"”We get it. By that I mean we get the lessons of our corporate predecessors. We also get that ... ""
Wir haben es begriffen, sagt Eric Schmidt, wir haben gelernt aus den Fehlern und Niederlagen der anderen Unternehmen. Der Mann, der bis vor wenigen Monaten als Vorstandschef die Geschicke des Internetgiganten Google gelenkt hat, sitzt alleine an einem langen Tisch - wie auf einer Anklagebank. Ihm gegenüber acht US-Senatoren mit ihren Mitarbeitern. Schmidt sitzt sehr aufrecht, die Hände hat er auf dem Tisch gefaltet, er schaut höflich und aufmerksam und auch ein wenig kühl in die Runde.
Vor wenigen Tagen musste er sich in Washington einer Anhörung vor dem Senatsausschuss für Wettbewerb stellen. Schmidt, mittlerweile Chef des Google-Verwaltungsrats, ist bekannt als ein Mann der klaren Worte. Nicht alle Unternehmen, versucht er den Senatoren klar zu machen, seien aus dem gleichen Holz geschnitzt, und die Vergangenheit des einen Unternehmens sei nicht zwangsläufig die Zukunft eines anderen.
"”I do ask you ask you to remember that not all companies are cut from the same cloth, and that one company’s past is not another’s future.”"
Bei dem Unternehmen, das Eric Schmidt so nebulös umschreibt, handelt es sich um Microsoft. Der Softwaregigant aus Seattle muss immer wieder als Negativbeispiel für einen Konzern herhalten, der um jeden Preis versucht, den Markt möglichst allumfassend zu beherrschen. Wettbewerbshüter aus den USA und aus Europa hatten Microsoft vor einigen Jahren in den Schwitzkasten genommen. Der Vorwurf: Das Unternehmen habe bei seinem Betriebssystem Windows ein Monopol gebildet. Microsoft war schließlich gezwungen, Windows für die Software externer Anbieter zu öffnen - und musste 500 Millionen Euro Strafe zahlen. Nun könnte Google ein ähnliches Schicksal ereilen. Und das nicht ohne Grund: Denn der Konzern aus Kalifornien sorgt dafür, dass der Internetnutzer so gut wie nie den Anbieter wechseln muss, wenn er im Netz unterwegs ist. Google betreibt neben der Suchmaschine unter anderem auch einen Browser, bietet umfassendes Kartenmaterial, einen E-Mail-Dienst, eine Kontaktbörse und neuerdings mit "Google Plus" auch ein soziales Netzwerk an. Google ist ein digitaler "one stop shop" - alles aus einer Hand. Bereits im Juni hatte die amerikanische Kartellbehörde, die Federal Trade Commission, kurz: FTC, eine Untersuchung gegen das Unternehmen aus Kalifornien eingeleitet.
"”As Google expands into new ventures, critics complain it’s abusing its dominant position in the search market and unfairly ranking other businesses’ websites.”"
Google nutze seine marktbeherrschende Position bei der Internetsuche aus, so berichtete der amerikanische Rundfunk NPR – und zwar zulasten der Konkurrenz. Die Kartellwächter prüfen, ob in Googles Trefferlisten die eigenen Angebote – oder die seiner Werbekunden - bevorzugt platziert werden. Konkret heiß das: Jemand sucht nach einer Landkarte und bekommt "Google Maps" als einen der ersten Treffer angezeigt - der Konkurrent Mapquest erscheint erst weiter unten auf der Liste. Außerdem will die Federal Trade Commission auch Android unter die Lupe nehmen, das von Google entwickelte Betriebssystem für Smartphones, also: schlaue, internetfähige Handys. Googles Suchmaschine ist bei Mobiltelefonen mit Android vorinstalliert. Das – so der Vorwurf - erschwere es den Nutzern, auf die Dienste anderer Suchmaschinen zuzugreifen. Diese Untersuchung der FTC wiege besonders schwer, meint Tom Rhodes, Kartellanwalt in der Großkanzlei Schmith, Gambrell and Russell.
"”This is the most serious of the investigations, because it goes straight to the heart of Google’s business plan.”"
Und zwar deshalb, weil sie auf das Kerngeschäft, das Herz von Google zielt: die Internetsuche. Die vielleicht schwerwiegendste, aber bei Weitem nicht die erste Untersuchung. Seit fünf Jahren steht Google in den USA unter Dauerbeobachtung von Wettbewerbshütern und Verbraucherschützern: Wegen der Akquise der Werbevermarkter AdMob und DoubleClick – diese sollen Google dabei geholfen haben, seine vorherrschende Stellung bei der Produktsuche im Internet auszubauen. Wegen der vermeintlicher Lücken in der Datensicherheit beim E-Mail-Dienst Googlemail und beim 3D-Straßenatlas Street View. Oder aber wegen Werbung für illegal in die USA eingeführte Medikamente.
"Google ist eigentlich permanent auf dem Radar der Federal Trade Commission. Wahrscheinlich gibt es dort Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit Google beschäftigen."
Zusätzlich zu den Wettbewerbshütern aus Washington haben auch mehrere US-Bundesstaaten – Texas, Kalifornien, New York, Oklahoma und Ohio - Untersuchungen gegen Google eingeleitet. Auch die Europäische Kommission hat Googles Suchmaschine ins Visier genommen, ebenso wie Kanada und Südkorea. Wer wissen will, wie man bei Google zu diesen Vorwürfen steht, läuft allerdings gegen Wände: Anfragen beim Firmensitz von Google in Kalifornien bleiben in der Regel unbeantwortet, und auch bei Google Deutschland gibt man sich zugeknöpft. Bei der Anhörung vor dem Senatsausschuss jedenfalls - die als eine Art politisches Vorspiel zu der eigentlichen Untersuchung gilt –, gab sich Google-Chefdiplomat Eric Schmidt betont optimistisch:
"Wir sind überzeugt: Bei der Prüfung der Federal Trade Commission wird Google als ein enthusiastisches Unternehmen hervortreten, mit Mitarbeitern, die voller Begeisterung an den Möglichkeiten der Zukunft arbeiten."
Ganz so locker und euphorisch, wie sich das anhört, nimmt man bei Google die Ermittlung der Wettbewerbsbehörde aber offenbar doch nicht. Der Konzern reagierte auf die Vorwürfe nämlich mit einem cleveren Schachzug: Er warb kurzerhand eine hochrangige Mitarbeiterin der Federal Trade Commission ab. Der neue Arbeitsplatz von Kartellexpertin Suzanne Michel: die Rechtsabteilung von Google. Wie blank die Nerven der Google-Verantwortlichen womöglich liegen, offenbarte sich, als Eric Schmidt die Behauptung des republikanischen Senators Mike Lee gereizt zurückwies, Google "frisiere" seine Suchergebnisse:
"”Senator, may I simply say that I can assure you we’ve not cooked anything.”"
Und dann setzte Schmidt sein wichtigstes Argument hinzu, jenes Argument, mit dem Google die Fragen der Wettbewerbshüter parieren will:
"Wir setzen auf Loyalität, nicht auf Abhängigkeit. Wir stellen niemandem eine Falle. Jeder kann mit nur einem Klick zur Konkurrenz wechseln."
Die Alternativen: Das sind vor allem die Suchmaschinen Bing, Ask und Yahoo. Oder Spezialanbieter wie Yelp für Restaurants oder Kayak für Reisen. Allerdings laufen in den USA zwei Drittel aller Suchanfragen über Google, in Europa liegt der Anteil zum Teil noch höher, in Deutschland bei fast 90 Prozent. Benn Konsynski ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Emory Universität in Atlanta. Die Ermittlungen der Kartellwächter gegen Google überraschen ihn nicht.
"”Google is 13 years old. So it’s entering its teenage phase ... ""
13 Jahre nach seiner Gründung trete Google gerade quasi in das Teenager-Alter ein, sagt er. Konsynski, ein Mann Anfang 50, bezeichnet sich selbst als einen Computernerd, und er lacht glucksend in sich hinein, während er das sagt. Sein Büro ist dunkel; Bücher, Zeitungen und Papiere stapeln sich in, auf und vor den Regalen. Drei Laptops, zwei Tablet-Computer und drei Smartphones liegen auf dem Schreibtisch. Mit IT-Unternehmen, sagt er, sei es ein bisschen so wie mit den Menschen:
"In ihren ersten Lebensjahren sehen wir die Kinder als unschuldige Engelchen, dann werden sie größer, und wir betrachten wohlwollend all ihre Talente. Wenn sie dann zu Teenagern heranwachsen, ahnen wir, dass sie vielleicht auch Schlechtes im Schilde führen könnten, und wir werden misstrauisch."
Sie könnten, zum Beispiel: Monopole bilden, den Wettbewerb verzerren, die Konkurrenten mit unfairen Mitteln vom Markt zu drängen versuchen. Diesem Vorwurf müssen sich alle Internet-Giganten aussetzen, ob Google, Microsoft, Apple, Yahoo, Facebook oder Amazon. Benn Konsynski tut sich allerdings schwer mit dem Begriff des Monopols in der weiten, scheinbar grenzenlosen Welt des Cyberspace:
"Wir sollten eher fragen, ob diese Monopole auch nachhaltig sind. My Space zum Beispiel lag vor sieben, acht Jahre weit vorne, heute ist Facebook die Nummer eins. Und jetzt fordert Google Plus Facebook heraus. Als Google vor 13 Jahren anfing, war das Unternehmen kein großer Spieler. Das hat sich gewandelt. Und es wird so weitergehen."
Ein anderes Beispiel: Apple revolutionierte mit seinem iPhone im Jahr 2007 den Mobilfunkmarkt. Kurz darauf blies Google mit der Entwicklung von Android zum Gegenangriff. Rund 40 Prozent aller Smartphones sind mittlerweile weltweit mit Android ausgestattet. Microsoft bereitet derweil mit Windows 8 ein neues Betriebssystem vor, das vor allem für Tablets konzipiert ist. Das ist ein Bereich, den Apple bislang mit seinem iPad dominiert. Die Reihe ließe sich fortsetzen.
"Dieser Markt mischt sich ständig neu; er ist ziemlich unberechenbar."
Oder, wie Eric Schmidt vor dem Senatsausschuss sagte:
"”The only constant is change.”"
Die einzige Konstante ist der Wandel. Kurz, mit den klassischen Marktmodellen lässt sich die Welt der Informationstechnologie nicht mehr erfassen. Diese Erfahrung hat auch Kartellanwalt Tom Rhodes gemacht:
"Oft dauert es drei bis fünf Jahre, bis eine Monopoluntersuchung abgeschlossen ist. Dann hat sich die Technologie aber möglicherweise schon viel weiter entwickelt."
Es sind also nicht so sehr die klassischen, die nachhaltigen Monopole, die heute die Technologie-Landschaft bestimmen. Sondern Rochaden und Revierkämpfe zwischen den Riesen des Internets – dabei ist die Arena global und die Halbwertszeit der Gewinner gering. Da war in den 1980er-Jahren das Kopf-an-Kopf-Rennen um die Entwicklung und Vermarktung des Personal-Computers zwischen IBM und Microsoft auf der einen und Apple auf der anderen Seite. Und da ist heute der erbitterte Streit zwischen Google und Apple um die Vormachtstellung im Mobilfunkmarkt. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt, das ist das Mantra von Google. Wer wird am Ende von dem großen Technologie-Reigen profitieren? Benn Konsynski ist optimistisch:
"Der Verbraucher, hoffe ich. Die Internet-Arena ist so flüchtig und unbeständig, davon kann der Nutzer profitieren. Ich glaube nicht, dass ein einzelner Spieler langfristig den Markt dominieren wird."
Der Kampf um die digitale Weltherrschaft wird jedoch nicht nur um Klicks, um Marktanteile und Markenwert, um Umsätze, Gewinne, Werbeeinnahmen und Nutzerzahlen geführt. Längst hat auch ein Wettlauf um Informationen begonnen, um persönliche Daten, Profile, Präferenzen und Geheimnisse der Nutzer. Verbraucherschützer beobachten das Treiben der Internet-Giganten mit Argwohn: dass, zum Beispiel, Googles Email-Service Googlemail bei seinem Start die Nutzer mit maßgeschneiderter Werbung zu beglücken versuchte. Dass das soziale Netzwerk Facebook seine Einstellungen zum Datenschutz zunächst wie eine digitale Schnitzeljagd gestaltete. Dass Google mit seinem 3-D-Atlas "Street View" die Welt Straße für Straße, Haus für Haus einscannt, wie ein globaler virtueller Big Brother. Dass Microsoft mit "Street Side" sein eigenes Projekt zur Vermessung der Welt startete. Kurz: dass der Bürger zum gläsernen Nutzer im weltweiten Netz wird.
Eric Schmidt, damals Google-Chef, gab den besorgten Bürgern und Verbraucherschützern im Jahr 2009 in einem Fernsehinterview einen durchaus verblüffenden Rat:
"”If you have something that you don’t want anyone to know maybe you shouldn’t be doing it in the first place.”"
Wenn man nicht wolle, sagt Schmidt, dass bestimmte Dinge über einen bekannt würden, dann sei es vielleicht besser, diese Dinge erst gar nicht zu tun. Im Umkehrschluss heißt das: Wer keinen digitalen Offenbarungseid leistet, der hat etwas zu verbergen. Auch Facebook, mit 750 Millionen Mitgliedern weltweit das größte soziale Netzwerk, steht unter dem Verdacht, die Daten seiner Nutzer zu speichern, zu sortieren, möglicherweise auch weiterzugeben. Auf jeden Fall: diese Daten niemals komplett zu löschen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg betont derweil immer wieder, mit seiner Idee der totalen Vernetzung nichts Böses im Sinn zu haben:
"Uns geht es darum, dass die Menschen sich austauschen, dass sie miteinander, mit ihren Freunden, mit ihrer Familie, mit ihren Kollegen in Kontakt bleiben. Allein das ist unser Ziel, deswegen haben wir das Unternehmen gegründet."
Ist Mark Zuckerberg naiv? Oder einfach nur ein sehr cleverer Geschäftsmann? Oder vielleicht auch ein bisschen zynisch? Vor allem, meint Wirtschaftsinformatiker Benn Konsynski, sei er ein Vertreter einer jungen, neuen Generation – mit neuen Begriffen und Werten:
"”In my generation, the terms personal and private were the same thing.”"
Für seine Generation, sagt er, seien die Begriffe persönlich und privat gleichbedeutend.
"Für die Generation Y, Leute in ihren 20ern und 30ern also, ist das anders. Für sie sind persönliche Informationen nicht notwendigerweise Privatsache, sie gehen sehr viel offenherziger damit um. Das ist eine Frage von Werten, von Werten der Gesellschaft und nicht nur von Werten des Einzelnen, und diese Werte haben sich über die Generationen hinweg geändert."
Diese Erklärung ist Jaron Lanier zu einfach. Der Internet-Pionier, Technologie-Philosoph und Musiker aus Berkeley ist heute einer der größten Kritiker der IT-Konzerne und des Web 2.0. Seine drängendste Sorge: In der gigantischen Filtermaschine von Google und in dem allumspannenden Netz von Facebook sei der einzelne Nutzer längst zum Spielball anonymer Kräfte geworden:
"Wir geben uns selbst in eine Datenbank ein. Und dann führen wir unser reales Leben nach den Regeln, die diese Datenbank vorgibt. Wir kreuzen artig an, was uns interessiert, wer wir sind, welche Musik wir mögen. Und werden so zu digitalen Karikaturen unserer selbst."
Benn Konsynski will das nicht so stehen lassen. Er runzelt die Stirn, rückt seine bunte Fliege zurecht.
"Wir müssen auf die Realität schauen, auf die Chancen für den Einzelnen und für ganze Gesellschaften. Das Internet hat unser Leben bereichert und wird das in kommenden Jahrzehnten noch weiter tun. Wir leben im 21. Jahrhundert, und wir sollten unsere Werte, unsere Handlungen und Ziele der neuen Zeit anpassen."
Benn Konsynski glaubt fest an die Selbstregulierung des globalen Technologie- und Informationsmarktes. Deshalb warnt er vor zu starken staatlichen Auflagen:
"Wir sollten bei all den Ermittlungen und Verfahren achtgeben, dass wir Innovation, Entwicklung und Erfindergeist nicht abdrosseln – sei es über Patentgesetz, Gebühren oder Einschränkungen von Datenbahnen."
Eric Schmidt würde Benn Konsynski wohl applaudieren. Bei der Anhörung im Senatsausschuss für Wettbewerb sang er das Hohelied auf die Segnungen des freien Marktes, vor allem: des großen, offenen Technologie-Marktes.
"Das Internet ist die Heimat einer Reihe der erfolgreichsten amerikanischen Unternehmen: Amazon, Apple, Facebook und Google. Ja, wir führen einen harten Wettbewerb gegeneinander. Aber dieser Wettbewerb macht uns besser, er macht unsere Konkurrenten besser, und vor allem macht er unsere Produkte besser."
Internet-Unternehmen wie Google, fügte Schmidt hinzu, schafften außerdem Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum - ein Argument, dem sich kaum ein Politiker entziehen kann. Google erwirtschaftete 2010 einen Umsatz von knapp 30 Milliarden Dollar – und beschäftigt weltweit rund 25.000 Mitarbeiter.
"”Without exaggeration, high tech is the most dynamic part of the US economy.”"
Ob derartige Appelle Google am Ende bei der Untersuchung der Federal Trade Commission helfen? Wer weiß. Sicher ist nur, dass sich die Ermittlungen noch mindestens ein Jahr lang hinziehen werden. Kartellanwalt Tom Rhodes:
"Die Ermittlungen werden mindestens ein Jahr dauern. Bis Ende 2012 dürfte kein Ergebnis zu erwarten sein."
Wenn es ganz schlecht läuft für Google, dann empfiehlt die Kartellbehörde dem Justizministerium am Ende die Aufnahme eines Verfahrens. Tom Rhodes rechnet jedoch fest mit einem Vergleich:
"Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Google einen Kompromiss suchen. Das Unternehmen hat ein Interesse daran, hier besonders behutsam vorzugehen. Denn Google führt ja nicht nur einen Kampf vor Gericht. Sondern auch und vor allem einen Kampf um die Herzen der Nutzer. Und es stimmt, was Google selbst immer wieder sagt: Bing – die Suchmaschine von Microsoft - ist nur einen Klick entfernt."
Wir haben es begriffen, sagt Eric Schmidt, wir haben gelernt aus den Fehlern und Niederlagen der anderen Unternehmen. Der Mann, der bis vor wenigen Monaten als Vorstandschef die Geschicke des Internetgiganten Google gelenkt hat, sitzt alleine an einem langen Tisch - wie auf einer Anklagebank. Ihm gegenüber acht US-Senatoren mit ihren Mitarbeitern. Schmidt sitzt sehr aufrecht, die Hände hat er auf dem Tisch gefaltet, er schaut höflich und aufmerksam und auch ein wenig kühl in die Runde.
Vor wenigen Tagen musste er sich in Washington einer Anhörung vor dem Senatsausschuss für Wettbewerb stellen. Schmidt, mittlerweile Chef des Google-Verwaltungsrats, ist bekannt als ein Mann der klaren Worte. Nicht alle Unternehmen, versucht er den Senatoren klar zu machen, seien aus dem gleichen Holz geschnitzt, und die Vergangenheit des einen Unternehmens sei nicht zwangsläufig die Zukunft eines anderen.
"”I do ask you ask you to remember that not all companies are cut from the same cloth, and that one company’s past is not another’s future.”"
Bei dem Unternehmen, das Eric Schmidt so nebulös umschreibt, handelt es sich um Microsoft. Der Softwaregigant aus Seattle muss immer wieder als Negativbeispiel für einen Konzern herhalten, der um jeden Preis versucht, den Markt möglichst allumfassend zu beherrschen. Wettbewerbshüter aus den USA und aus Europa hatten Microsoft vor einigen Jahren in den Schwitzkasten genommen. Der Vorwurf: Das Unternehmen habe bei seinem Betriebssystem Windows ein Monopol gebildet. Microsoft war schließlich gezwungen, Windows für die Software externer Anbieter zu öffnen - und musste 500 Millionen Euro Strafe zahlen. Nun könnte Google ein ähnliches Schicksal ereilen. Und das nicht ohne Grund: Denn der Konzern aus Kalifornien sorgt dafür, dass der Internetnutzer so gut wie nie den Anbieter wechseln muss, wenn er im Netz unterwegs ist. Google betreibt neben der Suchmaschine unter anderem auch einen Browser, bietet umfassendes Kartenmaterial, einen E-Mail-Dienst, eine Kontaktbörse und neuerdings mit "Google Plus" auch ein soziales Netzwerk an. Google ist ein digitaler "one stop shop" - alles aus einer Hand. Bereits im Juni hatte die amerikanische Kartellbehörde, die Federal Trade Commission, kurz: FTC, eine Untersuchung gegen das Unternehmen aus Kalifornien eingeleitet.
"”As Google expands into new ventures, critics complain it’s abusing its dominant position in the search market and unfairly ranking other businesses’ websites.”"
Google nutze seine marktbeherrschende Position bei der Internetsuche aus, so berichtete der amerikanische Rundfunk NPR – und zwar zulasten der Konkurrenz. Die Kartellwächter prüfen, ob in Googles Trefferlisten die eigenen Angebote – oder die seiner Werbekunden - bevorzugt platziert werden. Konkret heiß das: Jemand sucht nach einer Landkarte und bekommt "Google Maps" als einen der ersten Treffer angezeigt - der Konkurrent Mapquest erscheint erst weiter unten auf der Liste. Außerdem will die Federal Trade Commission auch Android unter die Lupe nehmen, das von Google entwickelte Betriebssystem für Smartphones, also: schlaue, internetfähige Handys. Googles Suchmaschine ist bei Mobiltelefonen mit Android vorinstalliert. Das – so der Vorwurf - erschwere es den Nutzern, auf die Dienste anderer Suchmaschinen zuzugreifen. Diese Untersuchung der FTC wiege besonders schwer, meint Tom Rhodes, Kartellanwalt in der Großkanzlei Schmith, Gambrell and Russell.
"”This is the most serious of the investigations, because it goes straight to the heart of Google’s business plan.”"
Und zwar deshalb, weil sie auf das Kerngeschäft, das Herz von Google zielt: die Internetsuche. Die vielleicht schwerwiegendste, aber bei Weitem nicht die erste Untersuchung. Seit fünf Jahren steht Google in den USA unter Dauerbeobachtung von Wettbewerbshütern und Verbraucherschützern: Wegen der Akquise der Werbevermarkter AdMob und DoubleClick – diese sollen Google dabei geholfen haben, seine vorherrschende Stellung bei der Produktsuche im Internet auszubauen. Wegen der vermeintlicher Lücken in der Datensicherheit beim E-Mail-Dienst Googlemail und beim 3D-Straßenatlas Street View. Oder aber wegen Werbung für illegal in die USA eingeführte Medikamente.
"Google ist eigentlich permanent auf dem Radar der Federal Trade Commission. Wahrscheinlich gibt es dort Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit Google beschäftigen."
Zusätzlich zu den Wettbewerbshütern aus Washington haben auch mehrere US-Bundesstaaten – Texas, Kalifornien, New York, Oklahoma und Ohio - Untersuchungen gegen Google eingeleitet. Auch die Europäische Kommission hat Googles Suchmaschine ins Visier genommen, ebenso wie Kanada und Südkorea. Wer wissen will, wie man bei Google zu diesen Vorwürfen steht, läuft allerdings gegen Wände: Anfragen beim Firmensitz von Google in Kalifornien bleiben in der Regel unbeantwortet, und auch bei Google Deutschland gibt man sich zugeknöpft. Bei der Anhörung vor dem Senatsausschuss jedenfalls - die als eine Art politisches Vorspiel zu der eigentlichen Untersuchung gilt –, gab sich Google-Chefdiplomat Eric Schmidt betont optimistisch:
"Wir sind überzeugt: Bei der Prüfung der Federal Trade Commission wird Google als ein enthusiastisches Unternehmen hervortreten, mit Mitarbeitern, die voller Begeisterung an den Möglichkeiten der Zukunft arbeiten."
Ganz so locker und euphorisch, wie sich das anhört, nimmt man bei Google die Ermittlung der Wettbewerbsbehörde aber offenbar doch nicht. Der Konzern reagierte auf die Vorwürfe nämlich mit einem cleveren Schachzug: Er warb kurzerhand eine hochrangige Mitarbeiterin der Federal Trade Commission ab. Der neue Arbeitsplatz von Kartellexpertin Suzanne Michel: die Rechtsabteilung von Google. Wie blank die Nerven der Google-Verantwortlichen womöglich liegen, offenbarte sich, als Eric Schmidt die Behauptung des republikanischen Senators Mike Lee gereizt zurückwies, Google "frisiere" seine Suchergebnisse:
"”Senator, may I simply say that I can assure you we’ve not cooked anything.”"
Und dann setzte Schmidt sein wichtigstes Argument hinzu, jenes Argument, mit dem Google die Fragen der Wettbewerbshüter parieren will:
"Wir setzen auf Loyalität, nicht auf Abhängigkeit. Wir stellen niemandem eine Falle. Jeder kann mit nur einem Klick zur Konkurrenz wechseln."
Die Alternativen: Das sind vor allem die Suchmaschinen Bing, Ask und Yahoo. Oder Spezialanbieter wie Yelp für Restaurants oder Kayak für Reisen. Allerdings laufen in den USA zwei Drittel aller Suchanfragen über Google, in Europa liegt der Anteil zum Teil noch höher, in Deutschland bei fast 90 Prozent. Benn Konsynski ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Emory Universität in Atlanta. Die Ermittlungen der Kartellwächter gegen Google überraschen ihn nicht.
"”Google is 13 years old. So it’s entering its teenage phase ... ""
13 Jahre nach seiner Gründung trete Google gerade quasi in das Teenager-Alter ein, sagt er. Konsynski, ein Mann Anfang 50, bezeichnet sich selbst als einen Computernerd, und er lacht glucksend in sich hinein, während er das sagt. Sein Büro ist dunkel; Bücher, Zeitungen und Papiere stapeln sich in, auf und vor den Regalen. Drei Laptops, zwei Tablet-Computer und drei Smartphones liegen auf dem Schreibtisch. Mit IT-Unternehmen, sagt er, sei es ein bisschen so wie mit den Menschen:
"In ihren ersten Lebensjahren sehen wir die Kinder als unschuldige Engelchen, dann werden sie größer, und wir betrachten wohlwollend all ihre Talente. Wenn sie dann zu Teenagern heranwachsen, ahnen wir, dass sie vielleicht auch Schlechtes im Schilde führen könnten, und wir werden misstrauisch."
Sie könnten, zum Beispiel: Monopole bilden, den Wettbewerb verzerren, die Konkurrenten mit unfairen Mitteln vom Markt zu drängen versuchen. Diesem Vorwurf müssen sich alle Internet-Giganten aussetzen, ob Google, Microsoft, Apple, Yahoo, Facebook oder Amazon. Benn Konsynski tut sich allerdings schwer mit dem Begriff des Monopols in der weiten, scheinbar grenzenlosen Welt des Cyberspace:
"Wir sollten eher fragen, ob diese Monopole auch nachhaltig sind. My Space zum Beispiel lag vor sieben, acht Jahre weit vorne, heute ist Facebook die Nummer eins. Und jetzt fordert Google Plus Facebook heraus. Als Google vor 13 Jahren anfing, war das Unternehmen kein großer Spieler. Das hat sich gewandelt. Und es wird so weitergehen."
Ein anderes Beispiel: Apple revolutionierte mit seinem iPhone im Jahr 2007 den Mobilfunkmarkt. Kurz darauf blies Google mit der Entwicklung von Android zum Gegenangriff. Rund 40 Prozent aller Smartphones sind mittlerweile weltweit mit Android ausgestattet. Microsoft bereitet derweil mit Windows 8 ein neues Betriebssystem vor, das vor allem für Tablets konzipiert ist. Das ist ein Bereich, den Apple bislang mit seinem iPad dominiert. Die Reihe ließe sich fortsetzen.
"Dieser Markt mischt sich ständig neu; er ist ziemlich unberechenbar."
Oder, wie Eric Schmidt vor dem Senatsausschuss sagte:
"”The only constant is change.”"
Die einzige Konstante ist der Wandel. Kurz, mit den klassischen Marktmodellen lässt sich die Welt der Informationstechnologie nicht mehr erfassen. Diese Erfahrung hat auch Kartellanwalt Tom Rhodes gemacht:
"Oft dauert es drei bis fünf Jahre, bis eine Monopoluntersuchung abgeschlossen ist. Dann hat sich die Technologie aber möglicherweise schon viel weiter entwickelt."
Es sind also nicht so sehr die klassischen, die nachhaltigen Monopole, die heute die Technologie-Landschaft bestimmen. Sondern Rochaden und Revierkämpfe zwischen den Riesen des Internets – dabei ist die Arena global und die Halbwertszeit der Gewinner gering. Da war in den 1980er-Jahren das Kopf-an-Kopf-Rennen um die Entwicklung und Vermarktung des Personal-Computers zwischen IBM und Microsoft auf der einen und Apple auf der anderen Seite. Und da ist heute der erbitterte Streit zwischen Google und Apple um die Vormachtstellung im Mobilfunkmarkt. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt, das ist das Mantra von Google. Wer wird am Ende von dem großen Technologie-Reigen profitieren? Benn Konsynski ist optimistisch:
"Der Verbraucher, hoffe ich. Die Internet-Arena ist so flüchtig und unbeständig, davon kann der Nutzer profitieren. Ich glaube nicht, dass ein einzelner Spieler langfristig den Markt dominieren wird."
Der Kampf um die digitale Weltherrschaft wird jedoch nicht nur um Klicks, um Marktanteile und Markenwert, um Umsätze, Gewinne, Werbeeinnahmen und Nutzerzahlen geführt. Längst hat auch ein Wettlauf um Informationen begonnen, um persönliche Daten, Profile, Präferenzen und Geheimnisse der Nutzer. Verbraucherschützer beobachten das Treiben der Internet-Giganten mit Argwohn: dass, zum Beispiel, Googles Email-Service Googlemail bei seinem Start die Nutzer mit maßgeschneiderter Werbung zu beglücken versuchte. Dass das soziale Netzwerk Facebook seine Einstellungen zum Datenschutz zunächst wie eine digitale Schnitzeljagd gestaltete. Dass Google mit seinem 3-D-Atlas "Street View" die Welt Straße für Straße, Haus für Haus einscannt, wie ein globaler virtueller Big Brother. Dass Microsoft mit "Street Side" sein eigenes Projekt zur Vermessung der Welt startete. Kurz: dass der Bürger zum gläsernen Nutzer im weltweiten Netz wird.
Eric Schmidt, damals Google-Chef, gab den besorgten Bürgern und Verbraucherschützern im Jahr 2009 in einem Fernsehinterview einen durchaus verblüffenden Rat:
"”If you have something that you don’t want anyone to know maybe you shouldn’t be doing it in the first place.”"
Wenn man nicht wolle, sagt Schmidt, dass bestimmte Dinge über einen bekannt würden, dann sei es vielleicht besser, diese Dinge erst gar nicht zu tun. Im Umkehrschluss heißt das: Wer keinen digitalen Offenbarungseid leistet, der hat etwas zu verbergen. Auch Facebook, mit 750 Millionen Mitgliedern weltweit das größte soziale Netzwerk, steht unter dem Verdacht, die Daten seiner Nutzer zu speichern, zu sortieren, möglicherweise auch weiterzugeben. Auf jeden Fall: diese Daten niemals komplett zu löschen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg betont derweil immer wieder, mit seiner Idee der totalen Vernetzung nichts Böses im Sinn zu haben:
"Uns geht es darum, dass die Menschen sich austauschen, dass sie miteinander, mit ihren Freunden, mit ihrer Familie, mit ihren Kollegen in Kontakt bleiben. Allein das ist unser Ziel, deswegen haben wir das Unternehmen gegründet."
Ist Mark Zuckerberg naiv? Oder einfach nur ein sehr cleverer Geschäftsmann? Oder vielleicht auch ein bisschen zynisch? Vor allem, meint Wirtschaftsinformatiker Benn Konsynski, sei er ein Vertreter einer jungen, neuen Generation – mit neuen Begriffen und Werten:
"”In my generation, the terms personal and private were the same thing.”"
Für seine Generation, sagt er, seien die Begriffe persönlich und privat gleichbedeutend.
"Für die Generation Y, Leute in ihren 20ern und 30ern also, ist das anders. Für sie sind persönliche Informationen nicht notwendigerweise Privatsache, sie gehen sehr viel offenherziger damit um. Das ist eine Frage von Werten, von Werten der Gesellschaft und nicht nur von Werten des Einzelnen, und diese Werte haben sich über die Generationen hinweg geändert."
Diese Erklärung ist Jaron Lanier zu einfach. Der Internet-Pionier, Technologie-Philosoph und Musiker aus Berkeley ist heute einer der größten Kritiker der IT-Konzerne und des Web 2.0. Seine drängendste Sorge: In der gigantischen Filtermaschine von Google und in dem allumspannenden Netz von Facebook sei der einzelne Nutzer längst zum Spielball anonymer Kräfte geworden:
"Wir geben uns selbst in eine Datenbank ein. Und dann führen wir unser reales Leben nach den Regeln, die diese Datenbank vorgibt. Wir kreuzen artig an, was uns interessiert, wer wir sind, welche Musik wir mögen. Und werden so zu digitalen Karikaturen unserer selbst."
Benn Konsynski will das nicht so stehen lassen. Er runzelt die Stirn, rückt seine bunte Fliege zurecht.
"Wir müssen auf die Realität schauen, auf die Chancen für den Einzelnen und für ganze Gesellschaften. Das Internet hat unser Leben bereichert und wird das in kommenden Jahrzehnten noch weiter tun. Wir leben im 21. Jahrhundert, und wir sollten unsere Werte, unsere Handlungen und Ziele der neuen Zeit anpassen."
Benn Konsynski glaubt fest an die Selbstregulierung des globalen Technologie- und Informationsmarktes. Deshalb warnt er vor zu starken staatlichen Auflagen:
"Wir sollten bei all den Ermittlungen und Verfahren achtgeben, dass wir Innovation, Entwicklung und Erfindergeist nicht abdrosseln – sei es über Patentgesetz, Gebühren oder Einschränkungen von Datenbahnen."
Eric Schmidt würde Benn Konsynski wohl applaudieren. Bei der Anhörung im Senatsausschuss für Wettbewerb sang er das Hohelied auf die Segnungen des freien Marktes, vor allem: des großen, offenen Technologie-Marktes.
"Das Internet ist die Heimat einer Reihe der erfolgreichsten amerikanischen Unternehmen: Amazon, Apple, Facebook und Google. Ja, wir führen einen harten Wettbewerb gegeneinander. Aber dieser Wettbewerb macht uns besser, er macht unsere Konkurrenten besser, und vor allem macht er unsere Produkte besser."
Internet-Unternehmen wie Google, fügte Schmidt hinzu, schafften außerdem Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum - ein Argument, dem sich kaum ein Politiker entziehen kann. Google erwirtschaftete 2010 einen Umsatz von knapp 30 Milliarden Dollar – und beschäftigt weltweit rund 25.000 Mitarbeiter.
"”Without exaggeration, high tech is the most dynamic part of the US economy.”"
Ob derartige Appelle Google am Ende bei der Untersuchung der Federal Trade Commission helfen? Wer weiß. Sicher ist nur, dass sich die Ermittlungen noch mindestens ein Jahr lang hinziehen werden. Kartellanwalt Tom Rhodes:
"Die Ermittlungen werden mindestens ein Jahr dauern. Bis Ende 2012 dürfte kein Ergebnis zu erwarten sein."
Wenn es ganz schlecht läuft für Google, dann empfiehlt die Kartellbehörde dem Justizministerium am Ende die Aufnahme eines Verfahrens. Tom Rhodes rechnet jedoch fest mit einem Vergleich:
"Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Google einen Kompromiss suchen. Das Unternehmen hat ein Interesse daran, hier besonders behutsam vorzugehen. Denn Google führt ja nicht nur einen Kampf vor Gericht. Sondern auch und vor allem einen Kampf um die Herzen der Nutzer. Und es stimmt, was Google selbst immer wieder sagt: Bing – die Suchmaschine von Microsoft - ist nur einen Klick entfernt."