Rothschild: "Lachen und Humor, das sind immer die Waffen von den Schwachen und von den Vertriebenen und von den Unterdrückten. Und deswegen gab es immer jüdische Witze. Natürlich kommt die Frage: Wenn jüdischer Humor von den Juden kommt, woher kommt der schwarze Humor?"
Schwarzer jüdischer Humor, dafür ist Walter Rothschild bekannt. Auf dem Schild an seinem Arbeitszimmer steht: "Vorsicht, bissiger Rabbiner!" Rothschild probt für seine Auftritte in der Regel zuhause. Der Rabbiner nimmt in seinem Kabarett-Programm gerne seine eigene Religion auf's Korn, aber auch Fanatiker anderer Religionen.
"In vielen Familien gibt es mindestens eine Person, der die Religion für sich selbst entdeckt hat und behauptet, er weiß besser als Gott, was man machen muss. Und solche Leute gibt es in allen Religionen: 120% hier und da, 120% koscher, Angst die Hand einer Frau zu nehmen. Man kann sich darüber ärgern oder lachen. Im beruflichen Leben muss ich mich darüber ärgern. Aber hier auf der Bühne kann ich lachen."
Und wie fühlt sich ein Rabbiner nach einer durchzechten Nacht vor dem Gottesdienst? Er hat den Schabbes-Morning-Blues. Ein betrunkener Rabbi - bei Rothschilds Kabarett gibt es auch ansonsten keine Tabus:
"Ich sag immer: Dass wir beschnittene Männer haben hat einen gewissen Vorteil, indem wir ein gewisses Vor-Teil nicht mehr haben. Alle in Deutschland regen sich auf über dieses Konzept, und deswegen müssen wir ein Lied darüber machen."
"Was ist der Unterschied zwischen Deutschen und Juden?"
Walter Rothschild wurde 1954 im britischen Bradford geboren, sein Vater aber stammte aus Deutschland. Sohn Walter lebt nun schon lange in Berlin. Er singt und textet auf Englisch, Jiddisch und Deutsch:
"Was ist der Unterschied zwischen Deutschen und Juden? Eine Antwort heißt: Die Deutschen lieben Klezmermusik."
Weshalb beim dreistündigen Bühnenprogrammvon Rabbi Rothschild bestimmt kein Klezmer zu hören sein wird, also traditionelle jüdische Musik. Viel lieber nimmt er bestimmte Berufsgruppen in den Blick. Zum Beispiel die deutsche Lehrerschaft.
"Ein junger Kollege, er weint vor sich hin, die 8b, die 8b, die 8b! Denn da sind die schlimmsten Rüpel drin, in der 8b, 8b, 8b. Da haben sie den Otto, den Dennis, Pascal. Sie gehen über Tische, sie sind überall. Das Zimmer sieht aus wie ein Schweinestall, in der 8b, 8b, 8b..."
Kabarett als Ausgleich zum Beruf als Rabbiner
Seine Mitstreiter auf der Bühne sind hörbar Profi-Musiker. Für Rabbiner Walter Rothschild aber ist Kabarett Hobby, eine Art Entspannung vom Theologen-Beruf:
"Normalerweise stehe ich allein am Lesepult und ich bin allein zuständig für den Gottesdienst, für die Hymne, für die Thora-Lesung. Hier muss ich mit einem Team - ich muss mit jemandem zusammenarbeiten. Die Leute kommunizieren miteinander. Profi-Musiker, sie kommunizieren ohne zu reden. Während dem Rest meines beruflichen Lebens bin ich mit Leuten beschäftigt, die reden ohne zu kommunizieren."
"Spät bin ich hingefahren, spät fahr ich wieder fort. Und nun muss ich erfahren, kein Anschlusszug steht dort. Der Fahrplan durchschwemmt von Anschlüssen, der Schaffner meint es gut. Gesperrt der Weg, den ich nehmen muss, das nimmt mir allen Mut."
Rothschild ist Vielbahnfahrer. Er betreut jüdische Gemeinden in Danzig, Kattowitz und Warschau. Einmal im Monat die liberale Gemeinde in Hamburg. Hinzu kommen zahlreiche Vortragsreisen. Kein Wunder, dass auch Stuttgart 21 Teil seines Kabarett-Programms ist.
"Tunnel, Tunnel, Tunnel hier, Tunnel, Tunnel, Tunnel da. Bau einen Bahnhof tief und teuer mit einer Zustimmung von Herrn Ramsäuer. Auf der Schwäbschen Eisenbahn, Max Schluss - diese Großprojekte gehen immer außer Kontrolle."
"Den Holocaust nehme ich sehr ernst"
Juden und Eisenbahnen – da stellt sich fast zwangsläufig die Frage: Wie weit dürfen Witze gehen?
"Den Holocaust nehme ich sehr ernst. Ich bin geprägt davon. Ich bin mehrmals nach Auschwitz gereist mit Gruppen und so weiter. Aber wenn ich sage: Ich fahre häufig nach Auschwitz, aber immer mit einer Rückfahrkarte - ist es ein Witz oder nicht? Es ist eigentlich ganz ernst gemeint. Ich habe Gelegenheit, als ein Engländer, als ein Jude, als ein Rabbiner durch Deutschland, Österreich und Polen zu reisen und Witze zu machen."
Kein Wunder, dass das zumeist nicht-jüdische Publikum darauf erst einmal mit Verunsicherung reagiert. Rothschild ist für viele gewöhnungsbedürftig:
"Darf man lachen oder nicht? Die ersten 10 bis 15 Minuten sitzen die dort auf ihren Händen und denken: Dürfen wir lachen? Und dann beginnen sie zu lachen und dann ist es wunderbar. Wenn jemand lacht - du erzählst einen Witz und er lacht, das heißt: Sie haben etwas verstanden, das ihr Leben für 30 Sekunden verändert hat."
Deshalb fängt Walter Rothschild auch viele Predigten mit einem Witz an. Er hat es in den letzten Jahren allerdings nicht immer einfach gehabt, kommt seine britisch-liberale Art doch längst nicht bei allen jüdischen Gemeindevorständen gut an. Als Freiberufler, Theologe, Liedermacher, Dichter, Schriftsteller, Historiker und Übersetzer schlägt er sich und seine fünfköpfige Familie seit Jahren so durch, sagt er. Kabarett ist für ihn auch Flucht nach vorne.