Dirk-Oliver Heckmann: Es ist erst wenige Monate her, da beherrschte die drohende Pleite Griechenlands die Gemüter. Der Euro stand vor seiner bisher größten Bewährungsprobe und sein Kollaps konnte nur mit milliardenschweren Finanzhilfen für Athen verhindert werden. Nie mehr sollte es noch einmal so weit kommen. Der bisher recht harmlose Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte endlich Zähne bekommen. Dafür machten sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Schäuble stark. Doch nun wird es keine automatischen Sanktionen geben. Darauf haben sich die EU-Finanzminister geeinigt. Demnach könnte praktisch alles bleiben wie es ist. - Am Telefon begrüße ich Steffen Kampeter, er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und gehört der CDU an. Schönen guten Morgen!
Steffen Kampeter: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Kampeter, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, spricht von einem schweren Rückschlag für die Reformpolitik nach der Finanzkrise und sagt, die Politik habe nichts dazugelernt. Der schwedische Finanzminister Borg sagt, die deutsche Bundesregierung habe ihr Prinzip der hundertprozentigen Haushaltsdisziplin aufgegeben.
Kampeter: Ich teile diese Bewertung nicht. Wir haben vor wenigen Tagen noch Einschätzungen gekriegt, dass es zu überhaupt gar keinem Verhandlungsergebnis gekommen ist, und viele, die heute am Verhandlungsergebnis rummäkeln, waren damals, als auf Vorschlag Deutschlands die van Rompuy-Gruppe eingerichtet worden ist, überhaupt grundsätzlich dagegen, den Pakt wieder scharf zu machen. Tatsache ist: wir haben gegenüber dem geltenden Recht jetzt einen schärferen Pakt. Sanktionen werden quasi automatisch, sie kommen früher, sie kommen schneller und sie sind schärfer. Und wir haben einen stärkeren präventiven Arm des Paktes. Das heißt, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, gibt es Frühwarnsysteme für wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen, und auch für die kann es bereits Sanktionen geben. Gegenüber dem, was derzeit gilt, ist das ein erheblicher Schritt. Und zweitens: Wir machen weiter, denn der Bericht an den Europäischen Rat sieht ja vor, dass es so eine Art van Rompuy-Fortsetzung gibt, die sich insbesondere mit der Stabilisierungspolitik wieder beschäftigt.
Heckmann: Zu dem Punkt werden wir gleich noch kommen, was noch folgt. Bleiben wir mal bei dem, was beschlossen ist. Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Sanktionen quasi automatisch kommen. Sie kommen aber nicht automatisch. Der FDP-Generalsekretär Lindner sagt deshalb, man habe den Kompromiss mit Erstaunen aufgenommen, und auch Silvana Koch-Mehrin, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, ebenfalls FDP, behauptet, die Bundesregierung habe sich von Sarkozy komplett über den Tisch ziehen lassen, Angela Merkel habe ihr Wort gebrochen.
Kampeter: Wer hundertprozentige Erfüllung von Verhandlungszielen als einzig zulässiges Verhandlungsergebnis wahrnimmt, der hat offensichtlich keinerlei Kenntnis von internationalen Verhandlungsprozessen. Wir haben ein Optimum an deutscher Verhandlungsposition und Stabilitätskultur durchgesetzt. Die Alternative hätte nicht darin bestanden, mehr deutsche Positionen durchzusetzen, sondern die Alternative hätte lediglich darin bestanden, überhaupt gar keine deutsche Position, sprich überhaupt gar keine Veränderung des Stabilitätspaktes durchzusetzen. Von daher muss sich die Kritik fragen lassen, ob sie überhaupt eine Veränderung am Stabilitätspakt wollte, oder ob sie auf eine vordergründige populistische Schlagzeile abzielt.
Heckmann: Aber rechnen Sie im Ernst damit, dass in Zukunft häufiger Strafen gegen Defizitsünder erteilt werden, denn weiterhin ist ja eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat nötig, um ein Verfahren in Gang zu setzen?
Kampeter: Ja, aber wir brauchen jetzt eine umgekehrte Mehrheit, denn im Ergebnis des Prozesses brauchen sie zwei Drittel Mehrheit gegen Sanktionen. Das ist eine Umkehrung des bisherigen Prozesses. Im Übrigen glaube ich, dass der präventive Arm des Paktes sehr viel wichtiger ist. Das heißt, bevor es ins Defizitverfahren geht beispielsweise wird der Fokus ja auf mangelnde Wettbewerbsfähigkeit gestellt und finanzielle Sanktionen sind auch bereits schon in diesem Bereich möglich. Das heißt, früher, schneller, schärfer, das ist ein neuer Stabi-Pakt. Aber ich wiederhole: es muss auch eine Phase II geben, nämlich dass man auf den Stabilitätspakt einen Stabilisierungsmechanismus draufsetzt, denn die bisherigen finanziellen Hilfemaßnahmen müssen auslaufen.
Heckmann: Was schwebt Ihnen da konkret vor und glauben Sie denn, dass Sie sich da innerhalb der EU durchsetzen können mit strengeren Strafen bis hin zum Stimmrechtsentzug von Mitgliedsländern beispielsweise?
Kampeter: Ja! Die Frage des Stimmrechtsentzuges hat ja bereits schon jetzt eine sehr, sehr große Rolle gespielt, oder auch die Nicht-Teilnahme an finanziellen Zahlungen aus der EU-Kommission. Tatsache ist aber, dass wir, obwohl es am Beginn der Woche in eine andere Richtung ging, jetzt eine Mehrheit dafür haben gewinnen können, hier über Vertragsänderungen für einen robusten Krisenbewältigungsmechanismus zu werben, denn wir haben der Bundesrepublik Deutschland ja auch ganz klar gesetzt, das was derzeit da etabliert ist, ist zeitlich klar befristet. Es war eine Ad-hoc-Maßnahme, um eine akute Gefahrensituation abzuwenden. Wir brauchen einen längerfristigen Krisenbewältigungsmechanismus, der die richtigen Ansätze setzt und Anreize sowohl für Staaten, beispielsweise solide Finanzpolitik, als auch für Marktteilnehmer, nämlich zu einer verantwortungsvolleren Kreditvergabe. Das werden wir jetzt gemeinsam mit den europäischen Partnern angehen. Es hat sich gezeigt: die deutsch-französische Zusammenarbeit hat Europa nach vorne gebracht und mehr Stabilität für den Euro ermöglicht.
Heckmann: Herr Kampeter, kommen wir noch zur Lage bei den Steuereinnahmen. Verschiedene Zeitungen und Agenturen meldeten, die Steuerschätzer erwarteten je nach Lesart 20 bis 30 Milliarden Mehreinnahmen allein für 2010 und 2011. Ihr Haus hat den Anstieg oder einen Anstieg der Einnahmen inzwischen bestätigt. Stimmt auch die Größenordnung und bedeutet das auch neue Spielräume, denn Union und FDP hatten ja Steuersenkungen mal versprochen, beziehungsweise das Sparpaket, das könnte ja zumindest etwas kleiner ausfallen, oder?
Kampeter: Die Größenordnung ist reine Spekulation und Spielräume gibt es dadurch nicht, denn wir dürfen jetzt folgenden Fehler nicht machen: Konjunkturelle Mehreinnahmen und strukturelle Mehreinnahmen sind zwei Paar Schuhe. Wir haben es hier mit einem Konjunkturregen zu tun, der aufgrund einer hohen Wachstumsrate für das laufende Jahr erfolgt. Die Wachstumserwartungen für das nächste Jahr sind niedriger. Und wer jetzt diese konjunkturellen Mehreinnahmen bereits verplant durch Ausgaben, der wird im nächsten Jahr mit einem dummen Gesicht, sprich einem erhöhten Defizit dastehen. Diesen Fehler haben wir in den vergangenen Jahrzehnten allzu oft gemacht. Deswegen: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Wir werden jetzt eher den Konsolidierungskurs weiter insoweit verändern, dass wir weniger Kredite aufnehmen. Wir haben ja schließlich noch die höchste Kreditaufnahme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Und es hilft ja relativ wenig, wenn sie einem Ertrinkenden sagen, dass er vielleicht zehn Meter unter der Wasseroberfläche gerade am ertrinken ist, wenn er nur fünf Meter unter der Wasseroberfläche weiter ertrinkt. Die Haushaltslage ist deutlich schlechter als die Wirtschaftslage.
Heckmann: Über die Steuermehreinnahmen, die zu erwarten sind, und die Reform des Euro-Stabilitätspakts haben wir gesprochen mit Steffen Kampeter. Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und gehört der CDU an. Herr Kampeter, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Kampeter: Herzlichen Dank, Herr Heckmann.
Steffen Kampeter: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Kampeter, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, spricht von einem schweren Rückschlag für die Reformpolitik nach der Finanzkrise und sagt, die Politik habe nichts dazugelernt. Der schwedische Finanzminister Borg sagt, die deutsche Bundesregierung habe ihr Prinzip der hundertprozentigen Haushaltsdisziplin aufgegeben.
Kampeter: Ich teile diese Bewertung nicht. Wir haben vor wenigen Tagen noch Einschätzungen gekriegt, dass es zu überhaupt gar keinem Verhandlungsergebnis gekommen ist, und viele, die heute am Verhandlungsergebnis rummäkeln, waren damals, als auf Vorschlag Deutschlands die van Rompuy-Gruppe eingerichtet worden ist, überhaupt grundsätzlich dagegen, den Pakt wieder scharf zu machen. Tatsache ist: wir haben gegenüber dem geltenden Recht jetzt einen schärferen Pakt. Sanktionen werden quasi automatisch, sie kommen früher, sie kommen schneller und sie sind schärfer. Und wir haben einen stärkeren präventiven Arm des Paktes. Das heißt, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, gibt es Frühwarnsysteme für wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen, und auch für die kann es bereits Sanktionen geben. Gegenüber dem, was derzeit gilt, ist das ein erheblicher Schritt. Und zweitens: Wir machen weiter, denn der Bericht an den Europäischen Rat sieht ja vor, dass es so eine Art van Rompuy-Fortsetzung gibt, die sich insbesondere mit der Stabilisierungspolitik wieder beschäftigt.
Heckmann: Zu dem Punkt werden wir gleich noch kommen, was noch folgt. Bleiben wir mal bei dem, was beschlossen ist. Sie haben gerade davon gesprochen, dass die Sanktionen quasi automatisch kommen. Sie kommen aber nicht automatisch. Der FDP-Generalsekretär Lindner sagt deshalb, man habe den Kompromiss mit Erstaunen aufgenommen, und auch Silvana Koch-Mehrin, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, ebenfalls FDP, behauptet, die Bundesregierung habe sich von Sarkozy komplett über den Tisch ziehen lassen, Angela Merkel habe ihr Wort gebrochen.
Kampeter: Wer hundertprozentige Erfüllung von Verhandlungszielen als einzig zulässiges Verhandlungsergebnis wahrnimmt, der hat offensichtlich keinerlei Kenntnis von internationalen Verhandlungsprozessen. Wir haben ein Optimum an deutscher Verhandlungsposition und Stabilitätskultur durchgesetzt. Die Alternative hätte nicht darin bestanden, mehr deutsche Positionen durchzusetzen, sondern die Alternative hätte lediglich darin bestanden, überhaupt gar keine deutsche Position, sprich überhaupt gar keine Veränderung des Stabilitätspaktes durchzusetzen. Von daher muss sich die Kritik fragen lassen, ob sie überhaupt eine Veränderung am Stabilitätspakt wollte, oder ob sie auf eine vordergründige populistische Schlagzeile abzielt.
Heckmann: Aber rechnen Sie im Ernst damit, dass in Zukunft häufiger Strafen gegen Defizitsünder erteilt werden, denn weiterhin ist ja eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat nötig, um ein Verfahren in Gang zu setzen?
Kampeter: Ja, aber wir brauchen jetzt eine umgekehrte Mehrheit, denn im Ergebnis des Prozesses brauchen sie zwei Drittel Mehrheit gegen Sanktionen. Das ist eine Umkehrung des bisherigen Prozesses. Im Übrigen glaube ich, dass der präventive Arm des Paktes sehr viel wichtiger ist. Das heißt, bevor es ins Defizitverfahren geht beispielsweise wird der Fokus ja auf mangelnde Wettbewerbsfähigkeit gestellt und finanzielle Sanktionen sind auch bereits schon in diesem Bereich möglich. Das heißt, früher, schneller, schärfer, das ist ein neuer Stabi-Pakt. Aber ich wiederhole: es muss auch eine Phase II geben, nämlich dass man auf den Stabilitätspakt einen Stabilisierungsmechanismus draufsetzt, denn die bisherigen finanziellen Hilfemaßnahmen müssen auslaufen.
Heckmann: Was schwebt Ihnen da konkret vor und glauben Sie denn, dass Sie sich da innerhalb der EU durchsetzen können mit strengeren Strafen bis hin zum Stimmrechtsentzug von Mitgliedsländern beispielsweise?
Kampeter: Ja! Die Frage des Stimmrechtsentzuges hat ja bereits schon jetzt eine sehr, sehr große Rolle gespielt, oder auch die Nicht-Teilnahme an finanziellen Zahlungen aus der EU-Kommission. Tatsache ist aber, dass wir, obwohl es am Beginn der Woche in eine andere Richtung ging, jetzt eine Mehrheit dafür haben gewinnen können, hier über Vertragsänderungen für einen robusten Krisenbewältigungsmechanismus zu werben, denn wir haben der Bundesrepublik Deutschland ja auch ganz klar gesetzt, das was derzeit da etabliert ist, ist zeitlich klar befristet. Es war eine Ad-hoc-Maßnahme, um eine akute Gefahrensituation abzuwenden. Wir brauchen einen längerfristigen Krisenbewältigungsmechanismus, der die richtigen Ansätze setzt und Anreize sowohl für Staaten, beispielsweise solide Finanzpolitik, als auch für Marktteilnehmer, nämlich zu einer verantwortungsvolleren Kreditvergabe. Das werden wir jetzt gemeinsam mit den europäischen Partnern angehen. Es hat sich gezeigt: die deutsch-französische Zusammenarbeit hat Europa nach vorne gebracht und mehr Stabilität für den Euro ermöglicht.
Heckmann: Herr Kampeter, kommen wir noch zur Lage bei den Steuereinnahmen. Verschiedene Zeitungen und Agenturen meldeten, die Steuerschätzer erwarteten je nach Lesart 20 bis 30 Milliarden Mehreinnahmen allein für 2010 und 2011. Ihr Haus hat den Anstieg oder einen Anstieg der Einnahmen inzwischen bestätigt. Stimmt auch die Größenordnung und bedeutet das auch neue Spielräume, denn Union und FDP hatten ja Steuersenkungen mal versprochen, beziehungsweise das Sparpaket, das könnte ja zumindest etwas kleiner ausfallen, oder?
Kampeter: Die Größenordnung ist reine Spekulation und Spielräume gibt es dadurch nicht, denn wir dürfen jetzt folgenden Fehler nicht machen: Konjunkturelle Mehreinnahmen und strukturelle Mehreinnahmen sind zwei Paar Schuhe. Wir haben es hier mit einem Konjunkturregen zu tun, der aufgrund einer hohen Wachstumsrate für das laufende Jahr erfolgt. Die Wachstumserwartungen für das nächste Jahr sind niedriger. Und wer jetzt diese konjunkturellen Mehreinnahmen bereits verplant durch Ausgaben, der wird im nächsten Jahr mit einem dummen Gesicht, sprich einem erhöhten Defizit dastehen. Diesen Fehler haben wir in den vergangenen Jahrzehnten allzu oft gemacht. Deswegen: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Wir werden jetzt eher den Konsolidierungskurs weiter insoweit verändern, dass wir weniger Kredite aufnehmen. Wir haben ja schließlich noch die höchste Kreditaufnahme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Und es hilft ja relativ wenig, wenn sie einem Ertrinkenden sagen, dass er vielleicht zehn Meter unter der Wasseroberfläche gerade am ertrinken ist, wenn er nur fünf Meter unter der Wasseroberfläche weiter ertrinkt. Die Haushaltslage ist deutlich schlechter als die Wirtschaftslage.
Heckmann: Über die Steuermehreinnahmen, die zu erwarten sind, und die Reform des Euro-Stabilitätspakts haben wir gesprochen mit Steffen Kampeter. Er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und gehört der CDU an. Herr Kampeter, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Kampeter: Herzlichen Dank, Herr Heckmann.