Die Maschine geht nach Gatwick, einem der Flughäfen von London. Dort soll ich den Zug zum Bahnhof Victoria Station nehmen. Vereinbarter Treffpunkt: In der Bahnhofshalle vor einem Zeitschriftenstand, um halb zwei. Pünktlich stehe ich da, als Erkennungszeichen ein Mikrofon in der Hand – und warte.
Den Termin zu machen war nicht einfach: Kontaktaufnahme über Facebook, die Antworten kommen anonym: Ja, ein Interview sei möglich, ein gewisser Bob würde Rede und Antwort stehen. Allerdings lebe er in Indien und sei nur für kurze Zeit in Europa. Ob ich nach Tschechien kommen könne oder nach England? Nach einigem Hin und Her steht der Termin am Bahnhof Victoria Station in London. Allmählich werde ich nervös. Doch dann steht er plötzlich vor mir – ein Mann mit orangefarbener Outdoorjacke.
"My name is Bob William Greenyer. I am chief coordinator of the MFMP."
Bob Greenyer, 41 Jahre alt. Ingenieurstudium, danach Jobs bei Erdölunternehmen und Pharmakonzernen, schließlich in der Werbung. Heute hat der Brite eine Fünf-Mann-Agentur und programmiert in Indien Apps für Smartphones. Doch Bob hat Größeres vor, Weltbewegendes.
"Wenn es klappt, wird die gesamte Menschheit davon profitieren, und zwar für alle Ewigkeit."
Bob Greenyer will die Energiewirtschaft revolutionieren. Kohlekraftwerke, Atommeiler, Gasheizungen, Benzinmotoren, aber auch Windräder, Solarzellen, Batterien – alles überflüssig, alles hinfällig. Wenn, ja wenn die Technik, auf die Bob all seine Hoffnung setzt, funktioniert:
"Kann einer der Wissenschaftler zeigen, dass die Sache klappt, ist das ein Fünf-Billionen-Dollar-Geschäft."
New Fire, so heißt Bobs Zauberwort, das neue Feuer. Doch neu ist die Sache nicht wirklich. Eigentlich nur ein anderer Name für ein Phänomen, das heute vor 25 Jahren für mächtigen Wirbel sorgte – die kalte Kernfusion.
Aufsehenerregende Pressekonferenz
"Good afternoon. I’m Jim Brophy, I’m vice president for research at the University of Utah."
23. März 1989, Salt Lake City, USA.
"It is my pleasure to welcome all of you to the campus of the University of Utah to share with us this exciting scientific announcement."
Die Universität des Bundesstaats Utah zählt nicht gerade zu den Eliteunis der USA. Doch heute sind Dutzende Kamerateams und Journalisten nach Salt Lake City geströmt. Auf einer Pressekonferenz verspricht ihnen Jim Brophy, stellvertretender Forschungsdirektor, eine aufregende wissenschaftliche Entdeckung. Neben ihm auf dem Podium: zwei Chemiker, deren Namen bis dahin nur Fachleute kennen.
"Dr. Stan Pons, Professor of Chemistry at the University of Utah. And Professor Martin Fleischmann, Research Professor of Chemistry at the University of Southampton in England."
Erst eine Ansprache des Unipräsidenten, warme Worte über die unterschätzte Bedeutung der Hochschulen. Dann greift Stanley Pons zum Mikrofon, einer der beiden Chemiker – und lässt die Bombe platzen.
"Wir haben eine dauerhafte Fusionsreaktion hergestellt. Wir haben Deuterium, eine schwere Variante von Wasserstoff, in einen Metallstab aus Palladium geleitet. Dort sind die Deuteriumkerne zu einem größeren Atomkern verschmolzen, zu Helium. Und dabei wurde eine bemerkenswerte Menge an Energie frei – deutlich mehr Energie, als wir hineingesteckt hatten."
Die Reporter sind elektrisiert. An sich, so wissen sie, ist Kernfusion nur bei Extrembedingungen möglich, so sagen es jedenfalls die Lehrbücher der Physik. Nur wenn Druck und Temperatur unvorstellbar hoch sind, können Wasserstoffkerne die elektrische Abstoßung zwischen ihnen überwinden und zu Helium verschmelzen. Dann aber wird enorm viel Energie frei – Fusionsenergie, wie die Sonne sie liefert. Auf der Erde gelingt die Fusion bislang nur unkontrolliert, bei der Zündung einer Wasserstoffbombe. Pons und Fleischmann behaupten nun schier Unerhörtes: In ihrem Laborkeller in Utah wollen sie die kontrollierte Kernfusion geschafft haben – mit einem Aufbau, der aussieht wie ein Praktikumsversuch: Reagenzkolben, Metallelektroden, ein paar Stromkabel. Für die Reporter klingt die Erklärung von Martin Fleischmann durchaus plausibel:
"Leitet man das Deuterium in das Kristallgitter des Palladiums ein, werden die Deuteriumkerne dort so stark aneinander gepresst, dass die Bedingungen für eine Kernfusion erfüllt sind. Eine Fusion, die wir über Hunderte von Stunden aufrecht erhalten können, also mehrere Tage und Nächte lang."
Die Journalisten bombardieren die beiden mit Fragen: Wie wurde der Wärmeüberschuss gemessen? Wurden Neutronen nachgewiesen, radioaktive Kernteilchen, die bei der Fusion unweigerlich entstehen müssen? Auf alles wissen Pons und Fleischmann eine Antwort.
Stanley Pons: "Indem wir Strom und Spannung überwachen, können wir erfassen, wie viel Energie in die Apparatur hineingeht. Den Temperaturanstieg in der Zelle messen wir mit Thermometern. Der Wärmeüberschuss, den wir dabei festgestellt haben, kann nur durch Kernreaktionen zustande kommen. Und wir haben nachgewiesen, dass Neutronen entstanden sind."
Martin Fleischmann: "Es scheint so, als gebe es hier eine Möglichkeit, eine fortlaufende Fusionsreaktion mit einer relativ billigen Vorrichtung zu realisieren."
Pons: "Ich denke, in wenigen Jahren wird es möglich sein, eine voll funktionsfähige Einheit zu haben, die Strom erzeugt oder eine Turbine antreibt."
"If what is happening in these test tubes is indeed controlled nuclear fusion, than this laboratory may one day be known as the birth place of cheap, clean and abundant energy."
[Ian Hutchinson, CBS, 23.03.89]
In ihren Abendnachrichten vermelden die Fernsehsender die Sensation: Wenn die Sache stimmt, werde das Labor in Utah eines Tages als Geburtsort einer billigen, sauberen und unerschöpflichen Energie gelten. Sogar Edward Teller – der Vater der Wasserstoffbombe – gibt sich euphorisch:
"It appears that the reaction does go forward and there may be a real breakthrough."
Im Bahnhof ist es zu laut für ein Interview. Bob Greenyer, der Visionär in der orangefarbenen Outdoorjacke, will ein ruhigeres Plätzchen suchen.
In einer der Seitenstraßen werden wir fündig: ein kleines, etwas schmuddeliges Café, hinten in der Ecke sind ein paar Plätze frei. Greenyer ist etwas nervös, oft hat er noch nicht mit der Presse gesprochen.
"Martin Fleischmann war einer der größten Elektrochemiker der Welt, wenn nicht der größte."
Martin Fleischmann starb im August 2012. Doch sein Erbe lebt weiter – für Leute wie Bob Greenyer. Sein Aha-Erlebnis hatte er vor zwei Jahren, als er eine Konferenz in Korea besuchte. Das Thema der Tagung: die kalte Fusion.
"Ich wollte eigentlich ein zweites Kind, hatte aber Skrupel, es in eine Welt zu setzen, die ein derart massives Energieproblem hat. Doch nachdem ich diese Konferenz in Korea besucht hatte, wuchs in mir die Zuversicht, dass sich das Energieproblem schon lösen ließe. So zuversichtlich, dass meine Frau und ich bald schwanger wurden. Denn ich glaube, dass die Sache funktioniert – wenn vielleicht auch nicht morgen oder im nächsten Jahr."
Ohne Punkt und Komma erzählt Greenyer von seiner Vision. Von einer Welt ohne Ressourcenprobleme und ohne Klimakatastrophe. Einer Welt, in die man getrost Kinder setzen kann. Wäre da nicht ein Problem:
"Es braucht Investitionen, denn nach wie vor steht die Forschung an ihrem Anfang. Manche Leute behaupten zwar schon, sie hätten etwas fast bis zur Anwendungsreife entwickelt. Aber das Verständnis dieser Prozesse steckt noch in den Kinderschuhen. Die Weiterentwicklung dürfte noch viel Geld kosten."
Geld, das Bob Greenyer nun auftreiben will.
"It is sort of surprise to many people in the fusion community. And we wait with interest to hear the details of what’s been done."
[Ian Hutchinson, CBS, 23.03.89]
Fachwelt wird kalt erwischt
Die Fachwelt wird von der Ankündigung von Fleischmann und Pons kalt erwischt. Bis zum 23. März 1989, dem Tag der Pressekonferenz, ist klar: Atomkerne können nur unter extremen Bedingungen verschmelzen. Nur wenn sie sich so nahe kommen, dass sie die elektrische Abstoßung zwischen ihnen überwinden, kann die starke Kernkraft greifen und zwei Kerne zu einem größeren verkleben. Das, davon sind die Physiker schon damals überzeugt, lässt sich nur schaffen, wenn man Wasserstoffgas in riesigen Magnetkäfigen auf mehr als 100 Millionen Grad erhitzt. Oder wenn man extrem starke Laserstrahlen auf Kügelchen aus gefrorenem Wasserstoff feuert. Weder das eine noch das andere gelingt den Physikern des Jahres 1989 auch nur im Ansatz. Und dann kommen Fleischmann und Pons und behaupten, sie hätten die Fusion quasi im Reagenzglas geschafft, indem sie schweren Wasserstoff in Palladium-Metall leiteten.
"It was running counter the things that had been looked at for nearly half a century."
Frank Close, Professor für Theoretische Physik, Universität Oxford. Autor des Buches "Das heiße Rennen um die kalte Fusion".
"Das widersprach völlig dem Wissen, das wir seit einem halben Jahrhundert gesammelt hatten. Aber wir mussten die Möglichkeit berücksichtigen, dass diese Leute zufällig über etwas gestolpert waren, das wir bis dato in den Naturgesetzen übersehen hatten. Deshalb machten sich so viele Forscher auf, das Phänomen zu reproduzieren."
Hunderte Forscherteams überall auf der Welt, ob an Eliteunis oder in der Provinz – alle wollen das Experiment von Fleischmann und Pons nachvollziehen. Aber:
"The most frustrating part is not having enough details to replicate the experiment or trying to get the details out of newspaper. This is not usually the way we do science."
[Wolfgang Rückner, ABC, 21.04.89]
Vorerst verraten Fleischmann und Pons keine Details über ihren Versuchsaufbau. Auf eine Veröffentlichung – der übliche Kommunikationsweg in der Wissenschaft – wartet die Fachwelt lange Zeit vergebens. So muss sie sich mit dem begnügen, was an spärlichen Informationen in den Zeitungen steht.
Frank Close: "Der Versuchsaufbau schien so einfach, dass es nicht nur die etablierten Institute versuchten, sondern auch Amateurforscher in ihren Hobbykellern. Was dann grob gesagt passierte, war folgendes: Viele Amateure beobachteten irgendwelche Phänomene, die sie nicht so recht verstanden – und nahmen an, sie hätten die kalte Fusion reproduziert. Dass eine Zelle wie die von Fleischmann und Pons Energie zu erzeugen scheint, lässt sich relativ einfach erklären: Palladium hat die Eigenschaft, sein Kristallgitter zu verändern, wenn sich Wasserstoff in ihm einlagert. Bei diesem Prozess kann zwar durchaus Energie freiwerden. Mit Kernfusion aber hat das nichts zu tun. Deshalb bekamen alle großen Labors schon nach einigen Wochen heraus, dass an der Sache nichts dran war. Und sie konnten nachweisen, dass Fleischmann und Pons Fehler unterlaufen waren."
"At labs around the country, including many key government facilities, scientists now report they cannot reproduce the so called fusion in the jar."
[NBC]
Im Laufe der Monate wird immer klarer: Fleischmann und Pons haben schlampig gearbeitet – insbesondere an jenen Stellen des Experiments, die eher physikalischen Sachverstand verlangen als chemischen. So haben sie die Wärmeleistung, die ihre Apparatur angeblich erzeugt, einfach hochgerechnet und dabei nicht berücksichtigt, dass sich dabei zwangsläufig auch die Messfehler aufblähen. Hätten sie diese Messfehler korrekt hochgerechnet, hätten die Daten überhaupt nicht mehr bewiesen, dass die Zelle wirklich Wärme erzeugt. Geschlampt haben die Forscher auch bei der Energiebilanz, also ihren Berechnungen, wie viel Energie in die Zelle hineinfließt und wie viel herauskommt. Fleischmann und Pons ließen völlig unberücksichtigt, dass die Zelle mit der Atmosphäre in Kontakt stand und Energie mit ihr austauschen konnte. Noch schwerer wog ein weiteres Manko:
Frank Close: "Wenn Sie es schaffen, Atomkerne zu verschmelzen, produzieren Sie zwangsläufig auch Radioaktivität in Form von Neutronen und Gammastrahlung. Hätten Fleischmann und Pons tatsächlich die von ihnen behauptete Energiemenge erzeugt, hätte es in ihrem Labor so viel Strahlung geben müssen, dass sie die Experimente kaum überlebt hätten."
"Our analysis in the case is likely that many, many fewer neutrons were observed than claimed, if any at all. I think that their claim to achieve fusion is much weakened by the analysis of the data."
[Ron Parker, MIT Hot Fusion Group]
Als Forscher rund um den Globus den Versuch rekapitulieren, registrieren sie viel weniger Neutronen als behauptet – wenn überhaupt welche. Das wenige, was man misst, dürfte aus der kosmischen Strahlung stammen. Dennoch meinen Fleischmann und Pons, einen schlagenden Beweis für die Fusion im Reagenzglas zu liefern. Sie wollen sogenannte Gammastrahlung nachgewiesen haben, erzeugt durch ein bei der Fusion gebildetes Neutron.
Frank Close: "Was da geschah, war meiner Ansicht nach wissenschaftlicher Betrug. Hätten sie Fusionswärme erzeugt, hätten Gammastrahlen einer bestimmten Energie entstehen müssen. Aus irgendeinem Grund meinten Fleischmann und Pons, diese Energie müsse bei einem Wert von 2,5 liegen. Diesen Wert präsentierte Fleischmann dann auch vor einigen Kernphysikern – und bekam umgehend zu hören, dass ein Wert von 2,5 völlig irrelevant sei. Um ein Indiz für die Fusion zu liefern, müsse er bei 2,2 liegen. Umgehend griff Fleischmann zum Telefon und rief Pons an. 24 Stunden später kam ein Fax – und plötzlich lag der Wert nicht mehr bei 2,5, sondern bei 2,2 – und zwar ohne jegliche Erklärung."
Unterschlagene Messfehler, eine unstimmige Energiebilanz, keine Neutronen, nachträglich korrigierte Daten. Nach wenigen Monaten ist sich die Mehrzahl der Fachleute sicher: Die kalte Fusion gibt es nicht. Die vermeintliche Sensation, die sämtliche Energieprobleme der Menschheit lösen sollte – sie entpuppt sich als Sturm im Wasserglas.
"If I have to make a statement and say one way or the other, I would say no, that it hasn’t been achieved."
[Ronald Ballinger, NBC, 01.05.89]
In dem kleinen Café in London nimmt Bob Greenyer gerade einen Schluck aus seiner mittlerweile kalt gewordenen Tasse. Eine kurze Pause in seinem Redefluss, ich nutze sie, um eine Frage loszuwerden: Wo sie doch so revolutionär war – warum hat sich die Sache von Fleischmann und Pons dann nicht längst durchgesetzt?
"Nun, heute wissen wir, dass man aus den Nasszellen, mit denen sie damals gearbeitet hatten, nicht genug Energie herausholen kann, zumindest nicht auf kontrollierte Weise. Da kam weniger raus als aus einer normalen Wärmepumpe, das lohnt sich also schlicht nicht. Es müsste mehr sein, damit man es nutzen kann."
Doch Greenyer glaubt zu wissen, wie es funktionieren könnte: Keine batterieähnlichen Nasszellen mit Palladiumelektroden wie bei Fleischmann und Pons. Sondern trockene Zellen mit Nickel als Elektrodenmaterial, umströmt von Wasserstoff.
"Der Wasserstoff verschmilzt mit dem Nickel zu Kupfer. Zwar sagen viele Leute: Das geht nicht, das ist unmöglich. Es gibt aber Ergebnisse, die nahe legen, dass da irgendetwas vor sich geht. Was da genau passiert, interessiert mich gar nicht besonders. Mich interessiert bloß, ob da was passiert."
Low Energy Nuclear Reactions, auf deutsch Kernreaktionen bei niedriger Energie, so nennt sich das Gebiet der kalten Fusion heute. Seriöse Physiker halten nichts davon. Doch Bob Greenyer will es weiter vorantreiben, gemeinsam mit einer Handvoll Gesinnungsgenossen.
"Um die Forschung zu beschleunigen, wollen wir das Internet nutzen. Wir wollen ein Experiment quasi online machen – vom Bau der Apparatur bis zu den Versuchen. An jeder Stelle des Prozesses können sich online Leute einbringen, Kritik formulieren, Verbesserungsvorschläge machen. Dadurch hoffen wir, überflüssige Fehler zu vermeiden. Im Internet wollen wir auch die Ergebnisse veröffentlichen, und zwar sämtliche Rohdaten. Dann kann uns niemand vorwerfen, wir würden nur die Rosinen aus den Messdaten herauspicken."
"Martin Fleischmann Memorial Project", so heißt das Unterfangen. Am liebsten würden Greenyer und Co. gleich mehrere Experimente machen lassen, an unterschiedlichen Stellen der Welt. Doch das kostet Geld, viel Geld: 500.000 Dollar sollen zusammenkommen – und zwar durch Crowdfunding, durch Geldspenden im Internet.
Märchenhafte Entdeckung als Schwindel entlarvt
"Das war natürlich eine aufregende Geschichte. Alle Energieprobleme, die die Menschheit für absehbare Zeit gehabt hätten, wären auf einen Schlag lösbar gewesen."
Klaus Fischer, Professor für Wissenschaftstheorie, Universität Trier.
"Es klang wie ein Märchen. Und es endete leider auch wie ein Märchen. Kaum einer glaubt noch dran."
Doch warum konnte die Affäre damals so große Kreise ziehen, konnte die Welt der Wissenschaft für Monate in Atem halten? Die Gründe sind vielfältig, teils schillernd – und liegen nicht nur im teilweise kruden Verhalten zweier Chemiker, die offenbar besessen waren von panischer Angst, jemand könnte ihnen die Erfindung des Jahrhunderts stehlen. Auch Teile des Wissenschaftsbetriebs spielen eine unrühmliche Rolle: Universitäten, die das ganz große Geschäft wittern. Und Forscher, die sich neuen Glanz für ihre Disziplin versprechen. Fleischmann und Pons jedenfalls behalten zentrale Informationen für sich, als sie ihre Ergebnisse vor 25 Jahren vorstellen:
"Vom Standpunkt der Wissenschaft wären sie eigentlich bemüßigt gewesen, den Kollegen die Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchten, um ihre Behauptungen zu überprüfen. Das haben sie nicht in der erforderlichen Weise getan."
Der Grund für die Hektik: Fleischmann und Pons treibt die Angst, eine konkurrierende Forschergruppe, ebenfalls aus Utah, könnte ihnen die Entdeckung vor der Nase wegschnappen. Deshalb gehen sie in die Offensive, geben am 23. März die Pressekonferenz und informieren zeitgleich "Wall Street Journal" und "Financial Times".
"Sie mussten gewissermaßen mit halbfertigen Ergebnissen an den Start gehen, das war eine sehr unglückliche Konstellation."
Erst zweieinhalb Wochen später erscheint in einem kleinen Fachjournal ein wissenschaftlicher Aufsatz. Doch bald stellt sich heraus, dass er zum Teil haarsträubende Fehler enthält, Fleischmann und Pons müssen sie in einem Erratum berichtigen. Ein weiteres Manko, so Klaus Fischer:
"Es gab Publikationen in Fachzeitschriften, die allerdings allesamt daran krankten, dass nicht alle Details der Experimente auf den Tisch gelegt wurden, um die Patente nicht zu gefährden."
Hätten sich Fleischmann und Pons an die wissenschaftlichen Gepflogenheiten gehalten und ihr Experiment ausführlich beschrieben, hätten es andere Labors systematischer prüfen und schneller widerlegen können. Vielleicht hätte die Amerikanische Chemische Gesellschaft dann auch darauf verzichtet, Stanley Pons als Hauptredner auf ihren Jahreskongress am 12. April einzuladen. Angekündigt wird der neue Star von Chemiker-Präsident Clayton Callis mit erkennbarer Schadenfreude: Offenbar seien die Fusionsmaschinen der Physiker zu teuer und zu ineffizient für die Energieerzeugung. Nun aber kämen ihnen die Chemiker zur Hilfe.
"The large complicated machines that are involved appear to be too expensive and too inefficient to lead to practical power. Now it appears that chemists may have come to the rescue."
Klaus Fischer: "Betrachten Sie den Bereich der Fusionsforschung. Da waren bis 1989 einige Milliarden Dollar hineingeflossen, ohne dass dabei greifbare Ergebnisse herauskamen. Wer bekam diese ganzen Gelder für die Fusionsforschung? Natürlich die Physiker und die Ingenieure, die daran beteiligt waren. Und nun war das Fach Chemie in der Lage sagen zu können: Wir haben aus eigener Kraft, aus unserem Ideenfundus heraus, eine Lösung für die Energieprobleme gefunden, und zwar eine viel preiswertere, als Ihr sie uns anbieten könnt! Das wäre ein großes Plus für das Ansehen der Chemie gewesen. Und deswegen diese Ovationen für Fleischmann und Pons auf diesem Chemikerkongress."
Die Chemiker müssen bald einsehen, dass es nichts wird mit dem Triumph über die Physik. Fleischmann und Pons aber wollen die ausbleibende Bestätigung nicht wahrhaben, reagieren dünnhäutig.
Fischer: "Der Punkt ist, dass sie versucht haben, Kollegen einzuschüchtern, die ihnen zu nahe auf die Pelle gerückt sind. Da kam dann plötzlich die Antwort eines Anwalts, der ihnen eine Klage androhte, wenn sie gewisse Behauptungen öffentlich wiederholen würden. Das tut man eigentlich unter Wissenschaftlern normalerweise nicht."
Die Universität von Utah unterstützt die beiden Chemiker in ihren juristischen Winkelzügen. Und zwar aus handfestem Grund:
"Die University of Utah hatte um den 23. März 1989 eine ganze Reihe von Patenten eingereicht. Die Autoren Fleischmann und Pons ebenso. Auch das Institut für Chemie war dabei. Der Profit sollte durch drei geteilt werden."
Beispiel für wissenschaftsfremden Einfluß
Die Uni hätte sich auf Jahrzehnte saniert, Fleischmann und Pons hätten Millionen gescheffelt, wenn nicht Milliarden. Grund genug für die Chemiker und auch die Uni-Manager, unter höchster Anspannung und Nervosität zu agieren – und dabei die Regeln der Wissenschaft zusehends aus den Augen zu verlieren. Ein Paradebeispiel für faule Forschung, für pathologische Wissenschaft, meint Klaus Fischer.
"Es zeigt die Anfälligkeit des Systems Wissenschaft für Einflüsse aus dem Bereich der Ökonomie. Diese Tendenzen sind leider nicht weniger geworden, die sehen wir heute eher verstärkt. Schauen Sie auf die Skandale, die mit Medikamenten in Verbindung gebracht werden. Da haben Sie auch diese Verwicklung zwischen ökonomischen Interessen. Da gibt es auch diese Verbandelungen von Forschungsinstitutionen und pharmazeutischen Konzernen."
Im Café in London will ich von Bob Greenyer wissen, wie viel Geld denn schon im Internet gespendet wurde für das Martin Fleischmann Memorial Project. Sind die angepeilten 500.000 Dollar erreicht?
"Seit das Projekt vor 16 Monaten begann, haben wir 20.000 Dollar eingenommen. Ausgegeben haben wir deutlich mehr."
Trotz der Finanznot – das erste Experiment werde bald an den Start gehen, verspricht Greenyer. Ihn scheint es nicht weiter zu stören, aus eigener Tasche draufzahlen zu müssen. Schließlich geht es um etwas Großes, Weltbewegendes – the new fire, das neue Feuer.
"Wenn das klappt, werden Sie hier in London Bananen und Ananas anbauen können. So billig werden Strom und Wärme sein. Die Herstellung von Beton, heute einer der schlimmsten Energiefresser, wird praktisch ohne Ausstoß von Treibhausgasen möglich sein. Oder stellen Sie sich einen Automotor vor, den sie nur alle sechs Monate auftanken müssen!"
Klaus Fischer: "Fleischmann und Pons haben ihre Karriere ruiniert. Die University of Utah hat sie letzten Endes entlassen. Sie gingen dann nach Frankreich und wurden von einem privaten Institut weiterbeschäftigt."
Ein Institut, das seine Aktivitäten 1998 aus Mangel an Erfolg einstellte. Die Macher der University of Utah hingegen kamen weitgehend ungeschoren davon. Sie konnten sich hinter dem Argument verstecken, von Fleischmann und Pons getäuscht worden zu sein. Totzukriegen aber ist die kalte Fusion nicht. Jenseits der seriösen Forschung hat sich eine Grauzone des Halbwissens etabliert, besiedelt von Außenseitern, Scharlatanen und Idealisten. Eine in sich geschlossene Szene mit ihren eigenen Konferenzen und Fachblättern, ohne Bezug zum Rest der wissenschaftlichen Welt, sagt Oxford-Physiker Frank Close.
"Die Leute, die weiter von diesem Phänomen überzeugt sind, sagen immer: Gebt uns nur noch ein wenig Zeit, im nächsten Monat haben wir den Beweis. Aus dem einen Monat wird dann ein Jahr, und aus dem einen Jahr sind mittlerweile 25 geworden, und der Beweis steht immer noch aus. Doch das sollte nun wirklich lange genug sein um sagen zu können: Kalte Fusion gibt es nicht!"