die Reihe der von Alexejew grob mit Kreide gezeichneten, piktogrammartigen Bildern verfolgen nun in einer Art altchristlicher Heiligenlegende den Lebenslauf des Schwarzen Quadrats als lebendem heiligen Wesen vom "Eisprung" der Idee im Hirn des Künstlers an bis zum Martyrium, in diesem Fall dem "Selbstmord des Schwarzen Quadrats" am Ende. Das schier groteske Ausmaß und die lakonische Machart des Werkes signalisieren, was aus Sicht Alexejews aus dem Erbe der russischen Avantgarde geworden ist: eine aufgeblasene Geschichte ohne Inhalt. Vor allem in poststalinistischer Zeit bis 1980 konnten die Konzeptualisten nur im Untergrund operieren, da sie natürlich auch in denkbarer Frontalopposition zur offiziellen Staatskunst der UdSSR standen. Ein großer Name dominiert bis heute die weltweite Wahrnehmung dieser ansonsten immer noch so unbekannten Bewegung: Ilya Kabakov. Er zählt zu den Konzeptualisten der ersten Stunde und zu den wenigen, die nach dem Fall des Sowjetsystems in der internationalen Kunstszene Fuß fassen konnten. Der Name Kabakovs hätte auch diese Ausstellung daher womöglich so sehr geprägt, dass es die Kuratoren vorzogen, ihn gerade wegen seiner Bekanntheit diesmal außen vor zu lassen. Doch auch so erinnert vieles an die Wurzeln, die auch Kabakovs Werk geprägt haben. Typografische Experimente, die Verwendung von Zeitungspapier und die ständige Verbindung von Bildern und Texten erinnern vordergründig an Dadaismus, betonen allerdings in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Kunst als "Zeitung", die die Betrachter mehr oder weniger burlesk zum Lesen zwischen den Zeilen auffordert. Einige Mitstreiter Kabakovs, die mit ihm an der berühmten, 1976 gegründeten Künstlergruppe "Kollektive Aktionen" beteiligt waren, sind auch in dieser Ausstellung zu sehen, wie etwa Dmitri Prigov, der ein Meister der Typografischen Verfremdung ist. Serien kleinteiliger, mitunter sehr realistischer, dann wieder comicartiger Zeichnungen verweisen auf die Herkunft der Bewegung aus der Buchillustration. Viele Konzeptualisten verdienten sich ihren Lebensunterhalt als Kinderbuchillustratoren, was ihren Konzeptkunstwerken oft den Charakter einer bizarren Pseudopädagogik gibt, die alles, was dem Sowjetsystem lieb und heilig war, auf den Kopf stellte. Ganz bewußt aber präsentiert man hier größtenteils Werke, die nach 1990 entstanden sind, um zu zeigen, dass der russische Konzeptualismus kein rein sowjetisches Phänomen war, sondern immer auch in ironischer Beziehung zur westlichen Conceptual Art stand. Es kann unendlich darüber gestritten werden, wer wen beeinflußt oder eben nicht beeinflußt hat. Diese Ausstellung dokumentiert vor allem eines: dass die russische Variante der Konzeptkunst etwas völlig eigenes war und ist. In unzähligen Anspielungen bezieht man sich hier unterhalb der rein ästhetischen Ebene auf russische, sowjetische oder osteuropäische Geschichte und Traditionen, die für westliche Augen zunächst kaum entzifferbar sind. Zum Beispiel eine riesige Zeichnung von Konstantin Zvezdochetov, blaue Figuren vor dem Bolschoj-Theater, die auf Zeitungspapier aufgemalt sind. Vadim Zhakarov, Künstler, Sammler und Archivar des Moskauer Konzeptualismus in einem, der auch Teile dieser Ausstellung beigetragen hat, steht davor und kommt ins Stocken, weil er, wie er sagt, dem westlichen Betrachter die ungemein große Bedeutung dieses Bildes nicht erklären kann. Zhakarov selbst präsentiert hier unter anderem seine Zeitschrift "PASTOR", die sämtliche Werke und Aktionen der Konzeptualisten archiviert. Die zweite zentrale Figur ist Haralampi Oroschakoff, der ebenfalls auch als Konzeptualist arbeitet und nebenbei Verleger und Sammler dieser Gruppe ist. Da viele der Moskauer Konzeptualisten vor und nach der Wende mindestens ein Standbein in Berlin hatten, scheint es nur konsequent, dass Teile der Archive von Zhakarov und Oroschakoff nun als Schenkung in dieser Stadt bleiben, die somit im Zusammenspiel mit den konzeptuellen Arbeiten der Jahre 1960-80 aus der Sammlung Marzona über eine beispiellose Dokumentation westlicher und russischer Konzeptkunst verfügt.