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Kamerun
Ganz Afrika in einem Land

Kamerun hat eine 400 Kilometer lange Küste, ist sehr hügelig, sehr grün und von seiner Fläche her ein bisschen größer als Kalifornien. Rund 20 Millionen Menschen wohnen dort in einem englischen und französischen Teil. Die Regionen sind entsprechend sehr unterschiedlich.

Von Ann-Kathrin Stracke |
    "Der Bunker bedeutet für mich Leben, Freude, Vergnügen."
    Sagt Kofi, ein junger Kameruner aus Yaoundé, der Hauptstadt des Landes in Zentralafrika. Es ist Abend und er sitzt im Bunker, einem der angesagtesten Restaurants der Stadt - bekannt für den besten Fisch. Es liegt direkt am Kreisverkehr Lonkak im Diplomatenviertel Bastos. Vor dem Restaurant stehen einige Geländewagen und Motorräder der Gäste. Im Schatten der Laternen huschen Straßenverkäufer zwischen den Autos hin und her. Sie bieten den Vorbeischlendernden Erdnüsse in alten Whiskey-Flaschen an.
    Kofi beobachtet die vorbeifahrenden Autos, aber vor allem die tonnenschweren Tropenholz-Laster, die sich behäbig durch den Kreisel schieben. Bis vor ein paar Minuten mussten sie an der Stadtgrenze ausharren. Erst ab 22 Uhr dürfen sie durch Yaoundé fahren – tagsüber wäre das unmöglich: Der Verkehr ist zu dicht und viel zu chaotisch.
    Kofi ist gern an diesem Ort. Immer, wenn er es sich leisten kann, isst er Fisch und trinkt Bier. Kalt oder warm. Beides geht und wird gleichviel nachgefragt. Streng genommen ist das Bier eine eigene Religion in Kamerun, frotzeln die Kameruner selbst. Hat man sein Bier gefunden ist man entweder in der "Gruppe treinte trois" oder "Gruppe Castell", so heißen zwei der meist getrunkenen Biermarken Kameruns. Bier verbindet - in Bars oder am Straßenrand – oft nippen die Kameruner einfach nur stundenlang an ihrem Bier. Sie schlagen Zeit tot, in einem Land, in dem sich viele junge Menschen, einfach nur durchschlagen. Und das, obwohl sie gut ausgebildet sind.
    Jeder versucht, sich irgendwo in Yaoundé etwas dazu zu verdienen oder überhaupt zu überleben. Einigen bleibt nur der Straßenhandel. An vielen Ecken in der kamerunischen Hauptstadt stehen junge Händler - verkaufen Möbel, Taschentücher oder Hundewelpen.
    "Da ist der Schuhverkäufer, der den Schuh auf dem Kopf trägt, der Mann vor mir trägt einen Regenschirm über sich, wo so weiße Zettel, ich glaube, sie sind laminiert oder abgeklebt, wo man seine Telefonkarten aufladen kann. Das Beste sind die Gemischtwarenläden – einer, der hatte einen riesigen Eimer auf dem Kopf, wo mindestens noch 10 andere Eimer drin stehen, Siebe dran hängen. Auf dem Rücken trägt er meistens einen Korb, in dem er auch noch was drin hat. Es ist einfach eine ganz, ganz bunte Mischung von irgendwas."
    Yaoundé ist laut, wuselig und dreckig. Wie große Klötze stehen viele Häuser dicht gedrängt nebeneinander. Sie sind grau oder braun, häufig hängen Werbebanner an den Fassaden. Alte Gebäude gibt es nur wenige. Aber irgendwie ist diese Stadt auf ihre Art charmant, pulsierend und voller Musik.
    Meistens leiert sie aus alten, halb-kaputten Lautsprechern, die am Straßenrand stehen oder in einem der vollgestopften Shops, unter den eng aneinander gereihten Werbebannern. Es ist eine Mischung aus europäischer, amerikanischer und kamerunischer Popmusik.
    Musik ist in diesem Land sehr wichtig. Denn gute Musik im Radio gibt es hier eher selten. Deswegen laufen auch überall fliegende Händler herum, die aus ihren Bauchläden flink die aktuellsten CDs zaubern. Selbst gebrannt – mit kopiertem Cover.
    "Lady Gaga" geht sehr gut, gefragt sind auch die Alben von "Accent grave", einer der kamerunischen Top-Bands. Reezbo war ihr Frontman, bis vor zwei Jahren. Seit ein paar Wochen arbeitet er im Studio an seinem ersten Solo-Album. Das Studio liegt im Vorort von Yaounde - quadratisch, eng und schummrig ist es. Eine schmale Buckelpiste führt von der Hauptstraße zu dem kleinen mit Eierpappen gedämmten Verschlag. Draußen laufen Hühner herum, Kinder spielen Fangen.
    Junge Männer lehnen in der Abendsonne an der Hauswand, Freunde von Reezbo. Die anderen tüfteln schon an einem alten Computer mit einem gratis Schnittprogramm an dem perfekten Musikbett für den Song Makanéné.
    Reezbo begrüßt alle mit einer bestimmten Geste – erst berührt er mit seiner rechten Faust die Fingerknochen des anderen, dann schnipsen sie gegenseitig mit den Fingern und geben sich zum Schluss die Hand. Kaum betritt er das Studio, ist er nicht mehr ansprechbar. Er zappelt, springt alle paar Minuten von seinem Hocker auf, ruft den anderen etwas zu.
    Ist er zufrieden mit der neuen Sequenz, setzt er sich wieder hin, stützt den Kopf in die Hände, bis ihm nach ein paar Minuten wieder etwas auffällt und er wieder aufspringt. Eine Dauerschleife.
    "Bitte, zieht den Sound vom Schlagzeug runter. Hört mal genau hin, bitte, das sind wirklich die Stimme und das Schlagzeug."
    Jedes Detail ist wichtig. Reezbo ist Perfektionist. Sein Album soll sich gut verkaufen. Genauso, wie die anderen, die er mit seiner Band herausgebracht hat. In seiner Musik vermischt er traditionelle kamerunischen Klänge mit westlichen Backround-Gesängen, modernen Beats und Rap-Texten. Vieles, was einen europäischen oder amerikanischen Einfluss hat, verkauft sich gut in Kamerun.
    Doch nach zwei Stunden im Studio gewinnt der Strom die Oberhand. Das Schnittprogramm zuckt von rechts nach links über den Bildschirm. Er flimmert, wird schwarz. Kurz darauf geht er wieder an. Stromausfälle gibt es zwar täglich in Kamerun, aber dass der Strom ausgerechnet an diesem Abend ausfällt, ärgert sie alle:
    "Wir haben uns hier getroffen, um so richtig zu arbeiten heute – um alles fertigzumachen. Ich bin zufrieden, dass wir fast alles eingearbeitet haben, was einer der Musiker kritisiert hatte. Aber ich bin trotzdem enttäuscht, dass wir jetzt hier so abgebrochen worden sind."
    Seine Studiokollegen zucken mit den Schultern: "Das ist eben Kamerun", sagen sie und fahren die Computer runter. Dieser Ausspruch ist einer der Lieblingssätze vieler Kameruner. Damit kommentieren sie Alltägliches, das sich nicht ändern wird. Dinge wie Stromausfälle, Stromschwankungen, absurde Überholmanöver im Straßenverkehr und tropischen Regen, der manchmal alles lahm legt.
    Es regnet häufig in Kamerun. Und genauso oft übernimmt der Regen die Kontrolle über das Leben: Er verwandelt Straßen in Bäche. Keiner verlässt mehr das Haus. Private Treffen werden abgesagt und auch die Politik steht still. Meetings in Ministerien fallen aus oder werden auf ungewisse Zeit verschoben, so lange eben, bis es nicht mehr regnet.
    Der Urwald beginnt genau hinter der Stadtgrenze von Yaoundé. Riesige Bäume schießen durch die dichten Büsche gen Himmel, Blüten leuchten in Gelb, Rot und Pink aus der grünen Buschlandschaft heraus. Ein schillerndes Blütenmeer entlang der Straße, das sich kaum genießen lässt. Und schon gar nicht im Vorbeifahren - auf die anderen Autos zu achten, ist in Kamerun lebensnotwenig. Denn Autofahren in diesem Land ist ein ganz eigenes Kapitel, völlig gegensätzlich zu europäischen Standards.
    Die drei wichtigsten Grundregeln lauten:
    1. Immer so nah wie möglich auf den Vordermann auffahren, denn sonst drängelt sich ein anderes Auto dazwischen.
    2. Kurz vor dem Überholen zweimal Hupen.
    3. Auch, wenn viele Kameruner nach dem Prinzip fahren "Dieu va le faire" - "Gott wird s schon richten", lieber einmal mehr bremsen. Denn Gott richtet es in den wenigsten Fällen: Täglich liegen neue kaputte Autos am Straßenrand.
    Und trotzdem: Es lohnt, mit dem Auto durch Kamerun zu fahren: Schnurgerade Straßen bis zum Horizont, rechts und links gesäumt von moosgrünen Hügellandschaften. Zwischendurch ragen schroffe Gesteinsformationen aus dem grünen Moosbett hervor. Die Geräuschkulisse ist überwältigend.
    Wild ist die Landschaft. Unberührt. Wanderwege: Gibt es nicht. Wegweiser: auch nicht. Und doch gibt es geführte Wanderungen. Sowie in Belo, einem kleinen Dorf in Westkamerun, das im englischsprachigen Teil des Landes liegt. Hier sieht es anders aus, als im französischen Teil: Der Rasen in den Vorgärten ist sehr britisch, gleichmäßig geschnitten und in den Straßen sind nur halb so viele Schlaglöcher. Außerdem liegt weniger Müll in der Natur.
    Schlammige Lehmpisten führen ins Hinterland, zum Ausgangspunkt der Wanderung. Der Natur zu vertrauen, ist essenziell. Und für diese Wanderung ein absolutes Muss. Der Wanderweg schlängelt sich zuerst durch ein Dickicht aus dichten Bananen-Stauden-Blättern, trifft dann auf eine riesige Wiese und führt steil nach oben. Bis zu den Mamy-Waters, dem Wasserfall in Belo, der aus den Felsen kracht. 1200 Meter donnert er von den Gipfeln aus ins Tal.
    Das Gras ist meterhoch und überragt die Wanderer. Zwischendurch greifen sie hektisch, manche auch panisch, nach dicken Grashalmen, um sich an ihnen noch festzuhalten. Im letzten Moment, bevor sie von den glitschigen Steinen, die immer wieder unter dem Gras liegen, abrutschen. Direkt am Berg, klingt das so:
    "Ich muss mich quasi durch das Gras schlagen, ich habe keine Machete dabei, aber ich mach es immer mit den Händen zur Seite und muss halt gucken, wo ich treten kann, um nicht hier runterzufallen. Weil zwischendurch sind immer wieder – ah – da war s, Löcher. Und wenn man abrutscht, dann rutscht man im Prinzip den ganzen Berg herunter."
    Um das zu verhindern, bleibt die Gruppe dicht hinter dem Guide Richard. Er hat blutige Hände, eingeschnitten von den scharfen Gräsern, die er immer wieder zur Seite drückt. Dann erreicht er ein kleines Felsplateau, von dem aus er ans Wasser kann. Er hält seine Hände hinein, kühlt sie. Das Wasser riecht nach Eisen und sei deswegen auch kein Trinkwasser, sagt Richard. Seinem Magen aber mache das nichts aus – er sei daran gewöhnt. Und nimmt einen tiefen Schluck aus seinen Händen.
    "Die Felsen und Berge hier sind durch einen Vulkanausbruch entstanden", erklärt Richard. "Das kann man heute noch an den unterschiedlichen Formen der Felsen gut erkennen. Die Lava hat sich schnell abgekühlt, deswegen die Formen."
    Im Tal bricht die Mittagssonne auf den hellen Blechdächern der Häuser. Am Wasserfall weht ein leichter Wind die Gischt über die Grasbüschel. Die Luft wird immer feuchter. Mit einem großen Ausfallschritt springt Richard auf die andere Seite des Wasserfalls. Er will zurück ins Tal. In ein bis zwei Stunden werde es regnen, sagt er, dann sei der Abstieg zu rutschig.
    Leichtfüßig hüpft er durch das hohe Gras, plötzlich hält er an. Er hat ein kleines Mädchen entdeckt, das Holz sammelt. Und Heilkräuter. Das Holz liegt am Wegrand, aufgeschichtet zwischen zwei Tüchern, um es nachher besser tragen zu können. Die Kräuter sammelt die Kleine in ihrem Rock – dafür hat es ihn am oberen Rand ein Stück umgeschlagen.
    "Was machst du mit den Kräutern", fragt Richard sie, erst auf Englisch. Als das Mädchen nicht antwortet, stellt er die Frage noch einmal auf KOM - das ist seine traditionelle Sprache. "Wir kochen die Kräuter und trinken dann das Wasser", erklärt das Mädchen nun. Das ist gut gegen Herzinfarkte, sagt es noch. Dann schnürt es die Tücher zusammen, in denen die Äste liegen, und schultert sie. Um das Gewicht gut auszubalancieren, geht die Kleine gebeugt an Richard vorbei. Bergab. Einen Moment schaut er ihr nach und wundert sich, dass sie noch kein Englisch spricht. Dann geht auch er unter den Bananen-Stauden-Blättern hindurch ins Tal.
    "C'est le Cameroun." - "Das ist eben Kamerun."