"Deutschland, wir müssen reden. Deshalb ich hab gedacht, ich muss ein Show machen, damit wir endlich ins Gespräch kommen. Normalerweise, jeder bleibt auf seinem Platz, wir bleiben in Kanaken-Hollywood: Neukölln, ihr bleibt in Charlottenburg – Kartoffel-Hollywood."
Bei Idil Baydar ist das heute anders: Solariumgebräunte Deutschtürken, mutmaßlich aus Neukölln, sitzen neben betuchten Senioren in Abendgarderobe aus besseren Wohngegenden – und gemeinsam starren sie den Vulkan an, der auf der Bühne ausbricht:
"Fick Dich, ich komme klar, weißt du."
Hochtoupierte Haare, überschminktes Gesicht, handtellergroße Ohrringe, hautenge Leggins, die Füße in knallrote Highheels gezwängt – Eine Karikatur dessen, was man in Großstädten alltäglich in Fußgängerzonen und auf U-Bahnhöfen sieht und hört – obwohl, so überzeichnet ist das gar nicht:
"Ich will noch erzählen von meinem Leben als Kanake. Ich bin ja Integrationsalbtraum Nr. 1. Ich krieg auch Preise wegen das.
Idil Baydar die Frau, die durch Youtube-Videos bekannt wurde. Jetzt auf der Bühne, in ihrem Programm "Deutschland wir müssen reden", in ihrer Rolle als Jilet Ayse, dem personifizierten Klischee des Ghettokindes mit Migrationshintergrund.
"Deutsche Kinder sind anders, als Kanaken-Kinder. Wenn du bei deutsche Kind sagst: 'Lukas, setz dich hin!', er ruft seinen Anwalt, aber er setzt sich. Wenn du bei Kanaken-Kind sagst: 'Hamudi, setz dich hin!', er guckt dich so an und dann er geht raus aus Raum, rein in Raum, an Tafel unter Tafel, Chaos, er zieht alle rein, Unterricht ist vorbei."
Vor gut zwei Jahren schlüpft Idil Baydar in die Rollen des prolligen Teenagers und einer ruppigen Rentnerin namens Gerda Grischke.
"Ick sach: it wie it is, ich lass mir hier den Mund nicht verbieten. Wenn ick sage was Phase ist, dann is ditt so."
In die Öffentlichkeit trat die 38-Jährige aus Protest – und nach einer Diskussion mit ihrer Mutter:
"Und da hat sie gesagt, wir stellen deine zwei Figuren auf Youtube und dann wirst du sehen, es wird sehr erfolgreich. Ich habe gedacht, das werden nur drei Klick und dann kann ich ihr aber beweisen, siehst du, ich mache und es passiert nichts – und dann ist aber das Gegenteil eingetreten. Ich hab da nicht an Bühne gedacht, das war einfach Spaß an der Freude und meine Mutter hat das Talent erkannt."
Am Ende der Show ein bewegendes, ernstes Gedicht
Idil Baydars Biografie entspricht nicht der des Klischee-Migrantenkindes. Die Mutter ist alleinerziehend, schickt ihre Tochter auf eine Walldorfschule. Idil bricht die Schule ab, tingelt durch die Welt, macht mit 28 das Abi nach, jobbt im Rahmen von Beschäftigungsmaßnahmen an Problemschulen. Hier lernt sie Jugendliche kennen, die jetzt den Stoff für Ihre Figur Jilet Ayshe liefern.
"Fick Dich."
Im ersten Teil des Programms "Deutschland wir müssen reden" steht Idil Baydar als Jilet Ayshe auf der Bühne. Ihre Themen: Kinderkriegen und Sex.
"Liebe deutsche Mann – Du bist zu langsam! Es waren schon acht Hamudis auf eine Petra, bevor ein Michael Hallo gesagt hat."
Baydars Humor ist derbe und laut – aber auch auffällig unverkrampft. Ihre sympathische Art lässt deutsche Männer über ihre eigene Verklemmtheit im Umgang mit Frauen lachen, und den türkischen Macho im Publikum auch dann, wenn Baydar, im zweiten Teil der Show, in der Gestalt von Gerda Grischke in Stammtischmanier gegen Ausländer wettert.
"Oh nee, Freunde. Heute mach ick einen Schritt vor die Tür und 18 Kanaken und Molukken kommen vorbei. Ick habe nichts gegen Ausländer – im Ausland! Aber nicht im Inland, ditt sagt ja dis Wort!"
Die ungehobelte Deutschtürkin und die giftige Greisin - zwei Perspektiven auf das Zusammenleben der Menschen in Deutschland. Idil Baydar gibt sich ruppig und offensiv prollig. Lieder ähnelt ihr Schenkelklopferhumor zu oft dem von Bülent Ceylan, Atze Schröder und Mario Barth. Für sie ist das Mittel zum Zweck:
"Ich komme ja als Dumpfbacke, aber eigentlich schiebe ich dir durch die Hintertür was ganz anderes rein."
"Ich habe mich oft gefragt, was du wirklich fühlst, während du Rakke nachspülst und in Vergangenheiten wühlst mit unendlicher Sehnsucht in Deinen Augen, nach Heimat und nach wahrem Glauben...
Gegen Ende der Show wird auf Video-Leinwänden ein bewegendes, ernstes Gedicht eingespielt. Eines dieser Youtube-Videos, mit denen Idil Baydar bekannt wurde, wenn auch das Ungewöhnlichste.Das fällt aus dem Rahmen eines ansonsten schonungslos bis schmerzhaft direkten Abends.
"Ich würde mich einfach freuen, wenn man sich kaputt lacht, was wir für Figuren, was wir für Klischeeidentitäten kreiert haben und auch wirklich daran glauben. Also das ist so das Faszinierende, dass wir selbst vielleicht mal Abstand nehmen können, zu unserem eigenen kreierten Kram."