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Kampf den Aktenbergen

Justiz.- Seit Jahren tüfteln Juristen an der Konzeption einer elektronischen Gerichtsakte – bislang mit mäßigem Erfolg. Dennoch soll das Projekt keineswegs aufgegeben werden, denn eine elektronische Akte könnte langwierige Prozesse stark beschleunigen.

Von Klaus Herbst |
    Vor wenigen Jahren glaubten die Juristen, die elektronische Gerichtsakte bereits in der Hand zu halten. Dr. Wolfram Viefhues vom Oberlandesgericht Düsseldorf äußerte sich optimistisch. Auf dem EDV-Justiztag 2005 stellte er als die Patentlösung das bundesweite Justizportal vor, auf das sich die Länder damals geeinigt hatten, als sei alles schon Realität.
    "Die Landesjustizverwaltungen in den Pilotprojekten haben unterschiedliche technische Ansätze. Das heißt, es gibt welche, die arbeiten mit dieser E-Mail-Lösung, und es gibt welche, die arbeiten von Anfang an mit einer Postfachlösung. Und dieses gemeinsame Justizportal wird beides bewältigen können."

    Vier Jahre später: Ernüchterung ist eingekehrt. Das Projekt gilt zunächst als gescheitert. Norbert Pott, Referatsleiter für Informationstechnik im Justizministerium Nordrhein-Westfalen, über die elektronische Gerichtsakte:

    "Wir haben sie noch nicht. Und da liegt das Problem. Gelingt es uns nicht, die elektronische Akte so zu gestalten, dass Richter damit gerne umgehen, idealer Weise noch lieber als mit Papier, wird auch der elektronische Rechtsverkehr viele Jahre einfach nicht stattfinden."

    Was man sich so schön vorgestellt hatte, nämlich die vielen Aktenberge schnell und sicher zu digitalisieren und elektronisch zu versenden, führte in der Realität bundesweit zum weiteren Anwachsen der Aktenberge. Die Empfänger elektronischer Gerichtspost druckten die empfangenen Dokumente einfach aus. Das Ergebnis: noch mehr unübersichtliche Aktenordner, vollgepfropft mit E-Mails. Der Vorsitzende des EDV-Gerichtstages Professor Maximilian Herberger:

    "Wenn man mit zu ambitionierten Zielen startet, dann tritt eigentlich immer eine gewisse Enttäuschung ein. Was kann man realistischerweise in kurzen Zeiträumen, die man vor hat, erreichen? Das Zweite ist, dass man vielleicht die Erwartungen der Anwenderinnen und Anwender nicht genau genug betrachtet hatte. Die wünschen sich teilweise, dass vertraute Arbeitsweisen in der elektronischen Akte möglich sind. Und das war nicht der Fall. Und auch von daher gab es ja eine gewisse Enttäuschung."

    Die elektronische Gerichtsakte war nicht ergonomisch genug. Es machte den Nutzern wenig Spaß, mit ihr zu arbeiten. Modifikationen durften nur auf dem Rechner ausgeführt werden, nicht auf dem Ausdruck. Auf Bewährtes musste man aus technischen Gründen verzichten; zum Beispiel auf handschriftliche Randnotizen oder farbige Hervorhebungen. Nun wollen die Juristen einen Neustart wagen. Sie wissen, die Akte Version zwei muss ergonomischer sprich nutzerfreundlicher werden und auf das komplexe deutsche Rechtswesen viel besser eingehen. Norbert Pott:

    "Wir haben entdeckt, dass verschiedene Ebenen von Interesse sind. Jede Person, die auf die Papierakte geht, schaut diese anders an. Der Richter schaut sie an auf einen Streitvorschlag der Parteien. Der Rechtspfleger schaut sie vielleicht auch noch an auf die kostenrelevanten Tatbestände, wenn er die Kostenfestsetzung machen muss. Der Geschäftsstellenverwalter schaut sie vielleicht an, ob irgendwelche Fristen daran sind und ob er die auf Wiedervorlage legen muss. Und diese verschiedenen Sichtweisen müssen wir also auch in Deckung bringen. Da hilft keine E-Mail-Sammlung."

    So loten die Informatiker unter den Juristen nun in einer Serie von Workshops, die Ende des Jahres abgeschlossen sein soll, das Potenzial aus.

    "Die Information darf nicht zu unübersichtlich sein. Also geht es jetzt darum, auch die Komplexität zu reduzieren während der Arbeit. Dieses Erschließen von Sachverhalten, dieses Gegenüberstellen von Vorträgen des Klägers, des Beklagten, von der rechtlichen Wertung von einer ganz anderen Ebene dann wieder, die womöglich auch sagt, was eigentlich beweiserheblich ist und was nicht, das muss alles unterstützt werden."

    Sogar von Computerspielen bekannte Technologien sollen in Zukunft genutzt werden, um die elektronische Akte gefälliger zu machen.

    "Wenn man sieht, dass also manche Strategiespiele ausüben mit viel Spaß, die auch sehr komplex sind, wo ganze Welten abgebildet werden und womöglich Universen. Und man geht da mit Spaß dran und bleibt mehrere Stunden dabei, dann ist das irgendwie vielleicht auch ein Ansatz, um unsere normale textgebundene Welt vielleicht auch etwas besser zu erschließen. Denken Sie vielleicht an den Begriff der Ebenen. Wenn man diese Dinge vielleicht verbinden könnte mit grafischen Linien. Wenn man sozusagen durch Zoomen mal näher an den Sachverhalt heran, dann aber auch wieder abblenden kann. Wenn man verbinden kann, diese Verbindungen auch selbst ziehen kann mit der Maus idealer Weise, und sagen kann: Dies gehört zusammen, das gehört nicht zusammen."

    Auch ganz neue Trends sollen in das Projekt eingehen, zum Beispiel das Cloud Computing. Allen Sicherheitsbedenken zum Trotz sollen sensible Inhalte über entfernte Server ausgetauscht werden.

    "Das heißt, dass wir die Rechnerressourcen des Internets nutzbar machen können. Aber natürlich als Justiz haben wir hohe Hürden. Die Sachen müssen uns zur Verfügung stehen."

    Bessere Anpassung der Software an das Justizwesen, die Tricks der Computerspiele sowie die Nutzung des Internet - nichts ist tabu, damit die elektronische Gerichtsakte in Deutschland doch noch ein Erfolg wird. Norbert Pott verspricht sich vor allem wesentlich schnellere Gerichtsprozesse und mehr Spaß bei der Arbeit.

    "Ich würde es nicht mal Fun-Faktor nennen. Stichwort ist: Reduzierung der Komplexität. Und das gelingt eigentlich nur grafisch. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass man während der praktischen Arbeit an den Fällen in komplizierten Dingen ebenfalls wieder auf einen Zettel oder irgendwo zu diesen Dingen zurückgreift. Und das unterstützt zurzeit die Software so wie wir sie kennen noch ungenügend."

    Ende des Jahres sollen die Workshops abgeschlossen sein. Im nächsten Jahr kommt es zu einer Ausschreibung. Und wenn alles optimal laufen sollte, könne schon beim nächsten EDV-Gerichtstag eine funktionierende Version präsentiert werden.