Leo Trotzki, der Volkskommissar für das Kriegswesen und Gründer der Roten Armee, reiste seit 1918 mit seinem Panzerzug von einer Front zur anderen, um mit aller Härte die „Genossen Soldaten der Roten Armee“, wie er sagte, im Bürgerkrieg gegen die „Weißen“ anzutreiben.
Im Jahr zuvor hatte der russische Zar Nikolaj II. abdanken müssen, und im Oktober 1917 hatten die Bolschewiki mit Lenin an der Spitze die Macht ergriffen. Das war der Beginn der Geschichte der Sowjetunion.
Sowjets: Massenorganisationen "unter Ausschluss der Ausbeuter"
„Völkergefängnis“ hatte Lenin das Zarenreich genannt. Bei dessen Zusammenbruch hatten die nichtrussischen Völker Autonomie und Unabhängigkeit gefordert. Doch im Bürgerkrieg von 1918 bis 1921 versuchte die Sowjetmacht, die verlorenen Gebiete des Russischen Reiches wieder zurückzuerobern.
Was die Sowjetmacht sei, erläuterte Lenin so: „Zum ersten Mal in der Welt ist die Staatsmacht bei uns in Russland so organisiert, dass nur die Arbeiter, nur die werktätigen Bauern, unter Ausschluss der Ausbeuter, Massenorganisationen bilden, die Sowjets, und diesen Sowjets ist die ganze Staatsmacht übertragen. … Das ist der Grund, weshalb die Sowjetmacht unausbleiblich und in nicht ferner Zukunft in der ganzen Welt siegen wird.“
Die Weltrevolution, die, so Lenin, die Emanzipation der Völker bringen sollte, blieb aus. Nun lautete die Doktrin: „Sozialismus in einem Land“ – in einer mächtigen Sowjetunion.
Erster Allrussischer Sowjetkongress im Bolschoi-Theater
Ende Dezember 1922 fanden sich mehr als 2.200 Delegierte zum Ersten Allrussischen Sowjetkongress im Moskauer Bolschoi-Theater zusammen. Die meisten Teilnehmer stammten aus der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, kurz: RSFSR. Ihre Vertreter sowie die der Ukraine, Weißrusslands und der Transkaukasischen Föderation verabschiedeten die Deklaration über die Gründung der „Union der sozialistischen Sowjetrepubliken“, kurz: „UdSSR“ oder „Sowjetunion“.
Im Unionsvertrag, der am 30. Dezember 1922 in Kraft trat, hieß es: „Jede der Unionsrepubliken erhält das Recht auf freien Austritt aus der Union.“
Die beteiligten Länder waren nach dem Zerfall des Zarenreiches entstanden, besaßen staatliche Souveränität und waren im Bürgerkrieg von der Roten Armee erobert worden. Ihr Recht auf freien Austritt konnten sie – ebenso wie die im Zweiten Weltkrieg annektierten baltischen Staaten und die Moldauische Sowjetrepublik – erst Jahrzehnte später wahrnehmen.
Repressive Nationalitätenpolitik
Schon in den 1920er-Jahren setzte eine repressive Nationalitätenpolitik ein und ab Ende der 1930er Jahre unterstanden die Republiken völlig der Kontrolle der Moskauer Zentrale. Russische Kader bestimmten die Politik des Vielvölkerstaates, und dem Terror unter Stalin fielen auch die politischen und kulturellen Eliten der nicht-russischen Völker zum Opfer.
Erst mit Nikita Chruschtschow, der hier die Oktoberrevolution würdigt, wurde die Nationalitätenpolitik in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre liberaler. Doch neue repressive Phasen folgten, besonders in Georgien und in der Ukraine.
Zerreißkräfte in den 1980er-Jahren
Ende der 1980er-Jahre schließlich verlor die Moskauer Zentralgewalt unter Michail Gorbatschow deutlich an Autorität. Vergeblich versuchte Gorbatschow, das Riesenreich durch einen neuen Unionsvertrag zu retten. Der Osteuropahistoriker Wolfgang Eichwede:
„Gorbatschow hat, glaube ich, bis 1990/91 die nationale Frage in der Sowjetunion nicht verstanden, die Brisanz nicht begriffen. Er hat diesem Land ja viel an Freiheit gegeben und glaubte, dadurch könnte er diese Gesellschaft binden.“
Mit der Unabhängigkeitserklärung Litauens 1990 – gefolgt von Estland und Lettland – begann der Zerfall der Sowjetunion in 15 unabhängige Staaten. Am 31. Dezember 1991 hörte die Weltmacht auf, zu existieren.