Fleckenstein sagte weiter: "Man muss nicht mehr viel reden, entweder ist jetzt Schluss mit Waffenlieferungen, entweder ist jetzt Schluss mit den Gefechten, oder wir müssen einsehen, dass Minsk II nicht zum Erfolg geführt hat."
Der SPD-Europaabgeordnete sprach sich gegen Waffenlieferungen des Westens an die ukrainischen Truppen aus. Die machten nur Sinn, wenn sich der Gegner davon beeindrucken ließe oder man überzeugt sei, gewinnen zu können. Beides sei im Moment nicht der Fall.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Es gibt keine militärische Lösung für den Osten der Ukraine. Das hat Bundeskanzlerin Merkel immer wieder gesagt. Jetzt sagt das auch der russische Präsident Putin. Was interessant ist, denn der Westen wirft Russland ja vor, die prorussischen Separatisten im umkämpften Gebiet militärisch zu unterstützen. Leider scheinen auch die Konfliktparteien jetzt eher wieder die militärische Auseinandersetzung zu suchen. Der UN-Sicherheitsrat rief beide Seiten des Konflikts auf, die Ergebnisse des Minsker Gipfels zu respektieren und umzusetzen. Zuletzt hatten die Gefechte im Osten der Ukraine wieder zugenommen. In Moskau haben wir jetzt den Europaparlamentarier Knut Fleckenstein erreicht, für die SPD Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen!
Knut Fleckenstein: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Ist Minsk II schon gescheitert?
Fleckenstein: Ich hoffe nicht, auch wenn es natürlich so aussieht, dass an einigen Stellen noch immer geschossen wird, die Stadt, die Sie eben erwähnt haben, nahezu eingenommen wurde. An anderen großen Frontabschnitten schweigen die Waffen und unsere Hoffnung ist natürlich, dass es jetzt zu einem Stillstand auf ganzer Linie kommt.
Schulz: Es hätte ja eigentlich der Abzug schwerer Waffen schon Anfang der Woche oder am Wochenende beginnen sollen. Ist dieser Zeitplan überhaupt noch realistisch?
Fleckenstein: Nein, der Zeitplan ist so nicht realistisch. Wenn Sie die Anfangsdaten zumindest nehmen, dann hätte er ja zumindest schon beginnen müssen. Ich hoffe trotzdem, dass es dazu noch kommt und dass nicht die neuerlichen Auseinandersetzungen dazu führen, dass die Fronten sich wieder verhärten und dass auch an anderen Stellen das Feuer wieder ausbricht.
"Friedensprozess beginnt mit dem Abschneiden von Waffenlieferungen"
Schulz: Worauf fußt Ihre Hoffnung?
Fleckenstein: Meine Hoffnung beruht darauf, dass ich hier in Moskau den Eindruck habe, dass mehr und mehr Politiker zu der Überzeugung kommen, dass es keine militärische Lösung am Ende des Problems geben wird.
Schulz: Das hat jetzt ja auch der russische Präsident Putin gesagt. Aber inwiefern ist das ein Fortschritt, solange die militärische Unterstützung aus Moskau an die prorussischen Separatisten weitergeht?
Fleckenstein: Solange das so ist, gibt es gar keinen Fortschritt, und deshalb beginnt praktisch dieser wirkliche Friedensprozess mit dem Abschneiden von zusätzlichen Waffenlieferungen, und wenn das nicht geschieht, ist alles andere Makulatur.
Schulz: Und wie geht es dann weiter?
Fleckenstein: Dann müsste als nächster Schritt das Auseinandernehmen sozusagen der Konfrontationslinien stattfinden, und daran wird man in den nächsten Wochen sehen, ob Minsk noch eine Chance hat, oder ob es innerhalb weniger Tage wieder zerschossen wurde.
Schulz: Ich habe es, ehrlich gesagt, immer noch nicht verstanden. Die Waffenruhe von Minsk, die hat, wenn wir richtig gezählt haben, nicht mal 24 Stunden gedauert oder gehalten, bis wieder gemeldet wurde, dass die Gefechte sich verschärfen. Was macht Sie zuversichtlich, dass Minsk überhaupt noch Bestand hat?
Fleckenstein: Nein. Die Gefechte haben weitgehend aufgehört. An ein, zwei bestimmten Stellen haben die Separatisten sozusagen eine Frontbegradigung durchführen wollen, die absolut nicht im Sinne von Minsk ist und absolut auch unsinnig ist, wenn man weiterhin davon ausgeht, dass man sich auf die Linien zurückziehen soll, die schon bei Minsk I festgelegt worden sind, und das müssen wir verlangen, das ist unterschrieben worden. Und Hoffnung ja auf irgendeine Einsicht habe ich, aber Sie haben völlig recht, dass die Gefechte, die sich jetzt geliefert wurden, nicht dafür sprechen, dass das so kommen wird. Dennoch hoffe ich, dass die zahllosen Telefonate und Gespräche, die ja weiterhin geführt werden, zu so einem Ergebnis dann am Ende doch führen werden.
Schulz: Verstehe ich Sie da richtig? Debalzewe, das wurde jetzt noch kurz eingenommen von den Separatisten und jetzt hören die Kämpfe auf?
Fleckenstein: Ich bin leider nicht verantwortlich dafür, sonst würde ich Ihnen gerne mit Ja antworten. Wenn sie jetzt nicht aufhören, ist Minsk II gescheitert. Ich weiß, dass auch das, was jetzt passiert ist, nicht richtig ist und gar nicht diskutiert werden muss eigentlich, aber meine Hoffnung ist ja immer noch, dass so wie an anderen, weitgehend an anderen Frontlinien auch dort jetzt die Waffen ruhen werden.
USA sollten noch keine Waffen liefern
Schulz: Wie haben Ihre Gesprächspartner in Moskau, die Sie jetzt getroffen haben, denn das eingeordnet, oder was haben sie zu diesen Vorwürfen gesagt?
Fleckenstein: Es ist immer dasselbe, dass man erst davon überzeugt werden soll hier, dass man nicht den Einfluss auf die Separatisten so hat, wie man sich das vorstellt im Westen, aber überzeugend ist das nicht. Und man muss nicht mehr viel reden. Entweder ist jetzt Schluss mit den Waffenlieferungen und entweder ist jetzt Schluss mit den Gefechten, oder wir müssen einsehen, dass Minsk II nicht zu dem Erfolg geführt hat, obwohl alle davon überzeugt sind, dass es nicht viele neue Möglichkeiten geben wird. Das, was da an Aufwand und an wirklichem Bemühen geschehen ist, ist ja wirklich nicht zu toppen.
Schulz: Ist dann auch Europa als Schlichter gescheitert? Das war ja der Anspruch, dass Europa gesagt hat, USA, haltet euch bitte raus, das ist unsere Krise, das müssen wir regeln. Ist dieses Bemühen jetzt gescheitert?
Fleckenstein: Ich hoffe noch nicht, aber wenn es keinen Waffenstillstand jetzt in den nächsten Tagen wirklich gibt, dann ist es gescheitert, ja. Das ist aber keine Begründung dafür, dass es falsch war, es zu versuchen, sondern es ist leider nur ein negatives Ergebnis dann.
Schulz: Und dann müssen die USA Waffen liefern in die Ukraine?
Fleckenstein: Nein, das müssen sie nicht. Zumindest nicht, wenn sie die Situation nicht noch verschlimmern wollen. Waffenlieferungen machen dann Sinn, wenn man davon überzeugt ist, dass der politische Gegner oder der militärische Gegner sich davon beeindrucken lässt - das sehe ich im Moment nicht -, oder machen dann Sinn, wenn man glaubt, dass man die militärische Auseinandersetzung gewinnen kann. Das sehe ich im Moment auch nicht. Deshalb ist die einfache Lösung, auf Diplomatie zu verzichten und Waffen zu liefern, in diesem Fall mit Sicherheit die falsche.
Schulz: Der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein. Wir haben ihn heute Morgen in Moskau erreicht. Vielen herzlichen Dank für dieses Interview.
Fleckenstein: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.