Die alte Dame, die da in einer Hotel-Lounge in Tel Aviv sitzt, hat mit Franz Kafka nur bedingt zu tun. Eva Hoffe ist die Tochter von Ester Hoffe, die die Sekretärin von Max Brod war, welcher nicht nur als Autor, sondern vor allem als Herausgeber von Kafkas Romanen berühmt wurde - die Kafka selber allerdings lieber vernichtet sehen wollte.
Eva Hoffe redet mit uns, aber lieber ohne Mikrofon; zur Unterstützung hat sie Hans Gerd Koch mitgebracht, den Herausgeber des Kafka-Briefwechsels und Redakteur der Kritischen Kafka-Ausgabe. Koch vermag die komplizierte Lage etwas kühler zu formulieren als Eva Hoffe, die auf die Unterstützung von Freunden angewiesen ist, seit ein israelisches Gericht ihr Vermögen gesperrt hat.
"Was im Moment passiert, ist für mich eigentlich ein Skandal, weil die Rechte der Erben und der Wille der Erblasser einfach ignoriert werden."
Israel beansprucht Kafka-Handschriften
Der Kern des Streits zwischen der israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem und der Tochter der 2007, im hohen Alter von 101 Jahren gestorbenen Ester Hoffe ist ideologischer Natur: der Staat Israel beharrt darauf, dass der Nachlass von Max Brod und somit auch die von ihm verwahrten Kafka-Handschriften jüdisches Kulturgut seien und also in Israel verbleiben müssten.
Wäre Kafka nicht 1924 an Tuberkulose gestorben, hätte man ihn wahrscheinlich im KZ vergast, so eine auch in der israelischen Presse gängige Position: schon deshalb gehörten seine Manuskripte ins Land der Väter. Eva Hoffe als überlebende Erbin des Brod-Nachlasses und der Kafka-Handschriften dagegen kann belegen, dass Max Brod schon zu seinen Lebzeiten die Kafka-Handschriften ihrer Mutter Ester Hoffe geschenkt hat - weil Hoffe für ihn als Sekretärin arbeitete hat, er sie aber nicht bezahlen konnte. Die Handschriften seien der geldwerte Ersatz.
Zum anderen geht es um den Nachlass von Max Brod, der nach dessen Willen in eine Bibliothek oder Forschungseinrichtung kommen sollte. Dieser Nachlass enthält natürlich wichtige Details über Franz Kafka. Aber als Ester Hoffe, die Erbin, nach Brods Tod 1968 mit der Hebräischen Bibliothek in Jerusalem verhandelte, war diese nicht willens oder nicht in der Lage, Brods Auflagen zu erfüllen: Brod wollte einen eigenen Raum für sein Archiv und ein Stipendium, mit dem sein eigenes Werk erforscht und publiziert, also: lebendig gehalten werden sollte. Das ist auch heute noch das erklärte Ziel der jetzt 79jährigenTochter Eva Hoffe.
Israelische Gerichte ziehen harte Saiten auf
Einige wichtige Kafka-Manuskripte dagegen hat die Familie Hoffe verkauft, was ihr in Israel herbe Kritik eingetragen hat. Unter anderem ersteigerte das Deutsche Literaturarchiv Marbach 1988 das Prozess-Manuskript für 3,5 Millionen Mark. Damit die in Tresoren in Zürich und Tel Aviv lagernden restlichen Kafka-Autographen nicht ebenfalls verkauft oder auktioniert werden, ziehen israelische Gerichte jetzt harte Saiten auf.
Es ist nicht nur so, dass Eva Hoffes Sparkonten und Vermögenswerte gesperrt wurden; sie muss auch einen vom Gericht eingesetzten Anwalt bezahlen. Das sei ziemlich rüde, meint Kafka-Forscher Hans Gerd Koch. Hoffes Vater besaß nämlich auch Grundstücke…
"Und all diese Werte werden jetzt im Rahmen dieses Prozesses aufgezehrt. Der Nachlassverwalter, der für den Nachlass Ester Hoffe vom Gericht eingesetzt worden ist und der jetzt auf Antrag von Eva Hoffe aus diesem Verfahren ausgeschlossen wird, wird aus dem Vermögen bezahlt, in einer Höhe von 200tausend Euro. Wenn man sich das vorstellt, dass gleichzeitig die Erbin von Zuwendungen ihrer Freunde lebt, auf ärmlichem Niveau, ist das unglaublich."
Forscher wollen mit Dokumenten weiter arbeiten
Dabei ist an der Rechtmäßigkeit der Hoffe-Erbschaft kaum zu zweifeln. Die in Frage stehenden Kafka-Manuskripte sind übrigens alle bereits ediert, für die Forschung geht es eher darum, weiter damit arbeiten und sie ausstellen zu können.
Am besten ginge das in einem öffentlichen Archiv, vielleicht auch länderübergreifend: Marbach, Oxford, Jerusalem – das wäre eine wahrhaft salomonische, therapeutische und ökonomisch auch machbare Lösung. Nur müssten israelische Gerichte der Familie Hoffe zuerst zu ihrem Recht verhelfen – und letztlich auch dem Emigranten Max Brod, der in Tel Aviv immer ein Fremder geblieben ist.