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Kabarettist Martin Zingsheim
"Aschermittwoch ein bisschen gruselig"

Der Aschermittwoch sei schon ein bisschen gruselig, sagte der Kabarettist Martin Zingsheim im Corsogespräch. Denn da merke man, wie furchtbar ähnlich sich Politiker und Kabarettisten doch seien. Auf Politikern und politischen Themen herumzureiten, sei nie so seine Art gewesen. Wir sollten eher schauen, was bei uns so schief laufe.

Martin Zingsheim im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
    Der Kabarettist Martin Zingsheim.
    Der Kabarettist Martin Zingsheim. (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Sigrid Fischer: Promovierte Kabarettisten gibt es ja nicht so oft, abgebrochene wahrscheinlich viel mehr, aber Martin Zingsheim, der bringt die Dinge zu Ende, und zu Ende war es dann auch nach der Promotion mit der wissenschaftlichen Laufbahn. Dann kam nämlich Sebastian Pufpaff und Henry Schumann, mit denen vereinte er sich zum Bundeskabarett, und nach fünf Jahren ging es dann solo weiter - beziehungsweise nicht ganz, denn das Klavier ist ja immer dabei. Martin Zingsheim macht Musikkabarett, heute Abend ist er beim politischen Aschermittwoch in Bonn.
    Herr Doktor, guten Tag bei "Corso"!
    Martin Zingsheim: Das klingt fast so ein bisschen traurig, abgebrochen. Ja, das war dann vorbei mit der Wissenschaft.
    Fischer: Sie ja nicht, Herr Zingsheim, Sie ja nicht. Aber eins möchte ich doch mal wissen: Steht dieses Dr. mal irgendwo im Briefkopf oder in dem Mailabsender oder so? Ich meine, man hat es ja nicht umsonst gemacht, ne?
    Zingsheim: Doch, ich befürchte, ich habe es umsonst gemacht.
    Fischer: Auf dem Klingelschild?
    Zingsheim: Nein.
    Fischer: Nein?
    Startschuss ins kabarettistische Alltagsgeschäft
    Zingsheim: Weder auf dem Klingelschild noch im Personalausweis. Also bisher komme ich ganz gut so zurecht.
    Fischer: Uneitel möchte ich das nennen! Gut, wir kennen ja den Berliner politischen Aschermittwoch, den kabarettistischen, jetzt schon länger, 13. Runde, glaube ich, dieses Mal. In Bonn ist es die zweite, dritte oder noch nicht ganz so lang, aber das institutionalisiert sich da offenbar auch so langsam in Bonn?
    Zingsheim: Absolut, ich glaube, es ist mittlerweile eine sehr beliebte Veranstaltung, und nach Wochen voller "Pink, Punk, Pantheon", glaube ich, ein gelungener Startschuss ins kabarettistische Alltagsgeschäft wieder.
    Fischer: Ins Alltagsgeschäft, genau, das ist es ja für Sie im Grunde genommen. Ich meine, was ist das für eine Idee? Die Parteien feiern sich ja eben heute auch am Aschermittwoch: Horst Seehofer in Passau und der Martin Schulz in Vilshofen – alte Tradition, die aus Bayern kommt und so weiter –, aber das Kabarett hält dann irgendwie jetzt dagegen oder was ist die Idee von diesem politischen Aschermittwoch?
    Zingsheim: Also eigentlich Aschermittwoch ein bisschen gruselig, weil man merkt, wie furchtbar ähnlich sich Politiker und Kabarettisten doch sind, weil sie ständig auf dem Personal des Gegners herumkloppen. Insofern bringt der Aschermittwoch bei beiden Berufsgruppen tendenziell eher das Schlechteste zum Vorschein, aber in Bonn stehen ja spezielle Leute auf der Bühne: Zum Beispiel Sebastian Pufpaff, den Sie eben schon erwähnt haben, ist ja jetzt eher jemand, der nicht sagt, die da oben machen eh, was sie wollen, und das Problem in diesem Land ist, sondern eher den Ansatz hat – und den hätte ich auch –, zu sagen, ah, wir beknackt sind wir eigentlich, wir sind doch selber bescheuert, wir sind doch selber schuld, und insofern hat dann unsere Art vielleicht eher etwas mit dem eigentlichen christlichen Ausgangspunkt zu tun, nämlich der Beginn der Fastenzeit, also der Buße, wo man eigentlich wieder schaut, was ist denn eigentlich bei uns alles schiefgelaufen.
    "Das war nie meine Art Kabarett zu machen"
    Fischer: Aha, das heißt, man arbeitet sich gar nicht unbedingt an so den politischen Köpfen und den politischen Themen jetzt der Saison ab?
    Zingsheim: Es war nie meine Art Kabarett zu machen, und ich glaube, von den Kollegen heute Abend auch nicht so sehr, sondern statt auf den beliebten Führungspersönlichkeiten der Politik herumzureiten, glaube ich, eher die Leute damit lustvoll und pointiert zu konfrontieren, wie schräg sie selber drauf sind.
    Fischer: Ja, kann ich Ihnen die Frage gar nicht stellen, ob es andere Themen geben wird als Donald Trump, weil das ist ja im Moment das – wir haben schon die Mottowagen ja auch gesehen im Karneval -, und das ist so das Thema, was allen wahrscheinlich so am nächsten liegt, weil so pointenreich auch, ne?
    "Wir werden auch grundsätzlichere Fragen stellen"
    Zingsheim: Ja, man könnte ja behaupten, man muss einfach nur noch die Fakten erzählen, wenn es ums Thema Trump geht, aber ich glaube, ich neige dazu, nicht die oberste Schlagzeile immer so zu nehmen, sondern vielleicht ein bisschen tiefer zu wühlen, und dann findet man auch viele andere Dinge, die ohne Trump von Relevanz sind, und wir – also meine Band und ich – sind heute so ein bisschen als Showband heute Abend da, und da wird es also musikalisch und kabarettistisch textlich durchaus auch um andere Dinge gehen: um Vorurteile, um Pauschalisierung. Also wir werden auch grundsätzlichere Fragen stellen.
    Fischer: Das heißt, Sie haben auch extra was für den Abend geschrieben, wie ich gerade höre?
    Zingsheim: Ich habe extra auch was für heute Abend geschrieben, und es gibt ein paar Klassiker, mit Schlagzeug und Geige und Klarinette und Klavier, eben in sozusagen neuem musikalischem Gewand, und da sind wir sehr gespannt, wie das ankommt.
    Fischer: Jetzt muss ich ja sagen, Martin Zingsheim, ich habe Sie bisher eigentlich nie als politischen Kabarettisten wahrgenommen. Sie machen eben viele – haben Sie auch gerade schon genannt –, viele so Alltagsthemen auch, was weiß ich, von WLAN-Entzug, über vegan leben und 90er-Jahre-Kultur, Popkultur und so was alles. Wie kommt jetzt dieser Dreh, auch weil Sie demnächst eine politische Radioshow, die hier mit dem Haus zusammenhängt, machen? Der politische Martin Zingsheim, den nehme ich gar nicht so wahr bisher. Ist das eine neue Facette?
    Zingsheim: Überhaupt nicht. Ich glaube, also ich lief noch nie unter dem Stichwort Politkabarettist, und da bin ich – toi, toi, toi – auch ganz froh drum, weil –
    Fischer: Weil?
    "Ich käme auch gut ohne Politikernamen aus"
    Zingsheim: – das irgendwie auch was furchtbar Angestaubtes hat und weil man eben eigentlich falsche Erwartungen hat, aber, na ja, ich kann auf der Bühne immer nur über die Dinge sprechen, die mich selber interessieren, und am Ende ist. Also man kann eigentlich nicht nicht politisch sein, selbst wenn man wie ich über vegane Ernährung, über Tierhaltungsskandale spricht oder über Sprache, über Vorurteile, über Pauschalisierungen, über Kultur, über Ausgrenzung, dann sind das alles grundsätzliche Themen, die vielleicht eher unter der Hand, so würde ich es sagen, politisch sind, aber ich schaffe mein Programm … ich glaube, ich nenne am Abend einen einzigen Politikernamen. Ich käme auch ohne die aus.
    Fischer: Politische Themen, politisches Kabarett hat den Nachteil, dass es ein Verfallsdatum hat. Ihre Themen sind einfach dann auch zeitloser.
    Zingsheim: Ja, obwohl das, glaube ich, immer schon so war. Ich glaube, auch Volker Pispers musste nach 20 Jahren einfach immer nur ab und zu ein paar Namen austauschen, dann war der Text glücklicherweise – Schrägstrich – leider immer noch sehr aktuell, und das ist ja sozusagen das Problem, dass sich grundsätzlich gar nicht so viel ändert.
    Fischer: Sie haben das gerade schon gesagt: Klingt so angestaubt, politisches Kabarett klingt angestaubt. Sie sind ja auch … ich meine, Sie sind noch in den 30ern, wenn ich das so sagen darf, Sie sind ja ein junger Mann, und ich frage mich, diese Generation, also Ihre Generation auch, wenn die da hinkommen, politischer Aschermittwoch im Pantheon in Bonn, was erwarten die, oder ist es überhaupt wohl junges Publikum, was sich da noch findet oder haben die genau Angst vor dem, was Sie sagen, ah, angestaubt?
    "Politisches Kabarett gilt immer so ein bisschen als Rentnerbespaßung"
    Zingsheim: Ich glaube, politisches Kabarett gilt immer so ein bisschen als Rentnerbespaßung, aber ich kann nur für mich sprechen, also ich habe abends ein sehr wild gemischtes Publikum zwischen 14 und 94 Jahren, insofern habe ich da ganz unterschiedliche Altersgruppen sitzen, und ich glaube, man darf nicht davon ausgehen, dass jetzt meine Generation … Ich bin übrigens noch recht lange in den 30ern, noch acht Jahre.
    Fischer: Ja, ist ganz jung.
    Zingsheim: Ich glaube nicht, dass man meiner Generation oder jüngeren Leuten, die sozusagen in ihren 20ern sind, jetzt vorwerfen könnte, dass es eine unpolitische Generation sei, das glaube ich gar nicht. Ich glaube, dass sich politisches Verhalten ganz anders organisiert heute, dass es eben natürlich nicht wieder zu massenhaften Parteieintritten kommen wird oder die Menschen sich nicht in diesen allumfassend großen Bewegungen organisieren, sondern dass sie eben sehr gezielt und punktuell sehr genau hinschauen, für was und wie und wofür sie sich gerade engagieren, und das kann ja von Guerilla-Gardening in urbanen Kontexten bis hin zu exzessivem Ausfüllen von Onlinepetitionen sozusagen alles sein, aber wir werden wahrscheinlich nicht das politische Bewusstsein meiner Generation an den Parteieintritten merken – toi, toi … glücklicherweise.
    Fischer: Daran nicht, und vielleicht möchte man aber eben auch nicht einen haben, der da vorne auf der Bühne steht und uns erklärt sozusagen, wie es ist. Ein Volker Pispers … wobei, der füllt ja Hallen ohne Ende oder füllte – er ist ja gerade in Pause –, aber das ist vielleicht auch so … das meine ich, so was Verschwindendes.
    "Vorne steht einer und sagt 90 Minuten lang, wo es langgeht"
    Zingsheim: Ja, ich glaube, man kann auch zu Recht skeptisch sein beim politischen Kabarett. Wie Sie sagen, es ist irgendwie ganz, ganz ähnlich dem Politbetrieb: Vorne steht einer und sagt 90 Minuten lang, wo es langgeht, und wie mein Kollege Henry Schumann immer sagte, da steht einer da vorne und hat die ganze Zeit recht. Das ist eigentlich sozusagen eine sonderbare Kunstform, und insofern, glaube ich, sind die aktuellen Kabarettprogramme … also, es gibt ja fantastische Sachen wie von Timo Wopp, von Hazel Brugger, von anderen, von Sebastian Pufpaff, die, ich glaube, vor allem sich dadurch von vorhergegangenen Kabarettgenerationen unterscheiden, dass sie eben eine große Selbstironie, eine große Selbstinfragestellung mit sich herumtragen, und das finde ich eigentlich sehr viel sympathischer und zielführender, weil man sich als Publikum auch damit, genau damit doch identifizieren kann. Ich meine, die Politiker sprechen auch immer da, genau wie die Kabarettisten, wo die im Publikum sitzen, die eh schon ihrer Meinung sind.
    Fischer: Sie, Martin Zingsheim – vielleicht stimmt das nicht mehr, diese Information – haben keinen Fernseher?
    Zingsheim: Es tut mir leid, obwohl im Radio darf ich das ja sagen: Genau, –
    Fischer: Jetzt doch?
    Zingsheim: – das war jetzt gar keine ideologische Kampfentscheidung …
    Fischer: Sie haben keinen, ne?
    Zingsheim: Nee, bis vor …
    Fischer: Ja, deswegen frage ich …
    Zingsheim: Vor sieben Jahren kaputtgegangen, und keiner hat einen neuen gekauft.
    Fischer: In Ordnung, aber wo informieren Sie sich eigentlich politisch? Kann man nicht nur im Fernsehen, ist klar, man kann auch diese kleinen Schlagzeilen, die auf dem Handy aufpoppen, wenn man dann meint, man sei informiert, ich weiß es nicht – wie informieren Sie sich?
    "Ich lese jeden Tag meine Zeitung, manchmal auch analog"
    Zingsheim: Also ich lese täglich Zeitung.
    Fischer: Oh.
    Zingsheim: Also nicht jetzt unbedingt, weil ich abends sonst nicht …
    Fischer: Das ist ja auch aus der Mode gekommen.
    Zingsheim: Ich lese sie allerdings häufig digital, das gebe ich zu.
    Fischer: Okay.
    Zingsheim: Aber ich lese jeden Tag meine Zeitung, meine gewissen Onlineportale, aber manchmal auch eine tatsächlich händisch, also analog, aus Papier, auch mal eine … Das muss ich nicht machen, um abends auftreten zu können zwangsläufig, aber ich bin so ein Informationsjunkie schon irgendwie. Insofern, wen ich nicht meine gewissen Recherchen und Googleungen des Tages absolviert habe, fühle ich mich nicht ganz komplett.
    Fischer: Und dann gehen diese ganzen Ströme durch den Kopf, werden Notizen gemacht. Wahrscheinlich schon, um dann irgendwann vielleicht in einen Song oder irgendwas gegossen zu werden.
    Zingsheim: Ja, mal es ist ein Lied, mittlerweile ist es häufiger Texte, gesprochene, aber klar, meine Endgeräte, von Laptop über Handy, sind sozusagen voller kleiner Notizzettel in Nichtpapierform, und die werden dann irgendwann zusammengeschraubt.
    Fischer: Ein Endgerät ist natürlich das Piano. Ginge das alles, was Sie machen, auch ohne Piano eigentlich, so ganz ohne?
    Im Bonner Pantheon total musikalisch
    Zingsheim: Es geht eigentlich wunderbar. Manchmal spiele ich einen Song am Abend, manchmal spiele ich vier Songs am Abend. Das mache ich eigentlich so nach Lust und Laune, und das neue Programm, das im Herbst rauskommt, wird "Aber bitte mit ohne" heißen und ist tatsächlich ohne Klavier.
    Fischer: Genau, das aktuelle Programm heißt ja noch "Kopfkino".
    Zingsheim: Genau.
    Fischer: Mit dem touren Sie gerade noch –
    Zingsheim: Genau, damit toure ich noch.
    Fischer: – aber ab Herbst gibt es dann ein neues. Ja, heute Abend im Bonner Pantheon der politische Aschermittwoch unter anderem mit Martin Zingsheim. Als Mann am Klavier dann schon, kann man sagen?
    Zingsheim: Ja, heute Abend total musikalisch.
    Fischer: Auf jeden Fall. Das haben die ja auch immer gern dabei, also so Abende, wo man mehrere Kabarettisten auftreten lässt: jetzt brauchen wir noch einen, der so musikalisch mehr ist. Das sind Sie dann oft, ne?
    Zingsheim: Jeder hat so seine kleine Schublade. Es gibt immer sozusagen den politischen Haudraufix –
    Fischer: Genau.
    Mit Quotenfrau und Quotenausländer
    Zingsheim: – dann gibt es den netten Schwiegersohn am Klavier, dann gibt es noch die Quotenfrau, die haben wir auch dabei, und wir haben sogar auch natürlich …
    Fischer: Quotenfrau, richtig!
    Zingsheim: Wir haben auch immer doch natürlich noch den Quotenausländer, haben wir auch dabei, also es ist ganz hervorragend heute Abend.
    Fischer: Richtig. Angeblich ist ausverkauft. Ich habe gelesen, auf der Warteliste für Restkarten … Also es gibt eine Warteliste für Restkarten ab 19 Uhr beim Einlass. Mal sehen.
    Zingsheim: Einfach versuchen.
    Fischer: Vermutlich eher ausverkauft.
    Zingsheim: Ich hoffe, ich komme noch rein!
    Fischer: Danke, Martin Zingsheim!
    Zingsheim: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.