Dirk Müller: 46 Grad im Schatten, das ist keine Seltenheit. Anfang der Woche ein neuer Temperaturrekord in Südfrankreich, in Portugal brennen die Wälder. Doch nicht nur die mediterrane Welt ist von der Hitze betroffen, Mitteleuropa, Deutschland zieht jetzt nach. Morgen wird es wohl neue Höchstwerte geben, Rekordwerte. Über 41 Grad werden prognostiziert, unter anderem im Ruhrgebiet, im Rheinland, vielleicht auch in Köln. Die Regenlosigkeit der vergangenen Wochen geht also weiter, Dürre auf den Feldern.
Ungewaschene, stickige Luft, Böden trocknen aus, Ernten stehen infrage, Stauseen schrumpfen, das Grundwasser sinkt. Die Pegel der Flüsse und der Seen fallen. Das Trinkwasser wird knapp, und die Wälder, das haben wir auch gelesen in dieser Woche, werden im kränker, Schädlinge werden immer erfolgreicher.
Hört sich an wie die Apokalypse, dabei ist das der Sommer 2019. Der Deutsche Wetterdienst sieht dann auch schon eine Hitze in dieser Woche für die Geschichtsbücher. Unser Thema mit dem Meteorologen Jörg Kachelmann. Guten Morgen nach Rottach-Egern am Tegernsee!
Jörg Kachelmann: Schönen guten Morgen, Herr Müller!
"Es gibt nicht viel Positives"
Müller: Herr Kachelmann, gibt es auch was Positives?
Kachelmann: Nee, es gibt, glaube ich, nicht viel Positives. Wir brauchen Regen, und es sollte nicht so heiß werden. Die Hitze ist eigentlich immer weniger das Problem. Die Hitze ist für viele auszuhalten, für Menschen, Natur, wenn alles richtig gemacht wird, auch für Menschen, aber die Dürre ist das Problem. Und das wird uns noch eine Weile begleiten. Und das besorgt sicher sehr. Das ist alles richtig, was Sie da gesagt haben. Das sollte nicht so sein im Idealfall, und die Befürchtung ist, dass das jetzt fast jeden Sommer so sein könnte.
Müller: Und wenn das jeden Sommer so ist, dann reden wir nicht übers Wetter, sondern übers Klima?
Kachelmann: Wir reden übers Klima. Ich glaube, man kann und darf nicht in Zweifel ziehen, dass das Klimawandel ist, wie man ihn auch immer nennt, dass wir auch das sind, die einen großen Teil dieses Klimawandels ausmachen – das ist das, was passiert. Wenn Sie das grönländische Eis abschmelzen, wenn Sie dort vor allem rund um Grönland einen Kältepool machen und dann eine Gegenbewegung kreieren wie jetzt über Mitteleuropa, von Südwest- nach Mitteleuropa, über uns hinweg kriecht Richtung Skandinavien, dort haben Sie dann diesen warmen Gegenstrom oder besser gesagt heißen Gegenstrom, wie wir ihn jetzt im Moment erleben.
Und das ist dann eine Wetterlage, die sich dann eben richtig festtackert über längere Zeit, und das ist das Problem, mit dem wir im Moment zu tun haben und wie es aussieht womöglich nicht nur letztes Jahr, nicht nur dieses Jahr, sondern womöglich auch die nächsten Jahre häufiger zu tun haben werden. Das ist aber eine Besonderheit natürlich auch in unserer Region. Es ist jetzt nicht so, wie man auch immer liest, die Welt brennt und die Arktis brennt und so, es ist halt leider wie immer bei so was, was gerade populär ist, es gibt Extreme und es gibt auch Blödsinn auf beiden Seiten.
Die einen, die einfach diesen ganzen Klimawandel in Abrede stellen, das ist völliger Blödsinn. Aber auch die andere Seite, die so tut, als ob jetzt die ganze Welt gleichermaßen davon betroffen wäre, das ist auch Blödsinn. Wir sind hier in einem speziellen Grönland-Brennpunkt, weil eben Grönland dort ist, wo es ist, und weil wir dort sind, wo wir sind. Und deswegen ist es auch durchaus eine Besonderheit im weltweiten Vergleich.
"2003 war schon noch eine Einzelsache"
Müller: Das wird ja in der Wissenschaft und von den Experten unterschiedlich gedeutet, unterschiedlich auch gesehen und interpretiert, gibt es ja verschiedene Schlussfolgerungen dann auch. Wollen wir vielleicht gar nicht auf diese Metaebene zu sehr eingehen. Wir haben da noch mal nachgeschaut, haben wir festgestellt, vor 16 Jahren haben wir auch an dieser Stelle mit Ihnen ein Interview geführt, das war der große Sommer 2003.
Der war deshalb groß, weil er auch schon so heiß war und weil die Alpen plötzlich in den Fokus wieder kamen, weil die Gletscher schmelzen und so weiter. Das war auch ein ganz, ganz, ganz heißer Sommer. War das noch eher eine Ausnahme und jetzt haben wir die Regel?
Kachelmann: Das ist richtig, es gab auch schon früher heiße Sommer – es wird auch viel vergessen, es gab auch früher schon Hagel und solche Dinge. Es ist nicht alles plötzlich Klimawandel, aber es häuft sich jetzt das, was man uns auch vorhergesagt hat seit Jahren und Jahrzehnten, von daher war 2003 schon noch eine Einzelsache, die es auch schon früher gab.
1959 war es extrem über mehrere Tage hinweg, also es gab auch schon früher Sommer, aber in dieser Häufung jetzt im Moment – wie gesagt, es ist auch noch ein bisschen früh, jetzt schon in ganz, ganz, ganz große Hysterie auszubrechen, aber wir müssen schon sagen, nach 2018 ist es natürlich sonst statistisch relativ unwahrscheinlich, dass 2019 das eigentlich mehr oder weniger so schon wieder stattfindet.
Und wir werden in den nächsten Jahren – 2020, 2021, ich muss gar nicht weiter aufzählen – halt einfach sehr schnell wissen, wie groß unsere Sorge sein muss und wie schnell wir uns an diese neue Welt anpassen müssen, wenn es so bleibt.
Müller: Sie haben das gerade noch mal ausgeführt, es gab immer wieder heiße Sommer. Dann haben wir gestern gelesen, in Deutschland gibt es seit 1980 mehr als doppelt so viele Hitzerekorde wie zuvor, also ein ganz klarer Trend, der jetzt auch in den kommenden Jahren, egal was hier passiert – politisch, umweltpolitisch – auch nicht aufzuhalten ist.
Kachelmann: Das ist sicher richtig so, also das ist auch signifikant. Wie gesagt, es soll niemand sagen und kann niemand sagen, angesichts dieser Statistik, die so eindeutig ist, dass kein Klimawandel stattfindet. Und auch noch mal gesagt: Das sind auch wir, zu einem großen Teil zumindest wir, die wir das machen, und es ist zu befürchten, dass diese Entwicklung sich immer weiter so fortsetzt.
"Die Sommerfrische wird wieder wichtig werden"
Müller: Ich möchte ja trotzdem meine Lebensqualität in irgendeiner Form erhalten. Ich habe Sie zu Beginn des Interviews gefragt, gibt es auch was Positives. Wenn das alles so kommt, wie jetzt prognostiziert, kann das in irgendeinem Bereich – topografisch, geografisch gesehen oder auch vom menschlichen Empfinden her – in irgendeiner Form auch positiv sein? Gibt es da etwas, wo man sagen kann, okay, das wird ein bisschen besser, oder wird alles schlechter?
Kachelmann: Man muss finde ich sagen, na ja, liebe Deutsche, ihr seid jetzt immer seit Jahren und Jahrzehnten dort hingefahren, wo das so üblich ist, und seid ganz absichtlich dort hingefahren, um das so zu haben, wie wir es jetzt im Moment zu Hause haben. Das ist natürlich nur der menschliche Aspekt, der andere Aspekt ist, die Natur, Menschen sind das eine, aber es gibt auch die Natur mit den Bäumen und den Tieren, die sich eben nicht so schnell anpassen können und dann nicht nach Hause können. Ich meine, es werden jetzt neue Sachen auch touristisch Bedeutung bekommen. Die Sommerfrische, ein Begriff eher aus dem 19. Jahrhundert, wird wieder wichtig werden, dass man auf die Berge hochgeht, dass man an der See ist.
Es gibt natürlich auch weiterhin Orte in Deutschland, die von alledem mehr oder weniger nichts merken: Helgoland, die Ostküste von Rügen, man kann auf Berge raufgehen, das ist das eine. Das andere, was natürlich – und da sind wir schon wieder beim Negativen – schon wieder vergessen ist, dass es halt sehr hohe Ozonkonzentrationen gibt, von denen spricht niemand mehr.
Noch wo vor wenigen Jahren wäre man in Hessen ganz aufgeregt gewesen und hätte jetzt ganz viele Fahrverbote gemacht aufgrund dieser Werte, die wir zurzeit und in den nächsten Tagen wieder bekommen werden. Und was ganz wichtig ist und was ich noch schnell loswerden möchte: Es wird natürlich auch sehr viel Blödsinn erzählt bei den Tipps für die Menschen. Es ist wichtig, nicht die Fenster zuzumachen, so wie das immer erzählt wird, sondern alle Fenster aufzulassen, Durchzug zu machen …
"Jeder Oma und jedem Opa einen Ventilator vor die Nase"
Müller: Aber dann wird es ja noch wärmer.
Kachelmann: Nee, die Temperatur ist nicht das Entscheidende. Wenn Menschen zu Hause sind –, also wenn man nicht zu Hause ist, dann ist okay, dann kann man alles verrammeln –, aber wenn Menschen zu Hause sind … Die ganzen Hitzetoten kommen daher, dass sie in geschlossenen Räumen diese Räume zuatmen mit extrem viel CO2, mit extrem hoher Luftfeuchtigkeit, weil der Mensch schwitzt und macht und tut, und er kann immer weniger schwitzen, weil diese Feuchtigkeit nicht abtransportiert wird. Deswegen: jeder Oma und jedem Opa einen Ventilator vor die Nase.
Deutschland ist leider die Zentrale für Aberglauben in der Welt, und deswegen leiden viel mehr Menschen, als sie leiden müssten. Ventilator vor die Nase ist keinen steifen Hals, man wird nicht krank vor Ventilatoren und was weiß ich, das ist alles Blödsinn.
Also kurzum: Rollos runter, Fenster auf, Durchzug machen, Ventilator vor die Nase, und dann kann man auch solche Situationen überleben. Das ist ganz wichtig.
Müller: Jetzt haben wir nicht mehr viel Zeit, ich muss das trotzdem noch mal fragen. Konkret Wetter: Morgen soll der Rekord hier einschlagen, 41 Grad – wird diese Marke geknackt?
Kachelmann: Das glaube ich nicht unbedingt. Also was man sieht, ist, dass, glaube ich, sicher die 40 Grad nicht außer Reichweite sind. Der Rekord steht bei 40,3, es wird um wenige Zehntelchen gehen, das kann man jetzt mit Aufgeregtheit ansehen oder nicht. Wir sind sicher im Bereich des Allzeitrekordes seit Beginn der Messungen bei dem, was wir bekommen werden. Und was das Unangenehme ist: Wir werden auch nächste Woche noch mit der Hitze zu tun haben. Also das ist nicht etwas, was schnell vorbeigeht in Deutschland, leider.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.