Bundesfinanzminister Olaf Scholz soll der Kanzlerkandidat der SPD werden und seine Partie in den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr führen. Die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans teilten via Twitter mit, dass das Präsidium und der Vorstand der SPD Scholz nominiert hätten. Der SPD-Abgeordnete Oliver Kaczmarek ist im Leitungskreis der Parlamentarischen Linken und auch Mitglied des Fraktionsvorstands der SPD-Bundestagsfraktion. Er sagte im Deutschlandfunk, dass er die Kandidatur begrüße
Philipp May: Ist Olaf Scholz auch der Kandidat Ihres Herzens?
Oliver Kaczmarek: Na klar, Olaf Scholz ist der Kandidat der gesamten Partei, und gerade auch in der Parlamentarischen Linken habe ich von vielen Kolleginnen und Kollegen vor unserer Sommerpause viel Zustimmung für seine Politik gehört und auch für die Aufgabe, die er jetzt übernimmt.
Scholz - ein "truly Sozialdemokrat"
May: Vor der Sommerpause – wie war es denn vor Weihnachten 2019, haben Sie ihn gewählt?
Kaczmarek: Letztlich ist es egal, wen ich gewählt habe, weil die Mitglieder der Partei entschieden haben, und wenn die Mitglieder entscheiden, dann finde ich, ist das das höchste Votum, was es gibt. Ja, ich habe Olaf Scholz und Klara Geywitz gewählt, aber das ist heute völlig egal. Die Mitglieder haben entschieden, und die beiden Parteivorsitzenden, glaube ich, haben auch mit der heutigen Entscheidung einen echt guten Job gemacht.
May: Also Sie haben auch keine Zweifel, dass Scholz – um ihn mal selbst zu zitieren – ein "truly Sozialdemokrat" ist.
Kaczmarek: Überhaupt nicht. Wenn man sich mal ansieht, was er beispielsweise in Hamburg geleistet hat im Bereich sozialer Wohnungsbau, im Bereich Bildung, Schulpolitik, viele Investitionen getätigt, Ganztagsschulen ermöglicht, da ist Hamburg weit vorne, und auch jetzt als Bundesfinanzminister hat er viel bewegt. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen jetzt bald eine Kommunalwahl, und da ist es ganz wichtig, dass in den letzten Monaten ganz viel für die Kommunen bewegt worden ist, die Kommunen entlastet werden in dieser schwierigen Situation – insofern natürlich ein "truly Sozialdemokrat" von Herzen.
May: Und warum verstehen das die SPD-Mitglieder nicht?
Kaczmarek: Die SPD-Mitglieder haben ein Parteivorsitzenden-Duo gewählt, das haben sie nach den Überlegungen des letzten Jahres gemacht. Ich glaube, wenn wir heute die SPD-Mitglieder befragen würden, wer der Kanzlerkandidat der SPD werden sollte, würde Olaf Scholz auch zu dieser Aufgabe die Zustimmung der Mitglieder der SPD bekommen.
May: Na ja, gut, aber wir müssen jetzt keine Propheten sein, wenn es damals darum gegangen wäre, dann wäre Olaf Scholz nicht gewählt worden. Es ging ja damals um die Führung der Partei.
Kaczmarek: Aber das ist ja jetzt auch schon wieder eine Zeit lang her, und die politische Situation hat sich total verändert. Wir haben eine ganz tiefgreifende Krise, die alle unsere Bereiche von Gesellschaft und Politik und Wirtschaft erfasst, und mit der müssen wir umgehen. Da hat sich gerade bewährt, dass mit Olaf Scholz ein stabiler Anker, von dem man weiß, was er tut, der auch berechenbar und verlässlich ist, dass der an dieser Stelle Verantwortung trägt. Deswegen haben wir jetzt eine andere Lage, und es interessiert ja auch am Wahltag nicht nur, was vor anderthalb Jahren war, sondern wer dann die besten Konzepte für die Zukunft präsentiert.
#nolove für Olaf
May: Viele in der SPD scheint das aber sehr wohl noch zu interessieren. Es hat sich ja schon abgezeichnet, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat der SPD wird, und eben deswegen macht seit einiger Zeit auf Twitter unter linken SPD-Mitgliedern der Hashtag #nolove die Runde. Das klingt jetzt nicht sonderlich geschlossen.
Kaczmarek: Ich weiß nicht, welche Leute dahinterstecken. Ich kenne keine führenden Repräsentanten der …
May: Aber es sorgt für viel Aufregung, für Unruhe, so viel Unruhe, dass sogar Saskia Esken sich bemüßigt gefühlt hat, auf Twitter sich hinter Olaf Scholz zu stellen.
Kaczmarek: Ja, sie hat als Parteivorsitzende da die richtigen Worte gefunden und gesagt, der Olaf Scholz ist ein Sozialdemokrat, und wer auch immer dahintersteckt – das hat sie auch geschrieben, sie weiß es nämlich auch nicht –, verletzt da die Souveränität und die Loyalität zur SPD. Ich will noch mal eben sagen: Ich kenne keinen einzigen führenden Vertreter der Parteilinken, der sich an dieser Kampagne beteiligt hat.
May: Jetzt spielen Olaf Scholz und das Finanzministerium im Skandal um die Wirecard-Pleite eine eher unglückliche Rolle, um es mal vorsichtig zu formulieren. Ist das der richtige Zeitpunkt, um ihn jetzt schon als Kanzlerkandidat auszurufen? Es ist ja noch viel Zeit.
Kaczmarek: Ich nehme das ganz anders wahr, weil ich glaube, dass Olaf Scholz auch vor dem Finanzausschuss deutlich gemacht hat, dass er die Aufklärung über diesen Sachverhalt an der Spitze mitbetreiben will …
May: Ja, aber das Kind ist ja schon längst in den Brunnen gefallen unter der Verantwortung des Finanzministeriums.
Kaczmarek: … und er will dafür sorgen, dass daraus die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Ich glaube, dass es richtig ist, und darüber müssen wir dann mit dem Koalitionspartner auch reden, inwieweit er dazu bereit ist, beispielsweise die Finanzaufsicht an dieser Stelle mit den Durchgriffsrechten zu stärken und mal zu gucken, was die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die ja in der Federführung des Wirtschaftsministeriums liegen, was die eigentlich in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, diesen Skandal aufzudecken. Insofern, meine Einschätzung ist eine andere.
"Keine Angst rot-rot-grüne Mehrheit zu bilden"
May: Na ja, aber alle sind sich darüber einig, dass die federführende Verantwortung der Wirecard-Pleite in der Hand des Finanzministeriums und nicht des Wirtschaftsministeriums liegt, und es soll ja jetzt auch sogar einen Untersuchungsausschuss geben. Hätte man den zum Beispiel nicht auch noch abwarten können?
Kaczmarek: Ob es einen Untersuchungsausschuss gibt, weiß ich nicht, ob sich drei Oppositionsparteien dazu schon miteinander verständigt haben, das weiß ich wirklich nicht, um ehrlich zu sein. Wenn es den gibt, dann wird Olaf Scholz da ganz souverän und an vorderster Spitze mit dazu beitragen, dass der seine Arbeit machen kann.
May: So, jetzt ist ja immer die Frage, ob ein Parteiprogramm, gerade bei der SPD, am Ende auch zum Kandidaten passt. Wir hatten dieses Dilemma, um es mal so zu formulieren, schon bei Peer Steinbrück damals, dem Kanzlerkandidaten. Saskia Esken, die Ko-Vorsitzende, hat eine Koalition mit der Linkspartei ins Spiel gebracht. Passt das zu Olaf Scholz?
Kaczmarek: Ich glaube, dass unser Ziel sein muss, eine Regierungsmehrheit jenseits von CDU und CSU zu bilden, weil damit auch eine politische Grundsatzentscheidung in Deutschland gefällt werden muss. Ich halte es für falsch, jetzt schon darüber zu spekulieren, welche Prozentanteile man dann wie zusammenschieben muss. Ich weiß auch im Übrigen gar nicht, für welche Positionierung die Grünen sich beispielsweise entscheiden, ob sie nicht von vornherein stärker eben auf eine Juniorpartner-Rolle mit der Union hinsteuern.
Insofern, diese Option jetzt schon zu diskutieren, halte ich für falsch. Ich will aber auch ausdrücklich sagen, Saskia Esken hat recht, dass wir keine Angst davor haben, auch eine rot-rot-grüne Mehrheit zu bilden, und dass, wenn wir die Option haben, diese Möglichkeit auch nutzen sollten. Das wird auch mit Olaf Scholz dann so diskutiert, und da wird er auch mitmachen.
"Selbstverständlich braucht es einen SPD-Kanzlerkandidaten"
May: Schauen wir auf die Umfragen, da liegt die SPD konstant zwischen 14 und 16 Prozent. Braucht es da überhaupt einen Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten, oder ist das nicht eigentlich Augenwischerei?
Kaczmarek: Selbstverständlich braucht es einen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten, und wir werden auch sehen, dass die politische Lage sich noch verändert. Die Union hat überhaupt noch nicht entschieden, ob Herr Söder oder Herr Laschet oder wer auch immer für sie ins Rennen geht, das wird noch eine spannende Auseinandersetzung.
Insofern glaube ich, wir müssen jetzt stärker darauf setzen und kommunizieren, was wir als SPD alles bewegt haben in dieser Krise, aber auch darüber hinaus, beispielsweise beim Thema Grundrente oder anderen Themen, und beharrlich unsere Arbeit machen, nicht vor der Verantwortung weglaufen so wie andere Parteien, sondern wir stellen uns der Verantwortung.
Dann bin ich auch sicher, dass wieder mehr Menschen uns vertrauen, ihr Vertrauen geben werden, aber wir wussten ja schon beim letzten Mal, das ist ein langer Weg, und deswegen müssen wir da weiter beharrlich arbeiten.
May: Aber das sagen Sie jetzt schon seit mindestens 15 Jahren, vielleicht sogar schon seit 20 Jahren, und am Ende gab es immer weniger jedes Mal für die SPD.
Kaczmarek: Was mich positiv stimmt, ist, dass diese Entscheidung, die jetzt gefällt worden ist, doch deutlich anders zustande gekommen ist als die Entscheidung der Kanzlerkandidaturen in den letzten Jahren. Erinnern wir uns, es gab bei Peer Steinbrück eine Indiskretion, da musste das schnell übers Knie gebrochen werden, Martin Schulz, da gab’s ein Interview von Sigmar Gabriel im "Stern", da musste dann schnell die Partei informiert werden.
Was ich jetzt wahrnehme, ist, dass es eine sehr große Geschlossenheit innerhalb der Parteiführung, auch zusammen mit den Führungen der Länder, den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gibt. Insofern glaube ich, haben wir jetzt die Chance, auch zu dokumentieren, dass wir aus diesen Fehlern gelernt haben und jetzt in einer geschlossenen Formation in die Bundestagswahl gehen.
May: Herr Kaczmarek, Sie haben gerade schon die Grünen angesprochen, dass die sich entscheiden müssen, ob sie ein Bündnis der Union wollen oder ein Linksbündnis. Würden Sie denn auch ein Linksbündnis unter Führung der Grünen akzeptieren, mit der SPD als Juniorpartner?
Kaczmarek: Also ich kämpfe dafür, dass die SPD stärker wird als die Grünen, und ich sehe auch gute Vorzeichen dafür.
May: Und wenn es nicht so kommt?
Kaczmarek: Letztlich wollen wir ein progressives Bündnis, wie Saskia Esken gesagt hat, und da gehören mehrere Parteien dazu. Ich glaube, dass die Grünen auf jeden Fall auch dazugehören. Wie gesagt, ich will mich da jetzt noch nicht in Kaffeesatz verlieren, sondern will sagen, ich kämpfe erst mal dafür, dass die SPD stärker wird als die Grünen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.