Fischer: Der Medizinstudent Klopstock wurde zum letzten Freund des Dichters und Begleiter seiner letzten Stunden, heute würde man sagen, sogar sein Sterbehelfer. Am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka in einer Wiener Klinik an Schwindsucht. Robert Klopstock hat später als Mediziner und Erforscher der Lungentuberkulose Karriere gemacht. Er hatte Kontakt zu Albert Einstein und Thomas Mann, dessen Sohn Klaus er schon Ende der 30er Jahre in Budapest von den Drogen wegzubringen versuchte. Eine durchaus schillernde Figur also, über deren Korrespondenz mit Kafka zuerst in der Ausgabe der Briefe zu lesen war, die Max Brod 1958 veröffentlichte. Ich habe den Kafka-Biographen und Experten Rainer Stach gefragt, ob die jetzt an die Öffentlichkeit gelangten Briefe oder Brieffragmente dem Wesentliches hinzufügen.
Stach: Also es ist ja so, dass die letzten Lebensjahre Kafkas ohnehin sehr schlecht dokumentiert sind im Verhältnis zum Beispiel zu den Kriegsjahren oder der Verlobungszeit mit Felice Bauer. Insofern ist es aus biographischer Sicht sehr spannend, wenn eine Figur, die man bisher nur schemenhaft gekannt hat, nämlich diesen Robert Klopstock, wenn man über den nun sinnliche Details erfährt, wie er zum Beispiel ausgebildet wurde, dass er schon Kriegserlebnisse hinter sich hatte, als er Kafka kennen gelernt hatte, und vor allem auch, dass er sehr intensive literarische Interessen hatte, was bisher auch nicht so bekannt war. Andrerseits muss ich sagen, mir ist aufgefallen, an den Verzeichnissen, die da bisher bekannt geworden sind aus dem Nachlass, dass leider damit auch eine Enttäuschung verbunden ist, und zwar hatten wir uns eigentlich erhofft, dass die sogenannten Gesprächszettel, die Kafka in den letzten Wochen und Monaten seines Lebens geschrieben hat, auch in dem Nachlass eigentlich enthalten sein müssten. Kafka hat in den letzten Wochen oft statt zu sprechen, weil es ihm sehr geschmerzt hat, zu sprechen, eben sich schriftlich verständigt, und von diesen Gesprächszetteln sind etwa 100 publiziert worden. Max Brod hat aber immer gesagt, dass diese 100 publizierten Zettel nur eine kleine Auswahl seien von denen, die wirklich vorhanden sind. Und nun stellt sich leider heraus, dass diese Gesprächszettel nicht im Klopstock-Nachlass enthalten sind. Das ist also schon etwas, was mir Sorgen macht, weil das bedeuten könnte, dass sie doch letztendlich verloren sind.
Fischer: Kafka war in dieser Zeit - das wird auch immer hervorgehoben - moribund. Er war sozusagen zum Tode verurteilt. Er hat ja auch in seinen Aufzeichnungen immer mal wieder über seine Krankheit und den Tod gesprochen. Was erhellt daraus über ihn, über die Figur Kafka in den letzten Jahren?
Stach: Man kann schon daraus entnehmen, dass Kafka leben wollte. Kafka war zwar sehr häufig suizidgefährdet. Es gab immer wieder Phasen schwerster Depressionen in seinem Leben, wo er auch mit dem Gedanken gespielt hat, jetzt ein Ende zu machen, aber ganz bestimmt in den letzten beiden Jahren war es nicht so. Das hat er teilweise eben diesem Robert Klopstock zu verdanken, der sich sehr um Kafka gekümmert hat und ihm wirklich sozusagen Lebensenergie eingeflößt hat, aber er hat es auch seiner letzten Freundin Dora Diamant zu verdanken. Diese beiden Personen, Dora Diamant und Robert Klopstock, die die beiden wichtigsten Personen sind, um die es in diesem Nachlass geht, haben dafür gesorgt, dass Kafka einen neuen Lebenswillen entwickelt hat. Es ist vielleicht ein bisschen anders, als wie man das glaubt, wenn man eben die letzten Texte von ihm liest. Der Hungerkünstler ist ja zum Beispiel im Grunde auch eine Suizidgeschichte, also jemand, der aufhört zu essen. Aber das ist Literatur, und Kafka hätte es wahrscheinlich gar nicht gut gefunden, wenn man diese asketische Figur eins zu eins mit ihm identifiziert hätte. Durak: Bis zu fünf Briefe hat Kafka täglich im Jahr 1920 an Milena geschrieben, fast immer aber einen. Im Vergleich dazu handelt es sich bei den Briefen an Klopstock also nicht um das Allerwichtigste seines Schreibens. Wer könnte sich heute für ein Konvolut zu einem solchen Preis, 1,2 Millionen, interessieren?
Stach: Wie gesagt, das Bild, das wir von Kafka aus den letzten Wochen und Monaten seines Lebens haben, könnte sich schon leicht verschieben. Es ist ja so, dass Max Brod einen Teil dieser Briefe schon veröffentlicht hat, aber er ist dabei sehr tendenziös vorgegangen, also er hat zum Beispiel bestimmte Figuren, die in der Korrespondenz vorkommen, völlig eliminiert. Auch Äußerungen Kafkas politischer Natur sind eliminiert worden. Jetzt hat man sozusagen mehr Facetten. Man sieht jetzt die ganze Situation nicht nur aus Kafka-Sicht. Man sieht sie auch aus der Sicht Klopstocks, aus der Sicht von Dora Diamant, und dadurch wird das ganze Setting, was sich in den letzten Monaten aufgebaut hat, sozusagen dreidimensional, könnte man sagen, also für den Biographen ist das schon sehr spannend. Aber natürlich 1,2 Millionen ist ein Preis, über den man wirklich, wie die Marbacher auch sagen, nicht mehr verhandeln kann. Da wird ein Präzedenzfall geschaffen. Das ist ein Preis, der nicht mehr rational ist. Man muss bedenken, es sind 38 Autographen von Kafkas Hand, und selbst wenn man noch in Betracht zieht, dass da noch eins, zwei Thomas-Mann-Briefe und Albert-Einstein-Briefe dabei sind, wenn man das durchkalkuliert, dann kommt man auch 25.000 Euro pro Autograph, und das kann natürlich als Steuergelder nicht mehr aufgebracht werden. Jetzt droht natürlich dasselbe Debakel, was wir Ende der 80er Jahre mit den Briefen an Felice Bauer schon mal erlebt haben, dass hier einfach hier ein privater Sammler, der sich das leisten kann, zuschlägt, und dann verschwindet dieser Nachlass ein für allemal in irgendeinen privaten Safe, gekauft von einem anonymen Sammler, und dann ist es weg. Die Situation haben wir jetzt also wieder.
Fischer: Vielen Dank für das Gespräch.
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Stach: Also es ist ja so, dass die letzten Lebensjahre Kafkas ohnehin sehr schlecht dokumentiert sind im Verhältnis zum Beispiel zu den Kriegsjahren oder der Verlobungszeit mit Felice Bauer. Insofern ist es aus biographischer Sicht sehr spannend, wenn eine Figur, die man bisher nur schemenhaft gekannt hat, nämlich diesen Robert Klopstock, wenn man über den nun sinnliche Details erfährt, wie er zum Beispiel ausgebildet wurde, dass er schon Kriegserlebnisse hinter sich hatte, als er Kafka kennen gelernt hatte, und vor allem auch, dass er sehr intensive literarische Interessen hatte, was bisher auch nicht so bekannt war. Andrerseits muss ich sagen, mir ist aufgefallen, an den Verzeichnissen, die da bisher bekannt geworden sind aus dem Nachlass, dass leider damit auch eine Enttäuschung verbunden ist, und zwar hatten wir uns eigentlich erhofft, dass die sogenannten Gesprächszettel, die Kafka in den letzten Wochen und Monaten seines Lebens geschrieben hat, auch in dem Nachlass eigentlich enthalten sein müssten. Kafka hat in den letzten Wochen oft statt zu sprechen, weil es ihm sehr geschmerzt hat, zu sprechen, eben sich schriftlich verständigt, und von diesen Gesprächszetteln sind etwa 100 publiziert worden. Max Brod hat aber immer gesagt, dass diese 100 publizierten Zettel nur eine kleine Auswahl seien von denen, die wirklich vorhanden sind. Und nun stellt sich leider heraus, dass diese Gesprächszettel nicht im Klopstock-Nachlass enthalten sind. Das ist also schon etwas, was mir Sorgen macht, weil das bedeuten könnte, dass sie doch letztendlich verloren sind.
Fischer: Kafka war in dieser Zeit - das wird auch immer hervorgehoben - moribund. Er war sozusagen zum Tode verurteilt. Er hat ja auch in seinen Aufzeichnungen immer mal wieder über seine Krankheit und den Tod gesprochen. Was erhellt daraus über ihn, über die Figur Kafka in den letzten Jahren?
Stach: Man kann schon daraus entnehmen, dass Kafka leben wollte. Kafka war zwar sehr häufig suizidgefährdet. Es gab immer wieder Phasen schwerster Depressionen in seinem Leben, wo er auch mit dem Gedanken gespielt hat, jetzt ein Ende zu machen, aber ganz bestimmt in den letzten beiden Jahren war es nicht so. Das hat er teilweise eben diesem Robert Klopstock zu verdanken, der sich sehr um Kafka gekümmert hat und ihm wirklich sozusagen Lebensenergie eingeflößt hat, aber er hat es auch seiner letzten Freundin Dora Diamant zu verdanken. Diese beiden Personen, Dora Diamant und Robert Klopstock, die die beiden wichtigsten Personen sind, um die es in diesem Nachlass geht, haben dafür gesorgt, dass Kafka einen neuen Lebenswillen entwickelt hat. Es ist vielleicht ein bisschen anders, als wie man das glaubt, wenn man eben die letzten Texte von ihm liest. Der Hungerkünstler ist ja zum Beispiel im Grunde auch eine Suizidgeschichte, also jemand, der aufhört zu essen. Aber das ist Literatur, und Kafka hätte es wahrscheinlich gar nicht gut gefunden, wenn man diese asketische Figur eins zu eins mit ihm identifiziert hätte. Durak: Bis zu fünf Briefe hat Kafka täglich im Jahr 1920 an Milena geschrieben, fast immer aber einen. Im Vergleich dazu handelt es sich bei den Briefen an Klopstock also nicht um das Allerwichtigste seines Schreibens. Wer könnte sich heute für ein Konvolut zu einem solchen Preis, 1,2 Millionen, interessieren?
Stach: Wie gesagt, das Bild, das wir von Kafka aus den letzten Wochen und Monaten seines Lebens haben, könnte sich schon leicht verschieben. Es ist ja so, dass Max Brod einen Teil dieser Briefe schon veröffentlicht hat, aber er ist dabei sehr tendenziös vorgegangen, also er hat zum Beispiel bestimmte Figuren, die in der Korrespondenz vorkommen, völlig eliminiert. Auch Äußerungen Kafkas politischer Natur sind eliminiert worden. Jetzt hat man sozusagen mehr Facetten. Man sieht jetzt die ganze Situation nicht nur aus Kafka-Sicht. Man sieht sie auch aus der Sicht Klopstocks, aus der Sicht von Dora Diamant, und dadurch wird das ganze Setting, was sich in den letzten Monaten aufgebaut hat, sozusagen dreidimensional, könnte man sagen, also für den Biographen ist das schon sehr spannend. Aber natürlich 1,2 Millionen ist ein Preis, über den man wirklich, wie die Marbacher auch sagen, nicht mehr verhandeln kann. Da wird ein Präzedenzfall geschaffen. Das ist ein Preis, der nicht mehr rational ist. Man muss bedenken, es sind 38 Autographen von Kafkas Hand, und selbst wenn man noch in Betracht zieht, dass da noch eins, zwei Thomas-Mann-Briefe und Albert-Einstein-Briefe dabei sind, wenn man das durchkalkuliert, dann kommt man auch 25.000 Euro pro Autograph, und das kann natürlich als Steuergelder nicht mehr aufgebracht werden. Jetzt droht natürlich dasselbe Debakel, was wir Ende der 80er Jahre mit den Briefen an Felice Bauer schon mal erlebt haben, dass hier einfach hier ein privater Sammler, der sich das leisten kann, zuschlägt, und dann verschwindet dieser Nachlass ein für allemal in irgendeinen privaten Safe, gekauft von einem anonymen Sammler, und dann ist es weg. Die Situation haben wir jetzt also wieder.
Fischer: Vielen Dank für das Gespräch.
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