Die Ursprünge des russischen Einflusses auf den Südkaukasus reichen bis in die Zarenzeit zurück. Er hat die Sowjetunion überdauert und sich nach deren Zusammenbruch noch einmal deutlich verändert. Der Militärfachmann Alexander Golz schaut zurück auf die Zeit, als die selbstständigen Staaten Russland und Armenien Verbündete wurden:
"Armenien hat Russland einen Militärstützpunkt auf seinem Territorium bewilligt. Zu Beginn hat es von Russland das Versprechen erreicht, die armenischen Außengrenzen zur Türkei und zum Iran zu sichern, und dann in den 2010er-Jahren die Zustimmung Russlands, die territoriale Unversehrtheit entlang aller Grenzen zu sichern – auch nach Aserbaidschan. Als Russland das versprach, lieferte es Waffen an Armenien entweder zum russischen Inlandspreis oder auf Kredit der Russischen Föderation."
Wird Armenien angegriffen, muss Russland agieren
Armenien zählt wie Russland und vier weitere Staaten heute zur Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, einer Verteidigungsunion. Sie sieht, ähnlich wie in der NATO, eine Beistandsverpflichtung vor. Würde Armenien angegriffen, müsste auch Russland agieren. Die aktuellen Kämpfe fallen aber nicht unter diese Klausel, denn sie finden völkerrechtlich auf aserbaidschanischem Gebiet statt. Baku ist nicht Mitglied der Verteidigungsunion.
Das rohstoffreiche Aserbaidschan hat sich dank seiner Öl- und Gaseinnahmen außen- und sicherheitspolitisch von Russlands Vorherrschaft weiter lösen können als Armenien, so Militärexperte Golz im Gespräch mit dem russischen Medium Meduza.
"Der Militärhaushalt Aserbaidschans ist annähernd dreieinhalb Mal größer als der armenische. Woraus folgt, dass er neben dem umfassenden Kauf russischer Waffentechnik, darunter Luftabwehrsysteme, Raketenwerfer und gepanzerte Fahrzeuge, auch Waffenkäufe in Israel ermöglichte, darunter Drohnen, und in der Türkei – ebenso Drohnen. Aserbaidschan ist deutlich überlegen. In der Luftwaffe, bei den Hubschraubern, und bei gepanzerten Fahrzeugen. Überall beträgt das Verhältnis annähernd eins zu zwei."
Russlands Hebel: Öl und Gas
Russlands zweiter großer Hebel im Verhältnis zu den vielen Nachbarstaaten ist Öl und Gas. Armeniens Energieversorgung hängt am großen nördlichen Verbündeten. "Armenien ist faktisch gekauft. Das ist das einzige Beispiel eines 100-prozentigen Erfolgs, Gas als Waffe zu verwenden", lautet der kritische Kommentar des Ökonomen Michail Krutichin im Sender Nastojaschtscheje Wremja. "Armenien konnte das russische Gas nicht mehr bezahlen, und es hat mit einem Teil seiner Gasbranche bezahlt; das betrifft die Infrastruktur und alle Gasversorger Armeniens."
Gegenüber Aserbaidschan allerdings verfügt Russland über keinen so klaren Hebel, jedoch haben russische Firmen Milliardeninvestitionen getätigt, weitere sind geplant – auch im Energiesektor. Es bleiben die übrigen ökonomischen Beziehungen. Das Handelsvolumen zwischen Aserbaidschan und Russland betrug im vergangenen Jahr – also vor der Pandemie – immerhin knapp 3,2 Milliarden Dollar; es gibt ein klares Ungleichgewicht zugunsten Russlands. Ähnlich eindeutig sieht das Kräfteverhältnis auch zwischen Russland und Armenien aus.
Wichtig für beide kaukasischen Länder ist Russland zudem als Einwanderungsland und Arbeitsmarkt. Manche leben dort seit langer Zeit, andere kehren regelmäßig zurück. Genaue Zahlen gibt es nicht. Schätzungen zufolge addieren sich alle Gruppen zusammen auf mehrere Millionen Menschen.
Als es im Juli erste bewaffnete Zusammenstöße zwischen Armenien und Aserbaidschan gab, gerieten in einzelnen Stadtteilen Moskaus auch Armenier und Aserbaidschaner aneinander. Jetzt, im September, hat sich dies bislang nicht wiederholt.