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Kabarett
Meister präziser Pointen

Wut in der Adenauer-Harmonie, Provokation unter Willy Brandt: Mit Dieter Hildebrandt ist ein Kabarettist gestorben, der das politische Seelenleben der Bundesrepublik immer wieder von Neuem gespiegelt hat.

Von Beatrix Novy |
    Im Medienzeitalter hat sich das „Gesicht“ eine neue Bedeutung zugelegt. Jemand, der für das Ganze steht, für den Konzern, die Branche, das Milieu, „ist“ deren Gesicht. Dieter Hildebrandt war, wie heute mehrfach zu lesen war, das „Gesicht“ des deutschen Kabaretts. Schon deshalb, weil kein anderer über soviele Jahrzehnte so ausdauernd präsent blieb, bei gleichbleibender Prominenz und Popularität. Also auch deshalb, weil ihm auf der Bühne nur wenige das Wasser reichen konnten, was Spontaneität, Improvisation, Schärfe UND: Liebenswürdigkeit anging. Natürlich hatte er, wie alle Künstler, Vorbilder, bevor er selbst eines wurde.
    In Dieter Hildebrandt steckte noch mehr als ein halbes Jahrhundert bundesdeutscher Kabarettgeschichte; in seinem Hildebrandt-typischen gehemmten Sprechduktus, in diesem Haspeln und Verzögern, im nur Halb-Aussprechen und Wieder-ansetzen lässt sich eine tiefere Schicht ausmachen, nämlich der Stil, den Werner Finck in der NS-Zeit kultivierte, um die Zensoren durcheinanderzubringen.
    Ein zur Seite gelegter NSDAP-Aufnahmeantrag
    Als Fincks Kabarett Katakombe 1934 geschlossen wurde, war Dieter Hildebrandt sieben Jahre alt: geboren in Niederschlesien, Sohn eines höheren Beamten und vom Wunsch beseelt, Schauspieler zu werden. Dass er in einer HJ-Spielschar mitmachte, dass er Flakhelfer wurde und kurz vor Kriegsende Soldat, war unstrittiger Teil seiner Vita. Als 2007 ein NSDAP-Aufnahmeantrag von ihm auftauchte, erregte das für kurze Zeit Aufsehen. Hildebrandt erklärte, davon nichts gewußt zu haben; Historiker bescheinigten, das sei denkbar, der Fall wurde von der Öffentlichkeit unentschieden zur Seite gelegt und kratzte nicht an einer Persönlichkeit, die seit den 50er Jahren eine Säule des liberal-aufgeklärten Lagers war.
    Damals hatte sich Dieter Hildebrandt seinen Wunsch, zur Bühne zu kommen, erfüllen können, nach verspätetem Abitur, geisteswissenschaftlichem Studium und Schauspielschule. Es war ein kleines Theater, aber das waren Erich Kästner, Robert Neumann und eben Werner Finck dabei.
    Kabarett als bundesrepublikanisches Ereignis
    Doch es war der Sportreporter Sammy Drechsel, der zum Schicksalsgefährten wurde, mit ihm gründete Hildebrandt die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, im Jahr 1956. Das Fernsehen, von Anfang an dabei, machte das Kabarett zum bundesrepublikanischen Ereignis. Das waren seinerzeit singuläre Abende, an denen die Nation ziemlich geschlossen vor der Flimmerkiste saß, um einmal im Jahr die Stachelschweine, das Düsseldorfer Kommödchen und die Lach- und Schießgesellschaft zu sehen.
    Für viele, die damals jung waren, waren dieses politische Kabarett eine Offenbarung: Es gab also noch was jenseits der Adenauer-Harmonie, es gab Kritik, Ärger, Wut und wirkliche Komik. Freilich saßen im Publikum gerade die, die auf der Bühne aufgespießt wurden, die Politiker, die sich angesichts der Kameras nicht erlauben konnten, beleidigt dreinzuschauen, sondern herzlich mitlachten. Da saß er, der Widerspruch des Politkabaretts in der Demokratie. Und ein Bundesminister, Ernst Lemmer, sprach es damals aus: Auch die schärfsten Kabarettisten sollten nicht vergessen, dass man in einem Boot sitze. Als „Staatskabarett“ empfanden sich denn auch Hildebrandt und die anderen Lach- und Schießgesellschafter, als Willy Brandt an die Regierung kam und die eigene SPD-Nähe in den Mainstream zu kippen drohte.
    Die Lach- und Schießgesellschaft löste sich erst einmal auf, Dieter Hildebrandt wandte sich anderen Dingen zu, den Drehbüchern, Fernsehfilmen, Tournee-Programme mit dem Kollegen Werner Schneyder. Immer blieb er im Fernsehen, immer im gewohnten, trügerisch-biederen Habitus mit Brille und Sportanzug – und schaffte, was auf der Kleinkunstbühne nur noch selten gelang: zu provozieren.
    Ein verändertes Berufsbild
    Seine schönsten Erfolge hatte er in den 70er Jahren mit dem satirischen Magazin „Notizen aus der Provinz“, später auch gelegentlich im „Scheibenwischer“: Politikerproteste gab es, aus dem Programm genommene Sendungen; mindestens einmal klinkte sich der Bayrische Rundfunk ganz aus einer Folge aus. Mit der Sendung „Scheibenwischer“ belebte Hildebrandt das alte Kabarett, übernahm aber die Rolle des Conférenciers mit Gästen.
    Bis zum Schluss blieb er an der Seite der nachwachsenden Kabarettisten Generation, was angesichts der Veränderung des Berufsbilds hin zum Comedian nicht immer konfliktfrei verlief. Dieter Hildebrandt gehörte zu denen, die das Kabarett politisch halten wollten; es ist ihm, im hundertstimmig vervielfachten medialen Chor der Kabarett-Darsteller, erstaunlich oft gelungen.