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Kaiser: US-Präsident will militärischen Druck auf Syrien weiter aufrechterhalten

Auch wenn US-Präsident Obama in seiner Rede an die Nation eine diplomatische Lösung im Syrienkonflikt angekündigt habe, sei die Option eines Militäreinsatzes nicht vom Tisch, sagt der Politikwissenschaftler Karl Kaiser. Obama habe sein Plädoyer für einen Einsatz mit "bemerkenswerter Deutlichkeit" vorgetragen, unterstreicht er.

Karl Kaiser im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Es ist schon überaus erstaunlich, wie sich die Auseinandersetzung um Syriens Chemiewaffen in den letzten ein bis zwei Tagen entwickelt hat. Galt Baschar al-Assad bisher immer als der Diktator, der seit zwei Jahren mit tödlicher Gewalt gegen seine eigene Bevölkerung schießen lässt, der im Verdacht steht, selbst den Einsatz von Giftgas nicht gescheut zu haben, ist er nun auf dem Weg, möglicherweise jedenfalls, Partner in einem Abrüstungsprozess zu werden. Alle Forderungen will das Regime erfüllen, seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle stellen, vernichten lassen, auch der Chemiewaffen-Konvention beitreten, kündigt das Regime an, um einen US-Militärschlag zu verhindern. Wie geht Amerikas Präsident, wie geht Barack Obama mit dieser Entwicklung um?

    Am Telefon begrüße ich den Politikwissenschaftler Karl Kaiser, er lehrt am Kennedy-Institut der Harvard University. Guten Tag, Herr Kaiser!

    Karl Kaiser: Guten Tag, Herr Barenberg!

    Barenberg: Herr Kaiser, wir haben gerade mit unserem Obamas Rede an die Nation (MP3-Audio)Korrespondenten gesprochen. Dieser Vorstoß Russlands, die Ankündigungen Syriens, die Beteuerungen des Regimes, jetzt tatsächlich die eigenen Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, ist das tatsächlich eine Chance für eine politische Lösung?

    Kaiser: Ja, ich sehe sie schon, weil hierbei ja auch offenkundig wird, dass russische Interessen sichtbar werden, die dies möglich machen. Ich glaube, was bisher unterschätzt wurde, ist das russische Bedürfnis zu verhindern, dass C-Waffen über radikale Islamisten nach Russland kommen, zum Beispiel nach Tschetschenien oder nach Moskau, und die Lage im Lande wird immer gefährlicher, auch aus russischer Sicht. Und was auch übersehen wird, ist: Das Potenzial ist ja sehr groß. Und ich nehme an, dies hat dazu beigetragen, dass im Gespräch zwischen Obama und Putin am Rande des G20-Gipfels dies als eine der Lösungen aufgetaucht ist. Das ist nicht so spontan von Kerry, wie oft gesagt wird, ins Spiel gebracht worden, sondern es war eines der Dinge, die offenkundig geprüft worden waren. Aber dennoch: Ein Szenenwechsel ist jetzt hier eingetreten und Obama hat die Möglichkeit aufgegriffen. Ich gehe davon aus, er ist sehr erleichtert. Viele Demokraten sind erleichtert, auch Republikaner. Er hätte keine Mehrheit gehabt im House of Representatives und selbst im Senat wäre es ganz außerordentlich schwer gewesen.

    Barenberg: Lassen Sie uns noch mal kurz bei diesem Punkt bleiben, den Sie angesprochen haben, was diese Bemerkung von US-Außenminister Kerry angeht, der das ganze ins Rollen gebracht hat. Da wird ja viel drüber diskutiert, ob das unabsichtlich war, oder geradezu brillant platziert. Es war die Antwort auf die Frage eines Journalisten, der Hinweis, Assad könne ja innerhalb einer Woche die Chemiewaffen unter internationale Kontrolle stellen. Sie haben jetzt gerade argumentiert, da steckt mehr dahinter, das ist hinter den Kulissen immer schon als Lösung oder als ein Weg ventiliert worden. Das war also ein kalkulierter Vorstoß, auch im Blick, dass Russland das aufgreifen könnte?

    Kaiser: Heute hat Obama in seiner Rede darauf hingewiesen, dass er diesen Gedanken mit Putin angesprochen hat. Also er ist in der Diskussion gewesen und sicherlich ist im Weißen Haus dann der Gedanke weiterentwickelt worden als eine der möglichen Optionen. Deshalb ist dies eigentlich keine so große Überraschung, nur die Umwelt hat es als überraschendes Ereignis zur Kenntnis genommen, und es ist ja auch eine gewisse, wie soll ich sagen, eine Wende eingetreten. Es ist ein Szenenwechsel, eine politische Lösung zeichnet sich möglicherweise ab. Aber wie Ihr Korrespondent ja auch mit Recht gesagt hat: Da liegen noch einige Probleme, die jetzt am Donnerstag wohl sicherlich besprochen werden zwischen dem russischen und dem amerikanischen Außenminister, denn das sind dann wahrscheinlich Tausende von Waffen, die mitten im Bürgerkrieg weggeschafft werden müssen. Das wird eine riesige Operation werden, die die internationale Gemeinschaft sehr in Anspruch nehmen wird, und dafür braucht man erhebliche Ressourcen und es wird vielleicht sogar sehr schwer sein, es überhaupt durchzuführen.

    Barenberg: Erleben wir gerade – Sie haben die Rolle Russlands angesprochen, auch die russischen Interessen mit Blick auf die Gefahr, die von solchen Chemiewaffen ausgehen kann -, erleben wir gerade, wie Russland zum ersten Mal in diesem Konflikt einen konstruktiven Vorschlag macht, einen konstruktiven Weg einschlägt, oder ist das doch der Versuch, sagen wir mal grob gesagt, die USA aufs Kreuz zu legen?

    Kaiser: Nein, ich sehe hier eher das Eigeninteresse Russlands. Natürlich wird damit auch die russische Diplomatie sich wieder ins Weltgeschäft einbringen in einer wichtigen Frage, gar kein Zweifel. Aber Russland hat kein Interesse daran, dass über El-Kaida-Kanäle C-Waffen in das Land kommen, und hier hat es offenkundig auch eine Wende gegeben. Im Übrigen muss man sagen, war die Rede von Obama außerordentlich klar und hat das Plädoyer für den möglichen Einsatz noch einmal in einer wirklich bemerkenswerten Deutlichkeit vorgetragen. Das heißt, diese Option ist nicht vom Tisch, und er hat ja auch selbst darauf hingewiesen, dank seiner Position haben sich die Syrer bewegt, und da ist sicherlich einiges dran.

    Barenberg: Bisher hat Diktator Assad in Syrien ja immer den Weg der Eskalation gewählt. Für wie glaubwürdig halten Sie die Signale aus Damaskus, jetzt auf die internationale Gemeinschaft zuzugehen, jetzt zuzustimmen, die Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, also dieses Mittel aus der Hand zu geben?

    Kaiser: Das lässt sich sehr schwer jetzt sagen. Er ist offenkundig unter großen Druck geraten. Man darf auch nicht unterschätzen, trotz der Zeit, die verstrichen ist, die ihm die Möglichkeit gegeben hat, vieles beiseitezuschaffen und zu verstecken, ein amerikanischer Schlag würde ihn schwer treffen, würde die Infrastruktur, die Kommandostruktur zerstören, würde vieles schwieriger machen für ihn. Auch für Russland würde damit das Problem auftauchen, dass sie ihren Verbündeten verlieren. Zumindest besteht jetzt eine Chance zu prüfen, ob er wirklich jetzt bereit ist, auch diese Zusagen einzuhalten und Russland hier am Portepee zu fassen und dazu zu bewegen, jetzt mitzuarbeiten.

    Also hier ist ein Gebiet, wo ein Reset, wie es damals Biden gesagt hat, vielleicht möglich ist und Amerika und Russland zusammenarbeiten können und wo dann auch Frankreich und Großbritannien mitwirken. Also es gibt einen Szenenwechsel und vielleicht kommt eine politische Lösung. Aber es wird sehr schwer sein, sie umzusetzen durch Abtransport und Zerstörung. Die Zerstörung kommt ja sowieso erst woanders und das ist erst viel später. Aber der Abtransport wird das Problem sein und eine möglichst umfassende Kontrolle des Gebietes in Syrien.

    Barenberg: Und all das ist im Moment jedenfalls nur schwer vorstellbar in einem Land, das seit zwei Jahren mitten in einem Bürgerkrieg ist.
    Vielen Dank an Karl Kaiser, dem Politikwissenschaftler vom Kennedy-Institut in Harvard. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kaiser.

    Kaiser: Auf Wiederhören, Herr Barenberg.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.