Die Stimmung ist gereizt abends um halb acht vor der Notunterkunft der Stadtmission am Berliner Hauptbahnhof. "Einfach hinten anstellen, dann können Sie auch rein." "Let me go, no food, no nothing, just sleep." "Ja, aber Sie müssen trotzdem warten wie alle anderen."
Etwa 25 Obdachlose stehen in einer langen Schlange und warten darauf, in die Stadtmission hineingelassen zu werden. Denn bevor es eine warme Suppe und ein Bett für die Nacht gibt, ist hier ein Corona-Schnelltest verpflichtend, jeden Tag aufs Neue. Und das bedeutet anstehen und warten. Auf eine Wartenummer, dann auf den Test und dann auf das Ergebnis.
Für gute Laune sorgt das nicht: "Na da jeden Tag mit nem Stäbchen in den Hals zu gehen, das ist überflüssig. Das kann man mal ab und zu machen, aber doch nicht jeden Tag. Schlechte Idee. Corona Virus no! What is Corona Virus? Three bottles wodka, is no Corona Virus."
Auf drei Flaschen Wodka will sich die Stadtmission bei der Bekämpfung des Virus lieber nicht verlassen – und der Berliner Senat auch nicht. Die Corona-Schnelltests für Obdachlose bezahlt das Land Berlin. 120.000 Testkits wurden im Dezember in den Wohnungsloseneinrichtungen der Stadt verteilt.
Für Obdachlose, also für Menschen, die tatsächlich auf der Straße leben, gibt es in Berlin ungefähr 1.000 Notübernachtungsplätze – die Plätze hier bei der Stadtmission gehören auch dazu. Darüber hinaus sind in der Hauptstadt fast 34.000 Menschen wohnungslos, das heißt, sie haben keine eigene Wohnung und leben dauerhaft in öffentlichen Unterkünften, zum Beispiel in Wohnheimen.
Kältehilfe: "Jetzt dürfen nur noch 80 Leute rein"
In vielen Unterkünften werden nun Schnelltestes gemacht, aber nicht in allen. Das liege daran, dass nur Menschen mit medizinischer Ausbildung die Tests durchführen dürfen, kritisiert Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach und fordert eine Korrektur dieser Bestimmung: "Weil wir finden keine Ärzte, die sich von 17 bis 23 Uhr vor eine Kältehilfeeinrichtung stellen. Und wir sind darauf angewiesen, dass wir da jetzt Unterstützung kriegen. Weil das ist tatsächlich nochmal ein ziemlich hoher Schutz. Wenn wir testen und feststellen, wo Leute positiv sind, weil da ja auch durchaus die Symptome unterschiedlich sind, oder auch gar nicht sind."
Bei der Stadtmission am Hauptbahnhof testen aufgrund eines gemeinsamen Projekts mit der Charité Ärzte und ausgebildete Pflegekräfte. Jeden Abend stehen deshalb nun am Eingang der Notunterkunft vier Menschen mit blauen Plastikkitteln, Mundschutz und Visier vor dem Gesicht und entscheiden per Teststäbchen über ihr Schicksal - so zumindest sähen das die Obdachlosen, sagt Ulrich Neugebauer, der Leiter der Kältehilfe in der Lehrter Straße. Wegen der Corona-Bestimmungen musste er die Anzahl der Schlafplätze hier um knapp die Hälfte reduzieren.
"Ich habe das Gefühl, es ist wie ein Pulverfass. Das merken wir eben, wie die Leute mit uns umgehen, wie die Aggression und die Gewalt gegenüber Mitarbeitenden steigt. Die stehen alle freundlich vor einem, lächeln einen an und sagen, wieder testen, ja. Und in ihnen kocht es, ich habe doch gestern getestet, aber du kommst nur rein, wenn du testest, sonst gehst du weg. Und früher war die Lehrter Straße immer ein Ort, du konntest 4,5 Promille haben, du konntest vorher jemanden umgebracht haben, du kamst immer hier rein, immer, die ganze Nacht. Und jetzt dürfen nur noch 80 Leute rein. Und jetzt stehen die hier und wissen, wenn ich nicht rechtzeitig dastehe, bekomme ich keinen Platz. Und das macht total Druck."
Wer an seinem Arbeitsplatz wohnte, steht vor dem Nichts
Eine Notunterkunft in Berlin musste bisher geschlossen werden, weil dort zehn Menschen positiv getestet wurden. In einer sogenannten "Nacht der Solidarität" vor einem Jahr sind knapp 2.000 Menschen in Berlin gezählt worden, die draußen übernachten. Hilfsorganisationen vermuten aber, dass es tatsächlich mindestens doppelt so viele sind. Ungefähr 60 Prozent der Berliner Obdachlosen stammen den Schätzungen zufolge aus Ost- und Südosteuropa. Und insgesamt seien durch Corona jetzt eher mehr Menschen auf der Straße als vorher, vermutet der Historiker Nico Rollmann, der eine Studie zum Thema Obdachlose in Corona-Zeiten erstellt hat.
"Das geht zum Beispiel um die sogenannten undokumentierten Arbeiter und Arbeiterinnen, ja früher hätte man gesagt um die, die eben schwarz arbeiten, die oft aus Südost- oder Osteuropa kommen und da an ihrem Arbeitsplatz mitunter auch wohnen. Die haben ihre Jobs jetzt sehr oft verloren und sind dann auf der Straße gelandet. Oder vielleicht um ein anders Beispiel noch zu nennen, die Sexworkerinnen. Also wie man ja weiß gibt es in Berlin eine große Sexindustrie. Die Frauen, die dann teilweise auch in diesen Bordellen leben, die sind geschlossen worden und die Frauen sind dann auch teilweise auf der Straße gelandet."
Übernachten im Hostel, danach wieder auf die Straße
Mit den 1000 Notübernachtungsplätzen für Menschen, die auf der Straße leben, hat Berlin inzwischen wieder fast genauso viele wie vor der Pandemie. Weil nicht mehr so viele Menschen an einem Ort übernachten sollen, hat die Sozialverwaltung Zusatzunterkünfte geschaffen. Neben den altbekannten Adressen, wie zum Beispiel der am Hauptbahnhof, gibt es jetzt unter anderem auch Übernachtungsplätze in drei Hostels, die das Land Berlin angemietet hat. Wegen Corona hatten die Hostels ohnehin keine Gäste und profitieren jetzt von dem Arrangement, genau wie die Obdachlosen. Allerdings müssen auch die Hostels wie alle anderen Notübernachtungsplätze morgens wieder verlassen werden.
In einem der Hostels in Berlin Adlershof schlafen heute Nacht der junge Pole Gregor und seine Freundin: "Wir haben den Job verloren wegen dieser Corona Krise. Wir haben gearbeitet Probezeit in einem Hotel, ja das lohnt nicht für die Hotels, die Mitarbeiter zu halten, deswegen haben wir die Kündigung gekriegt, danach waren wir drei Wochen in einer Pension, danach leider, das Geld war vorbei."
Und so landeten die beiden jungen Polen auf der Straße. Hier im Hostel können fast alle Obdachlosen in Zweibettzimmern unterkommen – das ist in den üblichen Notübernachtungen der Stadt nicht der Fall. Der Corona-Schnelltest hat Gregor und seine Freundin nicht abgeschreckt, aber das sei nicht immer so, sagt Katrin Liebscher vom Arbeiter Samariter Bund, der das Haus jetzt betreibt.
"Das Problem ist ja eigentlich das, dass die meisten Leute nicht in die Unterkünfte gehen, weil sie das eben hören, das spricht sich rum, dass eben getestet wird oder werden soll. Und die haben eben Angst, dass sie dann irgendwo festgehalten werden. Die wollen ihre Freiheit. Deswegen sind sie auf der Straße oft."
"Eingesperrt wird niemand, auch nicht in der Quarantäneunterkunft"
Die Schlange vor der Notübernachtung am Hauptbahnhof wird trotz der Vorbehalte gegen die verpflichtenden Corona-Tests immer länger. Viele der Männer sprechen kein Deutsch, immer mal wieder müssen Betreuerinnen der Stadtmission an die Maske erinnern. Eine obdachlose Frau sitzt etwas abseits, neben ihr ein alkoholisierter Mann. Einige Testergebnisse seien in den vergangenen Tagen bereits positiv gewesen, sagt Anna Behnke von der Stadtmission.
"Wenn es ein Verdacht ist, dann werden sie isoliert alleine, im Einzelzimmer mit eigenem Bad. Und wenn wir den zweiten Test gemacht haben, den PCR-Abstrich und wissen, die Person hat Corona, dann kommt sie auf die Quarantänestation. In der Quarantänestation sind sie medizinisch betreut, da arbeiten auch Ärzte, die regelmäßig gucken."
Die Quarantänestation direkt neben der Notunterkunft hat 16 Plätze, mit der Möglichkeit, auf 100 aufzustocken. Bisher wurde das nicht genutzt – Anfang Januar waren sieben infizierte Wohnungslose hier in Quarantäne. Einige fühlten sich wohl und kommen zur Ruhe, sagt Anna Behnke, andere seien aus der verordneten Quarantäne bereits geflohen. Viele sind alkohol- oder suchtkrank – und um diese Menschen zum Bleiben zu bewegen, gehe es ohne Alkohol in vielen Fällen nicht, sagt der Berliner Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Alexander Fischer.
Er sieht die Sache pragmatisch: "Eingesperrt wird niemand, auch nicht in der Quarantäneunterkunft. Und es kommt jeden Tag mehrfach vor, dass ein Mensch sehr aufgeregt ist und raus will und sich Alkohol zumindest besorgen will. Und dann hat das was damit zu tun, mit den Menschen zu kommunizieren und auch zu organisieren, dass sie – und das gehört auch zur Realität in dieser Quarantänestation – sie eben auch mit Alkohol zu versorgen. Es kann ja nicht so passieren, dass man einfach wahllos eine Menge Alkohol bereitstellt. Das heißt dann konkret, dass man den Alkoholgehalt im Blut misst, um herauszufinden, wieviel Alkohol braucht der Mensch um sozusagen den zustand halbwegs stabil zu halten und diesen Alkohol dann eben auch bereitzustellen."
Krankenhäuser bieten nur noch kurzfristige Akutbehandlung für Obdachlose
Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach meint, man müsse vieles berücksichtigen: Den Schutz der Obdachlosen vor Corona, zu verhindern, dass Obdachlose zu Überträgern werden und dass die Obdachlosen unter den Coronaschutzbestimmungen oft mehr leiden als am Virus selbst. Inzwischen habe man das in der Hauptstadt ganz gut im Griff: "Die zweite Welle war schwieriger als die erste Welle, das muss man jetzt mal sagen, aber wir haben in der zweiten Welle aber natürlich auch viel mehr Hilfsangebote und Unterstützungsangebote bereitstellen können, als in der ersten Welle. Weil es war einfach ein unglaublich großer Druck und ich hatte vor allem in der ersten Welle unendlich viel Angst, dass wir da Massenausbrüche haben bei den Obdachlosen und dass die dann völlig isoliert dastehen und wir auch gar nicht wissen wohin damit."
Hotels, Quarantänestation, Alkohol-Ausgabe. Durch Corona ist vieles möglich, was in früheren Zeiten undenkbar schien. Andererseits täten sich genau wegen Corona neue Probleme für Obdachlose auf, sagt Harry Fenzel von der Wohnungslosenhilfe Limburg in einer Online-Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Nämlich, dass Krankenhäuser ihre Hilfe reduzierten: "Und so werden Kliniken, die in Pandemiezeiten ganze Stationen wegen der Vorhaltung von Intensivbetten räumen, zu dem Ort, an dem genau diese Menschen bestenfalls eine kurzfristige Akutbehandlung bekommen haben und dann wieder auf die Straße geschickt worden sind. Und der Zweck heiligt die Mittel und Corona legitimiert den Hilfeausschluss."
Wohnungslosenhilfe gilt nicht überall als systemrelevant
Und dann müssten die Hilfsorganisationen das Problem irgendwie lösen und gerieten dabei an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Dass die Wohnungslosenhilfe nicht in allen Bundesländern oder Kommunen als systemrelevant angesehen werde, mache die Sache zusätzlich schwierig, erzählt Gabriele Kraft vom Ligaausschuss Wohnungslosenhilfe in Baden–Württemberg: "Erst als wir das erhalten hatten, das Etikett, durften unsere Mitarbeitenden beispielsweise ihre Kinder in die Notversorgung der Kitas und Schulen geben und konnten somit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Die Systemrelevanz hätte es für viele vereinfacht, Schutzutensilien zu Beginn der Pandemie zu bekommen etc."
Für die Menschen auf der Straße spielt das auch eine Rolle, denn sie sind stärker als zuvor auf die Hilfsorganisationen angewiesen. Das Leben draußen ist härter geworden. Einnahmequellen wie das Flaschensammeln, Verkaufen von Obdachlosenzeitungen oder Betteln sind kleiner geworden, weil insgesamt weniger Menschen unterwegs sind. Einkaufszentren zum Aufwärmen haben geschlossen, öffentliche Toiletten zum Teil ebenfalls.
Warenzäune mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Kleidung
Die Zäune, an die hilfsbereite Berlinerinnen und Berliner an verschiedenen Stellen der Stadt Essen und Kleidung für die Obdachlosen hängen, seien zu Beginn der Pandemie ein Lichtblick gewesen, meint die wohnungslose Maria: "Für und Wohnungs- und Obdachlose war es schon eine schwierige Situation. Man stand also wirklich von einem auf den anderen Moment fast auf Null. Was mich überrascht hat, waren diese Warenzäune, die fand ich unheimlich toll. Gerade in der Anfangsphase waren die wirklich gut bestückt. Also da gab es Lebensmittel, da gab es Hygieneartikel, gerade für uns Frauen, ist ne tolle Sache gewesen, wenn du kein Geld hattest und nicht wusstest, wo du was herkriegen solltest, hier ging es."
Leider habe die Spendenbereitschaft abgenommen. Der Bogen, den die Berliner um die Obdachlosen machen, sei wieder größer geworden – das ist auch wörtlich gemeint. Dabei haben die Obdachlosen Hilfe gerade jetzt offenbar besonders nötig. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat deutschlandweitweit Einrichtungen befragt: Fast sechs Prozent der Hilfsangebote für Wohnungslose sind demnach wegen Corona komplett eingestellt worden, jedes dritte Angebot gebe es nur noch eingeschränkt, alle anderen hätten sich irgendwie coronakonform organisiert – und das heißt häufig: so viel wie möglich ins Freie verlagert.
"Sie dürfen sich nicht ausruhen, nicht aufwärmen"
So wie die Kleiderkammer der Berliner Stadtmission. Morgens um halb zehn warten bei Temperaturen um null Grad knapp 20 Menschen. Die Kleiderkammer ist eher eine Kleiderausgabe unter freiem Himmel. Inzwischen gebe es wenigstens ein Zelt, sagt Barbara Breuer von der Stadtmission.
"Das mussten wir halt auch coronabedingt nach außen verlagern, weil die Kleiderkammer so klein ist, dass sich da keine zwei Menschen auf einmal aufhalten dürfen. Für alle Obdachlosen der Stadt Berlin gilt so gut wie überall, ihr bleibt draußen und nicht drin. Das heißt, alle Verteilungen, ob hier die Kleiderausgabe, ob die Essensausgabe, fast alles ist open air, das heißt die Leute kommen zu einem Fenster, zu einem Schalter oder sitzen wie hier draußen in der Schlange und bekommen dann das, was sie brauchen, aber sie dürfen halt nicht reinkommen. Das heißt, sie dürfen sich nicht ausruhen, sie dürfen sich nicht aufwärmen und das ist ein Zustand der sehr unschön ist bei diesen Temperaturen."
Die meisten der Wartenden hier stammen aus Ost- oder Südosteuropa. Viele seien im Rahmen der Freizügigkeit aus EU-Ländern wie Polen, Rumänien oder Bulgarien gekommen, um in Deutschland zu arbeiten, und seien dann aus den verschiedensten Gründen gescheitert, sagen die Mitarbeiter der Stadtmission.
"Es gibt sehr viele Leute, die wirklich am Rande des Selbstmords sind"
Anna Gindina, die Leiterin der Kleiderkammer, sucht für die Betroffenen warme Schuhe oder dicke Jacken. Unterwäsche ist heute - wie eigentlich immer – Mangelware. Die Kälte mache den meisten hier mehr Sorgen als Corona: "Für uns auch, wir sind hier die meisten Zeit mit den verschiedensten Krankheiten konfrontiert. Wir haben ziemlich viel mit Tuberkulose zu tun und dann Hepatitis oder Krätze. Und ehrlich gesagt, vor Krätze habe ich mehr Angst und vor Läusen auch."
Und vor der Kälte. Und vor der Einsamkeit, sagt der Berliner Wohnungslose Ralf: "Wir kriegen was zu essen zum Abholen, aber wir haben keinen Kontakt mehr miteinander und von daher auch kaum eine Möglichkeit, miteinander zu reden. Und da gibt es sehr viele Leute, die wirklich am Rande des Selbstmords sind. Es ist ein ganz, ganz anderes Leben. Früher war es so, wir haben uns in der Suppenküche getroffen mittags oder abends auf Veranstaltungen, wir haben immer Leute getroffen, das ist weggefallen. Das ist für die normalen Leute schon schwierig."
Inzwischen hat Berlin reagiert. Neben den Notübernachtungsplätzen, die am Morgen stets verlassen werden müssen, gebe es nun auch mehrere Unterkünfte, in denen sich über 300 Obdachlose auch tagsüber aufhalten könnten. Zwar ist die Zahl der Bedürftigen viel höher. Aber das Angebot sei jetzt weit besser als vor Corona, erklärt Senatorin Elke Breitenbach: "Das ist schon was Besonderes, was wir bisher noch nicht hatten, dass jetzt auch Menschen, die keinen Anspruch auf Leistungen haben, dass die Menschen erstmal die Möglichkeit haben, für eine längere Zeit tatsächlich eine Unterkunft zu haben."
Ein Sponsor zahlt 170 Menschen drei Monate die Unterkunft
Durch solche zusätzlichen Unterkünften, Angebote und Hostels wird die Versorgung und Unterbringung der Berliner Obdachlosen in diesem Coronajahr statt etwas mehr als drei Millionen Euro nun 10 bis 13 Millionen Euro mehr kosten, schätzt die Berliner Sozialverwaltung. In Hamburg habe man mit einem Rund-um-die-Uhr-Angebot gute Erfahrungen gemacht, erzählt Maren Sievert von der Heilsarmee in Hamburg in der Onlinetagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Mit dem Geld eines Sponsors wurden 170 Menschen drei Monate in einem Hotel untergebracht. Darunter waren auch Menschen, die hier im Regelfall keine Ansprüche auf Sozialunterstützung haben.
"Sie wohnen in Einzelzimmern und wurden durch Sozialpädagoginnen beraten und begleitet. Und durch die Ruhe und Erholung, die die meisten dort eben erfahren konnten und die Begleitung und Beratung, konnten sich viele Menschen wirklich sehr gut stabilisieren in dieser Zeit. Und es kam in diesen drei Monaten zu erstaunlichen persönlichen Entwicklungen. Einige konnten im Anschluss in eine feste Unterkunft wechseln, einige konnten ein normales versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis aufnehmen und einige Menschen, die wirklich vorher komplett fern vom Hilfesystem waren, konnten dadurch erreicht werden."
Frauen sind auf besondere Weise von Obdachlosigkeit bedroht. Wenn eine Beziehung zerbricht oder die Rente nicht reicht, verlieren manche von ihnen die Wohnung. Hilfsangebote können sie unterstützen, aber es gibt zu wenige, beklagen Sozialarbeiter.
In der Bahnhofsmission gibt es Essen nur noch durch das Fenster
Ähnlich gute Erfahrungen gibt es in Berlin mit den Ganztagsunterkünften auch. Das Hamburger Projekt wurde allerdings nicht verlängert. In Berlin hofft Sozialsenatorin Breitenbach darauf, dass Corona die Tür für einen dauerhaften Betrieb solcher Einrichtungen geöffnet hat. Schwierig sei es nach wie vor für Menschen, die dennoch draußen übernachten, weil sie sich nicht an Regeln halten wollen oder können, Hunde haben oder Suchtprobleme. Vor Corona haben sie sich im Winter tagsüber in Einkaufszentren oder Obdachlosencafes aufgewärmt. Einkaufszentren sind jetzt vielfach geschlossen oder erlauben das Essen oder Trinken dort nicht mehr. Obdachlosencafes sind - wenn überhaupt nur noch für sehr wenige Menschen - und für sehr limitierte Zeiträume geöffnet. Sogar in der Bahnhofsmission am Zoo, Berlins bekanntestem Treffpunkt für Obdachlose, gibt es Essen für die Menschen nur noch durchs Fenster, gegessen werden muss im Stehen oder sitzend auf den Knien auf dem kalten Gehweg vor dem Haus.
Viele Menschen wüssten tagsüber einfach nicht wohin, sagt Roland Saurer von der Landesarmutskonferenz Baden- Württemberg. Erst kürzlich war er in Stuttgart: "Da ist mir dann aufgefallen, dass es nirgendwo ein Plätzchen gibt, wo jemand wenigstens mal Vesperbrot in die Hand nehmen kann oder gar den alltäglichen Bedarf nach Schutz, nach Wärme, da ist überall massiv Essig. Und ich halte das auch für wahnsinnig gesundheitsgefährdend, was da passiert."
Restaurant als Rückzugsraum für bis zu 150 Obdachlose geöffnet
Berlin ist seit Mitte Dezember in dieser Hinsicht endlich ein Stück weiter. Ein großes Restaurant am Alexanderplatz hat wegen der Pandemie geschlossen – und nun für Obdachlose wieder geöffnet. Auf 1.500 Quadratmetern können sich hier bis zu 150 Menschen tagsüber aufhalten, freut sich Romana, die im Rollstuhl sitzt und auf der Straße lebt: "Ich bin halt sehr froh, dass ich hier willkommen bin, mit Leuten unterhalten, im Warmen sitzen, essen können, den Tag über hierbleiben, sich einfach mal ein bisschen ausruhen."
Die Kooperation der Berliner Sozialverwaltung mit dem Restaurant sei eine Win-Win-Situation, meint der Geschäftsführer des Hofbräu Berlin, Björn Schwarz: "Und wir sind ja mit dem Hofbräu in einer sehr guten Lage und wir haben sehr viel Quadratmeter und wir haben geschlossen durch die Pandemie. Und da haben wir uns kurzerhand mit den Kollegen der Kältehilfe zusammengesetzt und so wurde schnell klar, hier können wir was tun und haben und an einen Tisch gesetzt und beratschlagt. Wir geben zwar keine Location-Miete in dieser Form weiter aber wir können hier fast zehn Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen."
Der Sozialträger Gebewo betreut die neue Tagesstätte und bietet mit Partnern hier auch Hilfe und Sozialberatung an. Besonders schwierig sei das immer bei Menschen aus der EU, die hier in der Regel keine Unterstützungsansprüche haben. Aber gerade während des ersten Lockdowns sei ihre Arbeit diesbezüglich eher leichter als schwerer geworden, sagt Svenja Ketelsen von der Gebewo.
"Während des Lockdowns ist alles leichter geworden. Wir hatten auf einmal gar keine Probleme mehr in der Beratung der EU-Bürgerinnen, weil die haben sowohl finanzielle Unterstützung bekommen, die haben Zimmer bekommen und wir hatten auf einmal richtig Spaß bei der Arbeit. Keine Widerstände mehr."
Und so leiden Obdachlose in Berlin nicht nur unter Corona, sondern können am Ende auch ein wenig von der Pandemie profitieren. Ihr Schicksal in der Zeit danach ist jedoch ungewiss.