Mit einem As-Dur-Schwesterwerk kam die fis-Moll-Sonate nach dem berühmten Vorbild der beiden Sonaten op. 120 von Johannes Brahms als Zwilling auf die Welt. Am Anfang stand Regers beiläufige Bemerkung, er "werde auch zwei solcher Dinger schreiben". Obwohl sie nur sechs Jahre nach den Brahms-Werken entstanden und ihnen erkennbar viel verdanken, waren es bereits Kinder des 20. Jahrhunderts. Die Exkursion in Grenzbereiche der Tonalität hatte längst begonnen, und wie die meisten Komponisten seiner Generation war Reger damit beschäftigt, sich bei "Verbrechen gegen Harmonie und Kontrapunkt", wie er das selbstironisch nannte, hervorzutun. Nicht wenigen klang seine Musik nachgerade aufrührerisch. Das schmeichelte dem Selbstgefühl des jungen Komponisten. Kritiker aber, die seine Musik schwer durchschaubar fanden, schalt er "Hornochsen erster Güte". Dabei hatten sie, äußerlich betrachtet, recht. So sehr sich Reger auch um Genauigkeit bemühte und zur Verdeutlichung sogar mit verschiedenfarbiger Tinte schrieb, wimmelte es in seinen Partituren von Vorzeichen und Phrasierungsangaben, die Spieler und Notenstecher gleichermaßen irritierten. Ganz besonders in sich hat es der Schlusssatz der As-Dur-Sonate, denn auch in der leserlichsten Form bleibt ein Prestissimo "prestissimo". Da heißt es: Locker bleiben! – zumal unvermittelt lyrische Passagen wie auch der überraschend milde Schluss den Interpreten nicht nur sportiven Einsatz abverlangen.
Im Ziel steht keine Rekordzeit auf der Uhr, aber ein insgesamt solides Ergebnis mit kleineren Abstrichen beim stets etwas prekären Übergang ins hohe Register der Klarinette.
Max Reger, Sonate As-Dur op. 49 Nr. 1, Prestissimo assai (4. Satz), Claudio Conti (Klarinette), Roberta Bambace (Klavier), CD-Tr. 4
Regers verwickelte, modulationsreiche Sprache schmiegt sich nicht leicht ins Ohr, verträgt aber auch keine Versüßlichung. Mehr als andere Interpreten – zieht man zum Vergleich etwa die dreizehn Jahre alte Aufnahme von Florent Héau heran – verweigert sich Claudio Conti dem zärtlichen Säuselton und bevorzugt einen konsequent offenen, intonatorisch stärker gefährdeten Klang, der sich neben dem elanvollen Klavierspiel von Roberta Bambace jederzeit behauptet. Wer es "al dente" mag, wird von den italienischen Duo-Partnern gut bedient. Auf der A-Klarinette, die nur in der fis-Moll-Sonate zum Einsatz kommt, scheint sich Conti weniger wohlzufühlen als auf der B-Klarinette in den übrigen Werken, zu denen auch zwei Miniaturen – "Tarantella" und "Albumblatt" – gehören. Es sind schlichter gehaltene Vortragsstücke, die sich als Zugabe eignen, ihrer Bestimmung nach aber zum Bereich gehobener Hausmusik gehören.
Max Reger, "Albumblatt" Es-Dur, Andante con moto, Claudio Conti (Klarinette), Roberta Bambace (Klavier), CD-Tr. 13
Mochte Reger sich auch gern als Groß-Komponist gebärden – elitär war er nicht. Mit Stücken wie diesem "Albumblatt", das 1902 als Beilage in einer Musikzeitschrift erschien, suchte er Kontakt zum breiten Publikum. Leicht fasslich sollte auch seine Ende 1908 entstandene dritte Klarinettensonate sein, von Reger angekündigt als "ein gar lichtes, freundliches Werk" und "gar nicht lang". Das freilich war es nur aus der Perspektive eines Riesen. In Wirklichkeit dauert diese B-Dur-Sonate fast eine halbe Stunde und ist dabei so dicht gearbeitet und in sich verschachtelt, dass einem der Kopf schwirrt vor lauter motivischen Querbezügen, neben denen Vergleichbares von Brahms verblasst.
Max Reger, Sonate B-Dur op. 107, Moderato (1. Satz), Claudio Conti (Klarinette), Roberta Bambace (Klavier), CD-Tr. 9
Ungeheuer vielschichtig ist dieser erste Satz der B-Dur-Sonate. Vortragsanweisungen wie delicato, espressivo, dolcissimo, marcato und sonoro drängen sich oft zu mehreren in einem Takt. Claudio Conti und Roberta Bambace finden sich gewandt hindurch, machen auch feinste Abstufungen erkennbar, ohne dass der gestalterische Atem stockt. Erkennbar freilich bleibt auch die Tendenz, Reger zu entromantisieren und die Sonaten atmosphärisch nur nicht zu dicht an das spätere Klarinettenquintett – sein letztes vollendetes Werk – heranzurücken. Wer es aber kennt, wird auch aus der B-Dur-Sonate Merkmale des Spätwerks heraushören, dahingestellt, ob es sinnvoll ist, diesen Begriff auf das Schaffen eines Komponisten anzuwenden, der schon mit 43 Jahren starb. Auch von einem Riesen, der Reger ja nicht nur der Statur nach war, ausgestattet mit überragendem Können, kolossaler Schaffenskraft und ebensolchem Durst, forderte der Dauerstress durch exzessive Arbeit und Reisetätigkeit Tribut. "Wohnhaft in der Eisenbahn" war er, mit Zweitsitz im Bier- und Weinlokal. Dieses Leben haute selbst den Stärksten um.
Max Reger, Sonate B-Dur op. 107, Scherzo (2. Satz: Vivace – Adagio – Vivace), Claudio Conti (Klarinette), Roberta Bambace (Klavier), CD-Tr. 10
Im Scherzo der B-Dur-Sonate ist Max Reger Grübler und Harlekin zugleich. Die Solisten verwandeln sich ihm an und liefern eine nach seiner Rezeptur fein abgewogene Melange burlesker und melancholischer Elemente, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine begrüßenswerte Aufnahme ist es umso mehr, als bisher kein Überangebot an Reger’scher Kammermusik besteht. Brilliant Classics hat gut daran getan, eine vakante Repertoireposition im Reger-Gedenkjahr zu besetzen, und unterstreicht damit den Imagewandel vom Billiganbieter klotziger CD-Pakete hin zu einem Label, das sich nach Inhalt und Ausstattung seiner Produkte hinter vermeintlichen Nobelmarken nicht zu verstecken braucht.
Zum Ausklang die Schlusstakte des Scherzos der B-Dur-Sonate op. 107 mit Claudio Conti (Klarinette) und Roberta Bambace (Klavier).
CD-Infos: Max Reger - Complete Music for Clarinet and Piano, Interpreten: Claudio Conti (Klarinette) und Roberta Bambace (Klavier),
Brilliant Classics, Bestellnummer: 95258, EAN: 5028421952581
Brilliant Classics, Bestellnummer: 95258, EAN: 5028421952581