Im Südsudan herrsche allgemein ein großes Misstrauen, so Peter im Deutschlandfunk. "Ein Gerücht löst schnell Feuergefechte aus, weil jeder bewaffnet ist." Der Staat selbst sei nicht in der Lage, "irgendweine Form von Sicherheit herzustellen", deshalb nähmen die Menschen das Recht selbst die Hand.
Medienberichten zufolge fielen am Freitagabend in der Hauptstadt Juba vor dem Präsidentenpalastin Schüsse, während Präsident Salva Kiir und der ehemalige Rebellenführer und jetzige Vize-Präsident Riek Machar eine Pressekonferenz abhielten. UNO-Generalsekretär Ban-Ki Moon äußerte sich in der Nacht zum Samstag alarmiert über die anhaltenden Gewalt.
Eine Hoffnung
Obwohl der Südsudan potenziell ein reiches Land sei, befinde es sich am Rande des Staatsbankrotts, so Sudan-Expertin Peter. Deshalb habe die Regierung das Militär seit Monaten nicht mehr bezahlt. Vor einem Frieden stehe ein langwieriger Prozess, bei dem neues Vertrauen hergestellt werden müsse.
Viele Menschen seien bis heute traumatisiert von den Gräueltaten der Kriegsjahre. Europa sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt und habe den Konflikt nur "teilweise auf dem Schirm", wenngleich eine große Hungersnot bevorstehe. Hoffnung mache ihr einzig, so Peter, dass es "junge Leute gibt, die etwas anderes wollen".
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Und jetzt bin ich telefonisch verbunden mit Marina Peter von der Initiative Sudan/Südsudan (*), Expertin für dieses Land, Kenntnis des Südsudans seit etlichen vielen Jahren, auch engagiert bei der christlichen Hilfsorganisation Brot für die Welt. Frau Peter, guten Tag!
Marina Peter: Guten Tag, Herr Grieß!
Grieß: Fünf Jahre Unabhängigkeit im Südsudan – gibt es tatsächlich nichts zu feiern?
Peter: Ich bin am 9. Juli vor fünf Jahren dabei gewesen und habe gesehen, wie groß die Freude gewesen ist bei den Menschen. Ich habe so was vorher nie erlebt, ich glaube auch nicht, dass ich das in meinem Leben noch mal wieder erleben werde – umso tiefer ist natürlich jetzt die Enttäuschung. Die Kämpfe dauern an, sie haben das im Vorbeitrag gesagt, im Moment ist es in Juba selbst ruhig, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es in der Woche zuvor auch in Bentiu, in einer anderen Stadt im Südsudan, in Wau, Kämpfe gegeben hat. Und wenn es etwas zu feiern gäbe, dann wäre das, dass ganz, ganz viele Menschen, einfache Menschen, aber auch intellektuelle, inzwischen immer, immer, immer wieder sagen, wir wollen Frieden – das gab es früher nicht so. Aber die sind so tief enttäuscht, und ich denke, der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat recht, wenn er sagt, das ist ein neuer Verrat an dem südsudanesischen Volk, diese geschundenen Menschen haben wirklich etwas anderes verdient. Die Frage ist eben immer nur, wer sind eigentlich diese Konfliktparteien. Und da, denke ich, da sind wir in der Analyse noch nicht gut genug, und wir greifen zu kurz, wenn wir denken, das sind nur – nur in Anführungsstrichen – der jetzige Wieder-Vizepräsident Riek Machar und der Präsident Salva Kiir.
Grieß: Also Sie sagen, da müssen wir differenzierter sein, es gibt nicht nur diese beiden Seiten, sozusagen Präsident und seine Anhänger gegen den Vizepräsidenten und dessen Anhänger, sondern wer spielt noch eine wichtige Rolle?
"Wir haben im Südsudan praktisch einen Staatsbankrott"
Peter: Wir haben leider das Phänomen, dass sich immer mehr Gruppen abspalten, immer mehr Gruppen versuchen sozusagen, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Das hat damit zu tun, dass es ein ganz, ganz tiefes Misstrauen gibt, jeder jedem gegenüber. Ich denke zum Beispiel, das, was gestern in der Hauptstadt passiert ist, da wurde sofort gesagt, der Vizepräsident sei verhaftet worden im Präsidentenpalast, das ging sofort durch alle Medien – was gar nicht stimmte –, und dann löst so was, so ein Gerücht, natürlich ganz schnell draußen Feuergefechte aus, weil fast jeder bewaffnet ist. Aber das Problem ist, wir haben im Südsudan eine ökonomische Lage, die praktisch einem Staatsbankrott fast gleichkommt, wir haben eigentlich ein potenziell reiches Land, das wurde in den Vorbeiträgen ja auch gesagt, aber wir haben Militär, was seit Monaten nicht bezahlt worden ist. Wir haben Sicherheitskräfte, die seit Monaten nicht bezahlt worden sind. Wir haben eine zunehmende Aufsplitterung in kleine Gruppen. Die Frage, wer sind wir eigentlich als Südsudanesen und wer wollen wir sein, wird immer mehr in kleine Gruppen aufgesplittert. Das heißt, ich bin Dinka, ich bin Nuer, ich bin Angehöriger einer anderen Gruppe, weil die Leute zutiefst verunsichert sind und der Staat nicht in der Lage ist, ihnen in irgendeiner Form Sicherheit zu geben. Dann nehmen die das in die eigenen Hände, und das sind ja Phänomene, die sind uns ja heute leider in Europa auch gar nicht mehr so fremd.
Grieß: Vertrauen ist wahnsinnig schnell zerstört, aber es zu schaffen, ist ebenso wahnsinnig kompliziert und schwierig. Wie kann das funktionieren nach so einer langen Geschichte des Misstrauens, des Misstrauens, das immer größer wird, wie Sie es schildern?
"Wir müssen uns auf einen ganz langwierigen Prozess einstellen"
Peter: Ja, also meine Befürchtung ist, dass wir fast schon es mit einer, sagen wir mal, verlorenen Generation zu tun haben, was die alten Kämpfer anbelangt, die vielen Zigtausenden im Land, dass es da schon fast jenseits ist, sag ich mal. Also worauf wir uns einstellen müssen, ist ein ganz, ganz langwieriger Prozess, wo von unten Vertrauen wieder aufgebaut werden muss mit den Menschen vor Ort, und da gibt es durchaus auch Ansätze. Aber vor allen Dingen muss auch gearbeitet werden an den tiefen Traumata. Amnesty International hat diese Woche noch mal einen Bericht veröffentlicht, wo sie genau auf diese Traumata eingehen, denn es sind Gräueltaten passiert im Südsudan, die jenseits, ich denke Ihrer und auch meiner Vorstellungskraft liegen. Alleine wenn man das liest, denkt man, das kann alles nicht wahr sein. Das sind tiefe, tiefe Wunden, zusätzlich zu denen, die aus dem anderen Krieg schon da waren.
Grieß: Aber wenn ich da noch einmal nachfragen darf, Frau Peter: Das sind Traumata, die natürlich auch Männer betreffen, aber natürlich auch Frauen und Kinder betreffen, und Sie haben gesprochen von einer Soldatengeneration, die von Misstrauen geprägt ist, aber da wächst doch nun schon die nächste Generation heran, denen Vertrauen ein Fremdwort sein muss.
"Zwei Drittel der Bevölkerung sind akut von Hunger bedroht"
Peter: Genau das ist das Problem, also das ist auch das, was – wenn ich das mal so ein bisschen pathetisch ausdrücken darf – fast mein Herz zerrissen hat. Ich hab ja nun schon viele Jahre mit dem Land zu tun und mit den Menschen, und ich hatte so die große Hoffnung, dass eine Generation aufwächst, die genau diese Traumata nicht mehr hat. Das ist nicht passiert. Aber natürlich kann man, sagen wir mal, mehr Hoffnung auf die haben oder in die setzen, bei denen das relativ kurz erst ist. Deswegen ist es umso wichtiger, dass jetzt tatsächlich die Waffen schweigen, aber meine Befürchtung ist, dass Salva Kiir und auch der Vizepräsident Riek Machar längst schon nicht mehr die Kontrolle überall haben. Das heißt, wenn wir nur an die beiden – was wir natürlich weiter machen müssen – appellieren, dass sie ihre Leute zu Frieden aufrufen, was sie ja durchaus machen, was sie auch gestern gemacht haben, dann wird das nicht reichen, sondern wir müssen viel tiefer schauen. Ich denke, wir als internationale Gemeinschaft, uns alle eingeschlossen, haben noch nicht die richtigen Antworten auf eine solche Situation.
Grieß: Europa hat den Südsudan nicht mehr genügend auf dem Schirm, vielleicht auch, weil es zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist?
Peter: Einmal, weil es zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, wobei – und ich möchte das gern noch mal sagen – bestimmte Tendenzen, so die Frage, wer sind wir, wer wollen wir sein, wen grenzen wir aus, wen machen wir verantwortlich für Fehler, die beobachten wir jetzt ja an vielen Stellen. Aber es gibt auch einfach eine Riesenenttäuschung, weil man so viel Hoffnung gesetzt hatte auf diesen Südsudan und jetzt viele sich abgewendet haben. Also Europa hat es nur teilweise auf dem Schirm, würde ich sagen, aber eben auch noch nicht mit den richtigen Antworten. Und Sie hatten ja auch vorher angesprochen, es steht unmittelbar eine ganz große Hungersnot bevor, zwei Drittel der Bevölkerung sind akut von Hunger bedroht, das hat mit Klimaphänomenen zu tun, hat natürlich aber auch mit der unsicheren Lage zu tun. Wir haben viel zu wenig Geld sozusagen, um auf diese Lage zu reagieren, und die Zugänge sind nicht da, also was gefordert wurde – humanitärer Zugang natürlich, aber dazu müssen eben vor Ort die Waffen auch schweigen.
Grieß: Und das in einem erdölreichen Land, in dem das Geld aus den Erdölverkäufen in die Taschen weniger fließt.
"Viele junge Leute wollen wirklich etwas anderes"
Peter: Genau so ist es, und diejenigen, die gedacht haben, wir müssten eigentlich auch was abkriegen, sind zum Teil diejenigen, die jetzt wieder kämpfen. Aber neben Erdöl gibt es eine ganz große, reiche Landwirtschaft zum Beispiel. Das Land könnte sich ganz prima selber versorgen und auch wahrscheinlich noch Nachbarländer mit. Also das Potenzial ist riesig, das hängt nicht nur vom Erdöl ab. Und um es noch mal zu sagen: Ich habe insofern Hoffnung, weil es viele junge Leute gibt, die wirklich was anderes wollen und daran auch arbeiten. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass das noch ein ganz, ganz langer Prozess ist.
Grieß: Danke sehr für Ihre Einschätzungen! Marina Peter vom Sudan/Südsudan-Forum, fünf Jahre Unabhängigkeit im Südsudan, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Peter: Ich auch, Wiedersehen!
Grieß: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) Anmerkung der Redaktion: Die genaue Bezeichnung der Initiative wurde korrigiert.