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Kämpfer für die Identität Afrikas

Leopold Sedar Senghor war Dichter und Politiker. Sein Biograf Janos Riesz hebt vor allem die Rolle des Theoretikers der Negritude hervor, als der Senghor gegen die kulturelle Fremdbestimmung und für die Wiedergewinnung der bedrohten Afrikanität gekämpft und dennoch nie in seiner Begeisterung für die europäische Kultur nachgelassen hat. Eine Rezension des Titels "Leopold Sedar Senghor und der afrikanische Aufbruch im 20. Jahrhundert" von Gaby Mayr.

    "Die Poesie schafft einen neuen Blick auf die Dinge, auf die Welt. Sie bietet eine Interpretation der Realitäten dieser Welt."

    Der das sagte, war ein Dichter - natürlich. Obendrein war er aber auch Politiker: Agitator für die Unabhängigkeit und erster Präsident des Senegal von 1960 bis 1980 - Leopold Sedar Senghor. Dieses Jahr wäre Leopold Senghor 100 Jahre alt geworden. Nun wird er erstmals vom deutschen Buchmarkt wahrgenommen. Janos Riesz, langjähriger Professor für französischsprachige Literatur aus Afrika, porträtiert Leopold Senghor im Zeitraum des "afrikanischen Aufbruchs im 20. Jahrhundert" - so heißt es im Untertitel seines Buches. Der Autor konzentriert sich also auf Senghors Herkunft, die Herausbildung der Ideen der Negritude, zu deren führenden Vertretern Senghor zählte, und seine Rolle im Unabhängigkeitskampf gegen die französische Kolonialherrschaft.

    Erstmals hervorgetreten ist Leopold Senghor in den 30er Jahren, als er während seines Studiums in Paris mit einigen Freunden die "Negritude"-Bewegung begründete. Janos Riesz:

    "Negritude ist einfach 'Neger sein'. Wenn er also dann in seinen Gedichten von 'meiner Negritude' spricht, dann spricht er halt von seiner Identität als Schwarzer, als Afrikaner. Und in den 30er Jahren wird das dann eben so eine Bewegung junger schwarzer Intellektueller aus den Kolonien, aus Afrika selbst und aus der Karibik, die sich unter diesem Sammelbegriff zusammentun und über die Jahre, mit dem Höhepunkt vielleicht in den 50er Jahren, wird dann so eine ausgefaltete Kulturtheorie, auch eine politische Doktrin, wenn man will."

    Leopold Sedar Senghor wurde 1906 in eine wohlhabende ländliche Familie hineingeboren, die von Ackerbau und Viehzucht lebte:

    "Ich erinnere mich an das Königreich der Kindheit im Hause meines Vaters. (...) Ich fühlte, dass wir zu einer großen, vor allem einer schönen Zivilisation gehörten."

    Mit diesen Erfahrungen im Herzen, besuchte der Sohn aus gutem Hause französische Schulen in der Kolonie.

    Riesz: "Wenn die Lehrer im Internat und nachher im Gymnasium in Dakar sich verächtlich über die Kultur oder Nicht-Kultur der Neger äußerten oder bestritten, dass sie überhaupt eine Zivilisation hätten, dann hat er schon innerlich dagegen revoltiert und eben gefühlt, dass das nicht so sein kann. Seine Kindheitserinnerungen, seine Erfahrungen aus seiner Jugend entsprachen einer ganz anderen Wirklichkeit."

    Dieser bereits früh empfundene Widerspruch zwischen seinen afrikanischen Erfahrungen und der Herabwürdigung durch die europäischen Kolonialherren prägten Senghors gesamtes späteres Leben. Aus der Kränkung erwuchsen die Ideen der Negritude, die den Schwarzen ein neues Selbstbewusstsein geben wollte. Sie war die Triebfeder für Senghors politisches Engagement. Eigentlich verstand er sich als Dichter und Philosoph. Aber die Verhältnisse machten aus dem Gymnasiallehrer für Französisch und klassische Sprachen einen Politiker.

    Senghor wird Mitglied der sozialistischen Partei. 1937 hält er viel beachtete Reden in Paris und vor der Handelskammer in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Mit Kriegsbeginn wird er 1939 in die französische Armee eingezogen und gerät in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung erringt er 1945 bei der Wahl zur Verfassung gebenden Versammlung in Paris das zweite Mandat des Senegal - er vertritt die ländlichen Regionen. In den folgenden anderthalb Jahrzehnten wird Leopold Senghor zum unermüdlichen Streiter für die Unabhängigkeit seiner Heimat und eine deutlich vernehmbare Stimme im weltweiten Kampf der Kolonisierten gegen die europäischen Kolonialherren.

    "Der vor dem Krieg noch erträumte und in erster Linie verbale afrikanische Aufbruch gewinnt (...) Kontur und Wirkungskraft. Auf Dauer wird ihm auch das scheinbar so festgefügte Kolonialsystem nicht widerstehen können. Aus dem Theoretiker und Philosophen des Pariser Quartier Latin ist ein Redner und Politiker geworden, der die Interessen seines Landes und seiner Wähler mit Verve und Überzeugungskraft vertreten kann."

    Bei aller Entschlossenheit im antikolonialen Kampf will Leopold Senghor doch nie die Bande zum "Mutterland" Frankreich kappen. Und nie lässt seine Begeisterung nach für die europäische Kultur. Griechisch und Latein, Heinrich Heine und natürlich die französischen Schriftsteller - alles ist für ihn Quelle der Inspiration für seine Poesie und Philosophie. Der existenzialistische Philosoph Jean-Paul Sartre, der das Vorwort für den 1948 erschienenen Gedichtband "Schwarze Hostien" schrieb, nannte Senghor "Schwarzer Orpheus"

    Afrikanische Mitstreiter dagegen haben ihn oft hart kritisiert. In einer Zeit, als der bewaffnete Kampf gegen die europäischen Kolonialherren en vogue war, erschien ihnen Senghor zu versöhnlich, weil er als Poet und Politiker auf die Kraft der Worte und als Lehrer auf die Ausbildung seines Volkes setzte. Er arbeite außerdem mit Klischees, warfen sie ihm vor, etwa wenn er die Emotionalität der Afrikaner betonte und den Europäern Rationalität zuschrieb. Autor Janos Riesz hält dagegen, man müsse Senghors Äußerungen im Zusammenhang sehen:

    "Wenn man das bei Senghor genau nachliest, dann bringt er auch solche Beispiele, wo ein Diener im Haus seines Vaters, der vom Vater mal versehentlich eines Diebstahls bezichtigt wird, davon so getroffen ist, dass er Selbstmord begeht - einfach um zu zeigen, wie tief verletzlich die Afrikaner sind, was für eine mächtige Emotionalität sie haben, wie tief sie eben durch jahrhundertelange Herrschaft Europas, Sklaverei, Kolonialismus und so weiter. gedemütigt worden sind."

    Wole Soyinka, ein früher Kritiker von Senghors unkriegerischem Streben nach Freiheit von französischer Vorherrschaft, erteilt ihm spät - in den 90er Jahren - Absolution:

    ""Soyinka sieht in Senghors großmütiger Geste des Verzeihens die 'poetische Antizipation' der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission, die Haltung von Nelson Mandela und Bischof Desmond Tutu als politische Parallele zur 'Poetik des Verzeihens' in den 'Schwarzen Hostien'.""

    Janos Riesz beendet sein Buch über Leopold Senghor mit Senegals Unabhängigkeit 1960. In einem sechsseitigen Epilog liefert er nur wenige Stichworte zur jüngeren Vergangenheit. Senghors immerhin 20 Jahre währende Präsidentschaft mit bedeutenden Umwälzungen in seiner Heimat und in ganz Afrika und die mehr als 20 Lebensjahre, die dem Poeten, Philosophen und Politiker nach seinem Rücktritt noch blieben, sind kein Thema. Das mag man bedauern - zumal einige Textinterpretationen von Senghors Werk allzu ausführlich geraten sind. Dafür aber vermittelt der Autor fundierte Einblicke in die ersten gut 50 Jahre des prägenden afrikanischen Politikers und Philosophen.

    Leopold Senghor stirbt im Jahr 2001 in der Normandie, der Heimat seiner Frau. Wie stark sein Herz für die Kultur schlug - trotz all der politischen Ämter, die er jahrzehntelang bekleidete - macht ein Zitat aus der Rede deutlich, die er aus Anlass seines 70. Geburtstages in der Hauptstadt Dakar hielt:

    "Es ist nicht der politische Imperialismus, der gefährlich ist, der mir Angst macht. Viel durchdringender ist der kulturelle Imperialismus, der sich gleichmäßig ausbreitet auf alle Rassen, Kontinente und Nationen."

    Janos Riesz: Leopold Sedar Senghor und der afrikanische Aufbruch im 20. Jahrhundert
    Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2006
    348 Seiten
    24,90 Euro