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Kambodscha
Angkor Wat droht der Zerfall

Kambodschas berühmte Tempelanlage Angkor Wat ist in Gefahr. Das größte religiöse Bauwerk der Welt aus dem 13. Jahrhundert muss sich gegen viele Feinde wehren: gegen den Strom der Touristen, gegen stümperhafte Restaurierungsarbeiten - und gegen das Klima.

Von Margarete Blümel |
    Ein Regenbogen scheint am 05.09.2004 über dem Tempelbezirk Angkor Wat bei Siam Reap (Kambodscha) auf. Angkor Wat, erbaut im 12. Jahrhundert, gilt als das Meisterwerk der klassischen Khmer Architektur.
    Regenbogen über dem Angkor Wat (picture-alliance / dpa/dpaweb /epa Barbara Walton)
    Frühmorgens, wenn die Sonne ihren ersten Blick auf Angkor wirft, haben die meisten Mönche ihre Schlafmatten bereits aufgerollt. In lange, farbige Baumwolltücher gehüllte Frauen übergeben den barfuß umherlaufenden, kahl geschorenen Tempeljungen ihre Spenden für die Mönche. Tempelglocken ertönen, um die Götter aus dem Schlaf zu wecken.
    "Angkor Wat symbolisiert den Geist, der dieses Land beseelt. Und nicht zuletzt sind das die Religionen, die dem Ganzen innewohnen. Es ist sehr wichtig zu wissen, dass die Tempel Angkors im religiösen Leben noch immer eine große Rolle spielen", sagt der Tempel-Restaurator Simon Warrack.
    Während im Hauptbezirk die ersten Touristen aus Kleinbussen und Taxen steigen, Rucksäcke an den Gesichtern und Brüsten der Nymphenreliefs vorbeischrammen und japanische, englische, indische Namen in den bröselnden Sandstein gekritzelt werden, ist es an den im Dschungel, außerhalb der Hauptanlage gelegenen Tempeln, um diese Zeit noch still.
    Hier haben meterhohe, weitausladende Würgefeigen ihr Wurzelwerk im Boden versenkt. Die Bäume haben teilweise die Dächer der Gebäude weggebrochen und sind bis ins Innere der Tempelgebäude vorgedrungen.
    Angkor Wat ist die Seele Kambodschas
    Angkor Wat ist das bedeutendste Heiligtum Asiens und gilt als nationales Symbol des kambodschanischen Volkes. Die antike Tempelstadt weist auf einer Fläche von 350 Quadratkilometern mehr als tausend Heiligtümer auf.
    Der Historiker Yi Thon: "Vom achten bis ins fünfzehnte Jahrhundert hinein galt Kambodscha in ganz Südostasien als Zentrum der Kultur und des Lernens. Studenten und Wissensdurstige aus Indien, Indonesien, China, Birma oder aus Sri Lanka - alle kamen nach Kambodscha, um am Wissen teilzuhaben. Angkor war damals der Ort, an dem die Kenntnisse und die Gelehrsamkeit Chinas, Indiens und Indonesiens - also des Ostens, des Westens und des Südens - zusammenkamen."
    Heute dagegen sind die Tempel in erster Linie das Reisehighlight Kambodschas. Mehr als drei Millionen Besucher kommen jedes Jahr nach Angkor Wat. Das größte religiöse Bauwerk der Welt muss sich inzwischen gegen viele Feinde wehren - gegen den Strom der Touristen, der tagaus, tagein wie eine Dampfwalze über Angkor Wat niedergeht. Gegen die zum Teil falsch ausgeführten Restaurierungsarbeiten, im Zuge derer Moosbefall und Verschmutzungen der fein ziselierten Statuen und Reliefs mit Drahtbürsten bearbeitet wurden. Und gegen das Klima - gegen die Feuchtigkeit, den Regen und die unbarmherzige Sonne.
    Die Mitarbeiter diverser internationaler Hilfsprojekte versuchen, den Schaden zu begrenzen und vor allem die vom Verfall bedrohten Reliefs zu konservieren. Dies geschieht in mühseliger Kleinarbeit und stets unter der Maxime, dabei das religiöse Leben in den Tempeln nicht allzu sehr zu behindern. Traditionen, die zwischen dem achten und dem vierzehnten Jahrhundert ihren Ursprung nahmen - der kulturellen und religiösen Blütezeit Angkors.
    Der Anthropologe Aung Choulean: "Ein herausragendes Beispiel für die hier wie eh und je vollführten religiösen Traditionen ist das Totenritual. Sowohl in Angkor selbst als auch in der benachbarten Stadt Siem Reap bezieht sich das Sterberitual direkt auf unsere brahmanistisch-hinduistische Vergangenheit. Es herrscht die gleiche Philosophie vor, derselbe Überbau, der zum Beispiel vorgibt, dass die Toten, um ins Götterreich zu gelangen, in einem Verbrennungspavillon aufgebahrt werden müssen, dessen Form dem Berg Meru aus der indischen Mythologie nachempfunden ist. Jedes Detail, das Sie hier beobachten können, ist auf die Tradition aus der Angkor-Periode zurückzuführen."
    Weltkulturerbe mit religiöser Bedeutung
    1432 wurde die antike Tempelstadt von den Königen der Khmer aufgegeben. Die bis ins Detail geometrisch angelegte Anlage mit ihrem Tempelberg und den fünf Türmen gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. An den Innen- und den Außenwänden des Komplexes finden sich Reliefs mit an die 2000 sogenannten Apsaras, den "himmlischen Tänzerinnen".
    Angkor Wat ist ein Spiegel für die buddhistischen und die hinduistischen Einflüsse, die Kambodschas religiöses Leben über die Jahrhunderte hinweg geprägt haben.
    Der Archäologe Roland Fletcher: "Angkor ist die Seele Kambodschas. Zum einen seiner religiösen Bedeutung wegen, zum anderen, weil es sich hier zudem um die - vor Beginn der Industrialisierung - größte Ansiedlung dieser Welt handelt. Das, was die Khmer damals geschaffen haben, ist weit größer, als wir lange Zeit gedacht haben. Schließlich umfasst Angkor neben seinen bemerkenswerten Gebäuden und den ausgesucht schönen Tempeln eine außergewöhnliche städtische Welt mit einem Netzwerk von Kanälen - Wasserwegen von einer Länge bis zu vierzig Kilometern! Alles in allem eine großartige Leistung!"
    Der Anthropologe Aung Choulean bestätigt diese Ansicht:
    "Dass Kambodscha sich im neunten Jahrhundert unter den von Indien beeinflussten Nationen erheben konnte, liegt darin begründet, dass man ebendieses planvolle, ungemein effiziente Bewässerungssystem erfand. Doch was zunächst den Aufstieg der Nation bewirkte, brachte sie am Ende auch zu Fall. Und zu solchen Höhen wie in ebendieser Zeit wird sich Kambodscha niemals wieder aufschwingen."
    Wo die Vergangenheit noch spürbar ist
    Bis heute leben die Menschen in der Umgebung Angkors in den aus Stroh und Bambus gefertigten Pfahlbauten, die auf vielen Tempelreliefs erkennbar sind. Ebenso, wie die Frauen den Reisanbau nach wie vor wie zuzeiten Angkors praktizieren.
    Es sei sehr deutlich, sagt Roland Flechter, wie stark die Vergangenheit in dieser Landschaft noch bis in die Gegenwart wirke:
    "Sobald Sie Siem Reap, die in der Nähe Angkors liegende Stadt, einmal hinter sich gelassen haben, werden Sie sehen, dass nicht nur die Mönche in solchen Häusern wohnen, wie sie auf den Darstellungen von Angkor abgebildet sind. Auch die hier lebenden Khmer halten die gleichen Tiere wie damals, also Schweine, Wasserbüffel, Rinder ... Und sie fahren mit den gleichen Ochsenkarren über die Straßen wie sie auf den Reliefs des aus dem zwölften Jahrhundert stammenden Bayon-Tempels zu finden sind!"
    Kurz bevor die Nacht sich über die Pagoden und die Tempel Angkors senkt, finden sich die hier lebenden alten Frauen zum letzten Mal des Tages zum Lobgesang Buddhas zusammen. Zuvor haben sie die Statuen der Tempelanlage mit frischen Blütengirlanden behängt und Schalen mit Reiskörnern, Obst und Süßigkeiten auf dem zentral gelegenen Altar drapiert. Sie haben die Böden gefegt, die Bettelschalen für den morgendlichen Sammelgang der Mönche bereitgestellt und die Schlafmatten der Mönche und Novizen ausgelegt. Novizen und Mönche, die nun längst über dem Studium der Pali-Texte in ihren Händen eingeschlafen sind.
    Doch wie lange lässt sich diese dem Kulturdenkmal angemessene Atmosphäre noch bewahren? Angesichts des Ansturms der Besucher, der deutlich seine Spuren hinterlässt, müsse die Regierung des Landes im Verein mit der UNESCO endlich handeln, meint Roland Fletcher.
    "Den Erwägungen der UNESCO müssen endlich auch die Taten folgen: Angkor muss wieder zu einer geschützten, heiligen Stätte erklärt werden. Die Tempel sollten wieder ihren Status als Heiligtümer zuerkannt bekommen. Dazu bedarf es zum Beispiel einer Unterweisung derer, die diese heiligen Stätten aufsuchen. Die Besucher müssen lernen, sich in Angkor ebenso zu benehmen, wie es von ihnen in einer Moschee in der islamischen Welt oder in einer europäischen Kathedrale erwartet wird. In meinen Augen ist dies eine Maßnahme, die definitiv Priorität hat!"