Am 17. April 1975 marschieren die Roten Khmer in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh ein, ihr Sieg über den US-freundlichen Diktator Lon Nol ist damit perfekt – und für Kambodscha und die Khmer beginnt eine lange, unvorstellbare Leidenszeit.
Wir folgen der Revolution, singen die meist sehr jungen Roten Khmer. Innerhalb von nur zwei Tagen zwingen die Roten Khmer alle zwei Millionen Einwohner Phnom Penhs, ihre Häuser zu verlassen und zur Feldarbeit aufs Land zu ziehen. Intellektuelle werden sofort erschossen oder erschlagen – und intellektuell ist man schon, wenn man eine Brille trägt – andere sterben später auf den Feldern, entkräftet, verhungert, am Straßenrand liegengelassen.
1,7 Millionen Tote werden zu beklagen sein, knapp drei Jahre später, wenn im Januar 1978 das Schreckensregime des Rote Khmer Bruders Nummer 1 Pol Pot von der vietnamesischen Armee beendet wird. Ein Horror, der kaum aufzuarbeiten ist. Das Rote Khmer Tribunal versucht allerdings genau das seit Jahren, mit einem Verfahren gegen die letzten noch lebenden Führungsfiguren der Roten Khmer, inzwischen nur noch Khieun Sampan, der damalige Staatspräsident und Nuon Cheo, der sogenannte Chefideologe.
Nuon Chea, 88 Jahre alt, nutzt die Verhandlungstage als Plattform. Er habe von den Massenmorden nichts gewusst, beteuert der greise Mann, der manchmal wie verschmitzt grinst, er habe immer nur das Beste gewollt und nie einen Auftrag zum Töten erteilt.
Um überhaupt Urteile sprechen zu können, geht das Tribunal kleinteilig vor. Im vergangenen Jahr wurde der Prozessteil mit zweimal lebenslänglich abgeschlossen, der sich ausschließlich mit der Gewalt während des Einmarsches der Roten Khmer in Phnom Penh befasst. Chum Mei ist einer der wenigen Überlebenden des Foltergefängnisses S 21 in Phnom Penh:
"Ich bin glücklich über die Entscheidung des Gerichtes, das ist genau das, was ich wollte und auch erwartet habe."
Tib Somaun hat fünf Familienmitglieder verloren, in der Zeit des Pol Pot-Regimes, sie ist und bleibt wütend:
"Ich bin wirklich enttäuscht, wenn ich höre, dass sich Nuon Chea nicht zu seinen Taten bekennt, nicht zu dem, was er dem kambodschanischen Volk angetan hat."
Entschuldigungen sind nicht mehr zu erwarten, eine wirkliche Aufarbeitung fällt schwer, ein Großteil der Khmer interessiert sich kaum für die Geschichte des Landes, viele kennen diese Zeit nur aus Erzählungen. Ban Vicheaka beispielsweise:
"Ich bin 1984 geboren, ich konnte nicht verstehen, wie dieser Genozid stattgefunden haben soll, das war unglaublich für mich."
Zuhause saß die inzwischen 31-jährige mit ihrem Vater am Küchentisch, während der manchmal versuchte, von früher zu erzählen. Ban Sombo:
"Ich habe meinen Kindern von dieser Zeit berichtet, aber sie wollten nicht glauben, dass wir nichts zu essen und nichts anzuziehen hatten, dass wir jeden Weg, auch hundert Kilometer, zu Fuß zurücklegen mussten."
Das Trauma bleibt
Das Trauma bleibt. Das Tribunal verschlingt weit mehr als einhundert Millionen Dollar, aber der kambodschanischen Gesellschaft hilft das wenig, die meisten Khmer nehmen den Prozess nicht wahr, wissen kaum, dass er stattfindet, kämpfen ums tägliche Überleben, in Familien, die noch immer darunter leiden, dass die Roten Khmer damals alle Strukturen zerstörten, dass es statt der Eltern nur noch Angkar, die Organisation gab, dass Kinder ihre Eltern anschwärzten und damit zum Tode verurteilten.
Youk Chang vom Dokumentationscenter für kambodschanische Geschichte verteidigt trotzdem das Tribunal:
"Auch wenn nur zwei Angeklagte übrig geblieben sind, der Prozess ist wichtig für uns. Millionen Kambodschaner haben trotz aller Armut und trotz schwieriger Lebensumstände so viel Arbeit in diesen Prozess gesteckt, weil alle mindestens ein Familienmitglied in der Rote Khmer Zeit verloren haben."
Aber es gibt auch noch die andere Seite, die ehemaligen Roten Khmer, die so ehemalig gar nicht sind. Ven Dara beispielsweise lebt in Pailin, einer Kleinstadt, die bis heute eine Hochburg der letzten Roten Khmer geblieben ist:
"Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen, aber ich weiß, das die Roten Khmer keine Mörder waren. In die Massenmorde waren vor allem Vietnamesen verwickelt. Mein Mann wurde damals von den Vietnamesen geköpft und dann in einen Baum gehängt."
Hun Sen, seit fast dreißig Jahren autokratisch regierender Premier Kambodschas und derzeit wohl Kambodschas größtes Problem, ist ebenfalls eng mit der Rote Khmer Zeit verbunden. Auch er war junger Khmer Rouge-Kämpfer, wechselte dann aber 1977 die Seiten, floh nach Vietnam und kehrte mit der vietnamesischen Armee zurück. Manchen gilt er daher als Befreier, der sich früh genug von Pol Pot und seinen Schergen lossagte. Für viele andere ist er mittlerweile nur noch ein Wahlbetrüger. Wahlen im Sommer 2013 waren für ihn nur noch mittels Phantomstimmen zu gewinnen – nach lang anhaltenden gewalttätigen Demonstrationen vor allem in Phnom Penh ist inzwischen Ruhe eingekehrt - einen gesellschaftlichen Konsens gibt es jedoch weiterhin nicht in Kambodscha, vierzig Jahre nach dem Einmarsch der Roten Khmer.
Hor Kimsay ist 25 und Reporter in Phnom Penh:
"Die meisten Regierungsvertreter vergleichen Kambodschas Entwicklungsstand mit früher. Natürlich ist es besser geworden. Aber wenn ich Kambodscha mit anderen Ländern vergleiche, dann sieht es schlecht aus. Wir junge Leute schauen nach vorne, wir wollen mehr und bessere Jobs beispielsweise."
Es sind die jungen Leute, die die Rote Khmer Zeit wenn überhaupt nur aus Büchern kennen, die nach Vietnam oder Thailand schauen und ihr Kambodscha als weit unterlegen wahrnehmen.