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Käthe Reichel war eine "manchmal sogar etwas verrückte Schauspielerin"

Käthe Reichel sei eine der prägenden Spielerinnen des deutschen Theaters gewesen, sagt Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles. Das Besondere an ihr sei gewesen, dass sie zugleich Schauspielerin und politisches Wesen war.

Claus Peymann im Gespräch mit Dina Netz | 19.10.2012
    Der Intendant des Berliner Ensemble, Claus Peymann.
    Der Intendant des Berliner Ensemble, Claus Peymann. (AP)
    Dina Netz: Käthe Reichel wurde am 3. März 1926 in Berlin geboren, sie wuchs "in einfachen Verhältnissen" auf, wie das damals hieß. Sie bekam ohne Schauspielausbildung Engagements an den Theatern in Greiz, Gotha, Rostock, als Bertolt Brecht sie 1950 entdeckte und ans Berliner Ensemble holte. Nicht lange, und Käthe Reichel gehörte zu den wichtigsten Darstellerinnen des Hauses. Seit 1961 arbeitete Käthe Reichel am Deutschen Theater Berlin, später in Frankfurt, Stuttgart, Hamburg. Parallel machte sie auch beim Film Karriere. Und Käthe Reichels schauspielerische Arbeit ist nie zu denken ohne ihr politisches Engagement. Sie unterschrieb gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976, hungerte nach der Wende zusammen mit den Kali-Kumpels um deren Arbeitsplätze.

    In den vergangenen Jahren hat sie vor allem vorgetragen, wie vor zwei Jahren. Da las sie bei einer Brecht-Gala das "Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus":

    O-Ton Käthe Reichel: "Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Im Dache leckte die Flamme. Ich ging hinzu und sah, dass noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief ihnen zu, dass Feuer im Dach sei!"

    Netz: Käthe Reichel, im unverkennbaren, etwas klagenden Brecht-Ton. - Ich habe den heutigen Intendanten des Berliner Ensembles und damit Brecht-Nachfolger Claus Peymann gefragt: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Käthe Reichel?

    Claus Peymann: Also meine erste Erinnerung geht wirklich in meine Jugend, hätte ich beinahe gesagt, Kindheit zurück. Ich habe sie als "Minna von Barnhelm" gesehen irgendwie in den 60er-Jahren im Deutschen Theater und war natürlich froh, dass ich noch ihre heute berühmte "Heilige Johanna der Schlachthöfe" gesehen habe. Für mich sind das wirklich so Urbilder des Theaters, eine ganz originelle, unvergessliche, im Grunde manchmal sogar etwas verrückte Schauspielerin, die ich natürlich damals nicht kennen lernen konnte. Ich habe sie bewundert und verehrt und wir waren ja damals alle feuchthändige Brecht-Fans und sie war ja neben der Weigel und neben Schall eigentlich die Brecht-Schauspielerin auch der ersten Stunde. Der Brecht hat sie ja gleich am Anfang im Grunde mit der Gründung des BE in sein Haus geholt, in dem ich jetzt Direktor bin. Und persönlich kennen gelernt habe ich sie eigentlich dann in einer ganz besonderen Situation: Wir haben zusammen eine Reise unternommen mit dem österreichischen Schriftsteller und Dramatiker Peter Handke. Weil man muss wissen: Die Käthe Reichel war eine unglaublich engagierte Spielerin. Sie war Schauspielerin und zugleich auch ein politisches Wesen.

    Netz: Lassen Sie uns doch kurz noch, Herr Peymann, vielleicht bei der Schauspielerin bleiben. Sie hat einfache Menschen ohne große Gesten gespielt. Vielleicht beschreiben Sie ein bisschen das Besondere an der Schauspielerin Käthe Reichel.

    Peymann: Ich kann mich an eine Minna von Barnhelm erinnern, die wirklich so unvergesslich war. Das ist die Liebesgeschichte zwischen Tellheim und Minna von Barnhelm und im Grunde haben sie sich gehasst, die beiden Liebenden, und sind immer voreinander weggelaufen. Das war damals der Wolfgang Langhoff, der das am Deutschen Theater inszeniert hat, und das war eine Inszenierung, die Furore machte, die sich völlig wegbewegte, und mit so einer Teufelsspielerin, wie die Käthe Reichel als junge Schauspielerin war, ging das natürlich, dass man ein solches Konzept durchsetzte: also überhaupt nicht sentimental, nicht elegisch und hingebungsvoll, sondern kratzbürstig, gefährlich und leidenschaftlich. Für mich war das fast auch eine Weichenstellung für meine eigene Arbeit, dass man so die Klassiker sozusagen aufpolieren konnte, aufbürsten konnte.

    Das, glaube ich, hing schon auch mit ihrer emanzipierten politischen Position zusammen und die "Heilige Johanna der Schlachthöfe" war ja dann ein Aufschrei der Verzweiflung der Entrechteten, der zu kurz gekommenen, ja im Grunde auch eine kommunistische Spielerin. Viel später habe ich dann mit ihr eine Reise in den Kosovo unternommen, und wir haben da mit Peter Handke und einer Gruppe von Künstlern, die Geld gesammelt hatten für einen alternativen Heinrich-Heine-Preis – das hat im Grunde sie betrieben -, und wir haben dann dieses Geld in einer Enklave, einer serbischen Enklave den Leuten dort gegeben. Die haben da ihre Schule mit aufgebaut, haben den Marktplatz neu gezimmert. Ich glaube, da war sie in ihrem Element.

    Sie hat immer den Beruf auch übergreifend ins politisch Verantwortliche begriffen. Insofern war sie wirklich eine Schwester im Geiste, was meine persönliche Arbeit betrifft, und das fand ich eigentlich das ganz Besondere an ihr, dass das nicht auf der Bühne aufhörte, sondern dass das im schönsten Sinne übergriff ins Leben, auch in die politische Position. So habe ich sie kennen gelernt; ich hoffe, ich treffe das. Gearbeitet haben wir leider nie, dazu war sie dann in einer ganz anderen Welt, auch durch die Mauer getrennt, und danach kam es dann nicht mehr zu Stande. Ich finde sie wirklich eine ganz großartige Kollegin, eine große Künstlerin, die viele prägende Jahre im BE war und dann später im Deutschen Theater in Berlin, also eine von diesen prägenden Spielerinnen des Berliner, ja des deutschen Theaters.

    Netz: Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, erinnerte an Käthe Reichel.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Die Schauspielerin Käthe Reichel
    Die Schauspielerin Käthe Reichel (dpa / Hubert Link)