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Kalifat der Isis
"Eine Gefahr für die Menschen" im Irak

Mit Gewalt könne Anfang des 21. Jahrhunderts kein Staat mehr gegründet werden, sagte der Kulturwissenschaftler Feryad Fazil Omar im Deutschlandfunk. Die Gruppe der radikalen Isis-Kämpfer sei auch viel zu klein, um sich auf Dauer halten zu können.

Feryad Fazil Omar im Gespräch mit Katja Lückert |
    Eine karge Landschaft nahe Mossul. Zwei kurdische Soldaten laufen über ein Feld.
    Das Bild soll Isis-Führer Abu Bakr al-Baghdadi beim Freitagsgebet zeigen. (Christophe Petit Tesson, dpa)
    Katja Lückert: Seit dem vergangenen Sonntag und dem Vormarsch der Isis, der Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien, beschäftigt wieder ein sehr altes Wort unsere Vorstellungswelt, nämlich das des Kalifats. Ein solches Kalifat als grenzüberschreitenden islamischen Gottesstaat hat die Isis nämlich in der Region Aleppo im Norden Syriens bis in den Osten des Iraks ausgerufen. Den Kulturwissenschaftler Feryad Fazil Omar fragte ich heute Nachmittag: Wenn wir vielleicht noch einmal zurückblicken in die Geschichte dieser islamischen Institution Kalifat, was heißt das vom Wort her, Chalifa, Stellvertretern? Ist der Kalif also ein Stellvertreter des Propheten Mohammed auf Erden, also eine Art islamischer Papst ursprünglich gedacht?
    Feryad Fazil Omar: Wir dürfen nicht vergessen, dass das Osmanische Reich ein Kalifat war. Der Kalif hat sich betrachtet, dass er Gottes Vertreter auf der Erde ist. Dieser Kalif hat seinerzeit natürlich die islamischen Länder besonders im Nahen Osten unter seiner Kontrolle gehabt und hat sich so beschrieben, dass er sie alle vertritt.
    Lückert: Und welche Bedeutung hatten diese Kalifen für den Islam? Wäre der Koran beispielsweise ohne sie überliefert?
    Omar: Nachdem der islamische Prophet Mohammed gestorben war, gab es offiziell vier Kalifen. Erster Kalif, der Mohammed im Islam vertreten hat, war Abu Bakr, und nach ihm kam Omar und nach Omar kam Usmar und nach Usmar kam Ali und nach Ali war das Kalifat zu Ende.
    Lückert: Der heutige Isis-Führer Abu Bakr al-Bagdadi - er trägt ja dazu noch den Namen des allerersten Kalifen in der Geschichte - will vor allem gegen die Schiiten ziehen, die er für Ungläubige hält. Es gibt ja auch Stimmen wie etwa die des Predigers Yusuf al-Qaradawi, der als graue Eminenz der dortigen Muslimbruderschaft gilt, die vor den gefährlichen Folgen für die Sunniten im Irak und für den Aufstand in Syrien warnen und finden, die Ausrufung eines Kalifats verstoße gegen das islamische Recht. Wird in Ihren Augen dieses Projekt eine große Zukunft haben?
    Omar: Ich glaube nicht, dass dieses Projekt eine große Zukunft haben kann in der Region. Das bedeutet nicht, dass eine Person namens Abu Bakr al-Bagdadi, der sich als Kalif benennt und denkt, dass er die muslimischen Sunniten weltweit vertritt, einen Staat so einfach bilden wird. Aber nach dem Absturz des Irak, nachdem die Amerikaner Saddam Hussein gestürzt haben, haben sie im Irak eine Regierung unterstützt, welche sehr schwach aufgebaut war und auf die Schiiten konzentriert. Und der Ministerpräsident des Irak hat versucht in den vergangenen Jahren, wo er regiert hat, die anderen Gruppierungen ethnisch und religiös zu ignorieren. Das hat dazu geführt, dass eine Gruppe von 900 Leuten einfach einmarschieren und den zweitgrößten Staat des Landes Irak besitzen, und solche Aktionen mit solch kleinen Gruppierungen kann ich mir nicht denken, dass sie in Zukunft eine Möglichkeit haben könnten, einen Staat Kalifat einzurichten.
    Lückert: Sie haben jetzt über die Verantwortung des Westens, auch der Amerikaner gesprochen. Wie viel Verantwortung liegt denn auch bei den Menschen in dieser Region?
    Omar: Die Europäer und die Amerikaner machen einen groben Fehler und sie machen das leider immer, dass sie einer oder der anderen Gruppe militärisch unterstützen und helfen. Der Westen und Amerika wären eigentlich gut beraten, wenn sie an eine politische Lösung denken und von heute auf morgen sagen, keiner von den Staaten kriegt militärische Unterstützung, keine von den Gruppierungen.
    Lückert: Wir kennen ja den Kalifen mehr aus Tausend und einer Nacht. Er gilt ja dort eher als ein weltlicher Herrscher über Angehörige vieler verschiedener Religionen. Von diesem alten Selbstbild ist aber das Kalifat, von dem hier die Rede ist, weit entfernt, oder?
    Omar: Natürlich. Ich glaube, man darf nicht bei diesen Gruppierungen über Kalifat reden. Jeder kann sich so nennen, wie er sich nennen möchte. Heute sind sie im Vormarsch in einigen irakischen Städten. Sie sind eine Gefahr für die Bevölkerung, für die Menschen dort, und in der Art mit Gewalt am Anfang des 21. Jahrhunderts können sie keinen Staat bilden.
    Lückert: Der Kulturwissenschaftler Feryad Fazil Omar. - Der irakische Dschihadisten-Chef und selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Bagdadi forderte übrigens in einem ersten Videoauftritt den Gehorsam aller Muslime. Die Filmaufnahme, die heute in sozialen Internet-Netzwerken veröffentlicht wurde, zeigt den Chef der radikalsunnitischen Gruppe Islamischer Staat bei einer Predigt gestern in der nordirakischen Stadt Mossul.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.