Eines möchte Kamel Daoud gleich klarstellen: Dass er nicht persönlich nach Köln gekommen ist, liege nicht daran, dass er sich nicht mehr in die Öffentlichkeit traut:
"Ich möchte mich für diese Skype-Konferenz entschuldigen, denn sie vermittelt einen falschen Eindruck. Als wäre ich ein Dissident, der sich verstecken muss. Das erinnert ein bisschen an den Kalten Krieg. Aber das stimmt nicht. Das ist ein ganz normales Gespräch. Es gibt keine Kölner Mauer. Ich hoffe, es wird sie niemals geben."
Trotzdem wiederholt Daoud an diesem Abend nicht eins zu eins die Thesen seines umstrittenen Essays. In den Ländern Allahs herrsche ein krankes Verhältnis zur Frau und zum Begehren, das hatte er darin geschrieben. Auf der Lit.Cologne relativiert Daoud ein wenig, indem er nicht nur Islamisten, sondern allen religiösen Fundamentalisten ein solch gestörtes Verhältnis zur Frau vorwirft:
"Ich habe verstanden, dass der Fundamentalismus eine universelle Krankheit ist, die verschiedene Formen annimmt. Es gibt den jüdischen ultraorthodoxen Fundamentalisten, es gibt den islamistischen Fundamentalisten, es gibt den katholischen Fundamentalisten et cetera. Aber paradoxerweise finden sich bei allen die gleichen Symptome: Sie haben ein krankes Verhältnis zum Begehren, sie haben ein krankes Verhältnis zum Körper, sie haben ein krankes Verhältnis zur Frau, sie haben ein krankes Verhältnis zur Gegenwart."
"Sie wollen das Leben töten, also töten sie die Frau"
Der religiöse Fundamentalist, sagt Daoud, lebt für den Tod und für das Leben danach, die Frau aber steht für das Leben im Hier und Jetzt. Sie zu missachten, sei da die logische Konsequenz:
"Sie wollen das Leben töten, also töten sie die Frau. Sie verschleiern sie, sie verstecken sie, sie ignorieren sie, sie steinigen sie. Das ist die Verbindung, die ich zwischen dem Terrorismus und der Situation der Frau gefunden habe. Wenn ein Mann geliebt wird, wenn er selbst liebt, wenn er die Möglichkeit hat, jemanden in den Arm zu nehmen, glauben Sie, dass er sich dann in die Luft sprengen wird? Nein!"
Kamel Daoud spricht an diesem Abend über religiöse Fundamentalisten und islamistische Terroristen - den Bogen zurück zur Kölner Silvesternacht, den schlägt er diesmal nicht.
Vielleicht auch, um nicht erneut zur Zielscheibe seiner Kritiker zu werden: Sie hatten Daoud vorgeworfen, nicht zu differenzieren zwischen gläubigen Muslimen einerseits und Fundamentalisten andererseits. Indem er die Vorfälle der Silvesternacht religiös und kulturell begründet, schere er Millionen von arabischen Männern über einen Kamm und schüre damit die islamophobe Stimmung im Westen.
"Ich habe verstanden, dass ich zwischen zwei Fronten eingeklemmt bin"
Dass die Reaktionen auf seinen Essay so heftig waren, hat ihn überrascht, sagt Daoud. Er stellt aber auch klar, dass es nicht allein diese Reaktionen waren, die ihn dazu gebracht haben, sich aus dem Journalismus zurückzuziehen. Er habe schon länger über eine Pause nachgedacht. Die heftige Kritik an seinen Äußerungen zur Kölner Silvesternacht - das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe:
"Ich habe verstanden, dass ich zwischen zwei Fronten eingeklemmt bin. Egal was ich jetzt noch sage, die Auseinandersetzung darüber wird schwierig werden und sie wird mich viel Zeit kosten, dabei habe ich auch noch andere Projekte. Deshalb habe ich entschieden, mich zurückzuziehen, mich auszuruhen. Aber es fällt mir nicht leicht, mit dem Journalismus aufzuhören. Der Journalismus ist für mich wie eine Droge. Wenn ich jetzt morgens aufstehe, und ich keine Kolumne zu schreiben habe, dann ist das ein bisschen so, als hätte ich keinen Boden mehr unter den Füßen. Ich werde ein paar Monate Pause machen und ich denke, dann werde ich wieder anfangen, Kolumnen zu schreiben. Nicht weil ich es will, sondern einfach weil ich nicht aufhören kann. Das ist das Problem."
Das klingt wie der Rückzug vom Rückzug vom Journalismus. Kamel Daoud hat uns noch etwas sagen.